Von Brian Spegele, Juliet Chung und Dawn Lim

NEW YORK (Dow Jones)--Einige große US-Investoren lassen sich auch von der Aussicht auf ein Scheitern des riesigen chinesischen Immobilienentwicklers Evergrande nicht ins Bockshorn jagen, dessen Schuldenprobleme in dieser Woche die globalen Märkte erschütterten. Sie geben noch immer ein positives Votum für China als Investitionsziel ab, trotz der steigenden Risiken, sowohl regulatorischer als auch politischer, mit denen ausländische Investoren dort zunehmend konfrontiert werden.

Als die China Evergrande Group dieser Tage Probleme mit anstehenden Schuldenzahlungen offenbarte, sahen sich Anleger veranlasst, eine Bestandsaufnahme ihres Engagements in China vorzunehmen. Einst schien das wirtschaftliche Wachstum des Landes unaufhaltsam zu sein, nun zeichnen sich Probleme ab: Firmen sind teils hoch verschuldet, und die strengeren Regeln für den Markt haben einigen der prominentesten privat geführten Unternehmern des Landes die Flügel gestutzt.

Marktteilnehmer gehen aktuell davon aus, dass die chinesische Regierung bei Evergrande zumindest einem Teilausfall seiner Kredite zulassen wird, so dass ausländische Investoren einen Großteil der Rechnung werden bezahlen müssen. Demgegenüber dürfte China die vielen Hauskäufer und Lieferanten, denen das Bauunternehmen entweder Wohnungen oder Geld schuldet, schützen wird.

Investoren wie Bridgewater Associates, der seit vielen Jahren auf China schwört, aber auch die zur Allianz gehörende Investmentgesellschaft Pacific Investment Management (Pimco) und andere werten den wahrscheinlichen Zahlungsausfall von Evergrande als Wachstumsschmerz eines Landes, dass derzeit versucht, die Risiken auf seinem Kapitalmarkt in den Griff zu bekommen.


   Langfristig eine Bereinigung des Kreditmarktes 

"Kurzfristig ist da natürlich viel Potenzial für Unsicherheiten und Volatilitäten", sagte Christian Stracke, globaler Chef für das Credit Research bei Pimco in einem Interview. "Langfristig gesehen ist dies jedoch etwas, das geschehen musste und letztlich gut für den chinesischen Kreditmarkt sein wird."

Für China besteht das Risiko aktuell darin, dass Folgewirkungen eines Zusammenbruchs von Evergrande das chinesische Finanzsystem lähmen könnten, während sich die Regierung um ein nachhaltigeres Wachstum bemüht und die Konjunktur sich von der Pandemie erholt. Einige Anleger sind allerdings der Meinung, dass diese Risiken übertrieben dargestellt werden.

"Das in den Medien verbreitete Narrativ, es handele sich um 'Chinas Lehman-Moment', ergibt keinen Sinn", schrieb Bridgewater am Dienstag seinen Kunden. Der chinesische Bankensektor sei vielmehr gut aufgestellt, um Verluste eines geordneten Zahlungsausfalls aufzufangen.

"Das Fehlen einer schnellen Auffanglösung wird Anlegern wahrscheinlich klar machen, dass sie ihre eigene Sorgfaltspflicht erfüllen und ihre Schuldner durch diese Sorgfaltspflicht zur Verantwortung ziehen müssen", heißt es bei Bridgewater weiter.

Bridgewater-Gründer Ray Dalio unterhält seit Jahrzehnten enge Beziehungen zu China, seine Firma zählte bisher chinesische Institutionen zu seinen größten Kunden.

Die Finanzmärkte reagierten verunsichert. Am Montag fielen der S&P 500 und der Dow Jones Industrial Average um jeweils fast 2 Prozent. Am Dienstag blieben die US-Märkte in etwa unverändert, bevor sie am Mittwoch wieder anzogen. Der Wert der in Hongkong notierten Evergrande-Aktien ist um etwa 85 Prozent gefallen. Die in Hongkong notierten Aktien chinesischer Versicherer und Finanzfirmen, die in Immobilienkrediten engagiert sind, gaben zu Beginn der Woche ebenfalls nach.

Evergrande erklärte am Mittwoch, man werde am Donnerstag eine Zinszahlung für eine Onshore-Anleihe leisten, ließ aber offen, ob es eine Zinszahlung in Höhe von 83,5 Millionen Dollar für seine US-Dollar-Anleihen geben wird.


   Wasser auf die Mühlen von Skeptikern 

China-Bären, darunter auch der bekannte Jim Chanos, schlagen schon seit langem Alarm. Die meisten westlichen Investoren verlassen sich seit einer Generation auf China als Quelle für gute Renditen und Diversifizierung ihrer Anlagen, nicht zuletzt wegen der riesigen Bevölkerung und der beständig wachsenden Wirtschaft des Landes.

In Evergrande-Schuldtitel investiert sind unter anderem Fonds von Fidelity, UBS, Amundi und Blackrock.

Blackrock vertritt seit langem die Ansicht, dass internationale Anleger angesichts des Wachstums in China dort nicht genügend investierten. Von dieser Einschätzung wird auch jetzt nicht abgerückt. Im Fall von Evergrande stockt das Unternehmen sein Engagement allerdings nicht auf, wie ein Insider sagte.

