Von Mike Cherney und Tom Fairless

SYDNEY/FRANKFURT (Dow Jones)--Der rekordverdächtige Anstieg der Immobilienpreise während der Pandemie löst weltweit neue Debatten über die Erschwinglichkeit von Wohnraum aus. Zugleich loten politische Entscheidungsträger Möglichkeiten aus, den Preisanstieg einzudämmen, ohne die Preise zu drastisch in den Keller zu schicken oder den weltweiten Wirtschaftsaufschwung zu gefährden.

In Städten von Austin über Dublin und Berlin bis Seoul sehen sich immer mehr Familien außerstande, die durch den weltweiten Immobilienboom ausgelösten höheren Preise zu zahlen. In Sydney kletterten die Hauspreise im zweiten Quartal des Jahres um fast 870 US-Dollar pro Tag, so das Immobilienunternehmen Ray White. In Großbritannien zahlen Erstkäufer nach Angaben der Makler von Benham and Reeves im Durchschnitt 32 Prozent mehr als noch vor zwölf Monaten.

Viele Ökonomen befürchten, dass die zunehmende Zahl von Menschen, die zur Miete wohnen oder mehr Geld leihen, als sie sich leisten können, zu einer größeren Ungleichheit in den Großstädten beitragen könnte. Diese Ungleichheit löst sich womöglich erst nach Jahren auf und könnte die politische Polarisierung noch verstärken.

Es dürfte auch zu mehr Widerstand von Erstwohnungskäufern und Befürwortern erschwinglichen Wohnraums kommen, der die Regierungen zu aggressiveren Maßnahmen zwingt. In Berlin sprachen sich die Wähler am Sonntag in einem nicht bindenden Referendum für die Verstaatlichung