Andere haben sich von Evergrande-Anleihen getrennt, sie werden deshalb nun mit hohen Kursabschlägen gehandelt. Amundi, so heißt es aus informierten Kreisen, habe die meisten Positionen seiner Fonds in Evergrande-Anleihen in den vergangenen Monaten abgebaut. Auch Allianz Global Investors hat die Positionen seiner Fonds in Evergrande-Anleihen abgebaut, wie ein weiterer Insider sagte.

In einer Investorenmitteilung schrieb die Allianz, dass die Entwicklungen rund um Evergrande "unsere negative Einschätzung des Immobiliensektors insgesamt bestätigen". Allerdings hieß es weiter, es würden "keine Auswirkungen auf breiterer Basis" erwartet.

Jim Chanos, der mit Kynikos Associates auf Leerverkäufe spezialisiert ist, hat zahlreiche Wetten auf einen Konjunktureinbruch der chinesischen Wirtschaft und vom jüngsten Rückgang der Kurse auch profitiert, sagte ein Insider.


   Auch Tech-Konzerne stehen seit Kurzem im Feuer 

Die Risiken, die von Chinas Märkten ausgehen, reichen weit über Schulden und Immobilien hinaus. Chinesische Technologieriesen wie Alibaba und Tencent stehen im Zentrum einer Kampagne der staatlichen Aufseher - wegen angeblich wettbewerbswidriger Praktiken und Fragen der Sicherheit von Nutzerdaten. Die Aktie von Alibaba ist in Hongkong seit Jahresbeginn um etwa ein Drittel gefallen, die von Tencent - Betreiber der in China populären WeChat-App - hat mehr als 20 Prozent ihres Wertes eingebüßt.

Mehrere sogenannte Makro-Hedgefonds, die auf Grundlage ihrer Einschätzungen in große Marktbewegungen investieren, haben zuletzt gegen China gewettet, nachdem es zu einer Welle von überraschenden Interventionen von Seiten der Regulierer kam. Einige sind der Ansicht, dass die politischen Machtkämpfe im Vorfeld des Volkskongresses der Kommunistischen Partei im Herbst nächsten Jahres weitere Schocks für die Anleger bereithalten könnten.

Chinas Präsident Xi Jinping, so die Einschätzung, könnte dort versuchen, an der Macht zu bleiben und damit das etablierte System der Führungsnachfolge in der Partei zu durchbrechen.

Xi ist Chinas mächtigster Präsident seit Jahrzehnten. Er will die Rolle des Staates verstärken und den erarbeiteten Wohlstand gerechter verteilen. Alle Bemühungen seiner Regierung, die Immobilienpreise zu drosseln, haben die Liquiditätsengpässe des angeschlagenen Bauträgers Evergrande aber noch verschlimmert.

"Es ist schwer, in Chinas Zukunft zu investieren, wenn sich das Land gegen den Kapitalismus wendet", sagte Ed Yardeni, Präsident des Sell-Side-Research-Unternehmens Yardeni.

Jahrzehntelang glaubte der Investor George Ball, dass ein gesunder Prozentsatz der Kundenportfolios in China ein Muss ist. Die riesige, schnell wachsende Wirtschaft war aus seiner Sicht ebenso anziehend, wie die Intelligenz des Landes. Letztere, so seine Überzeugung, würde das Wachstum in den nächsten Jahren ankurbeln.


   Einige verkleinern das China-Portfolio 

Doch die fortgesetzten Eingriffe der chinesischen Behörden in jüngster Zeit haben Ball und das Investmentteam der Houstoner Investmentfirma Sanders Morris Harris dazu veranlasst, das Aktienexposure ihrer Kunden in den chinesischen Markt auf etwa 4 Prozent zu beschränken, als der Aktienmarkt zu Anfang des Jahres nachgab, anstatt eine Neugewichtung vorzunehmen, um wieder auf die bisher 7-prozentige Gewichtung zu kommen.

"Wir waren jahrelang der Meinung, dass eine Beteiligung an Chinas Firmen für fast jedes Portfolio obligatorisch ist", sagte der 82-jährige Chef von Sanders Morris Harris, ein Unternehmen, das zusammen mit der Muttergesellschaft Tectonic Financial ein Vermögen von 4,7 Milliarden Dollar für vermögende Privatpersonen verwaltet. "Aber dass das Land in einer sehr überzogenen Weise regiert wird, macht uns große Sorgen, und wenn dann noch Evergrande als Symbol für die Überschuldung der dortigen Wirtschaft hinzukommt, verschlimmert das unsere Besorgnis nur noch."

Truist Advisory Services, zugleich Berater vermögender Privatpersonen und Institutionen und Vermögensverwalter, reduzierte seinerseits im August sein China-Engagement, nachdem Peking den gemeinnützigen Bildungssektor ins Visier genommen hatte und Unternehmensgewinne in China im Vergleich zu den USA zuletzt schwach ausfielen.

"Was wir hier sehen, ist ein wichtiger struktureller Wandel in der Art und Weise, wie China seine Wirtschaft und seine Märkte steuert", sagte Keith Lerner, Co-Investmentchef des Unternehmens.

Lerner schätzt, dass die Regierung in Peking die Zahlungsunfähigkeit von Evergrande so managen wird, dass eine harte Landung der Wirtschaft vermieden wird. Doch ist seine Einstellung zu dem Land eher negativ. "Es ist völlig unabsehbar, wer als nächstes im Fadenkreuz stehen wird", lautet sein Resümee.


   Politische Großspannungen bilden den Hintergrund 

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September 23, 2021 06:06 ET (10:06 GMT)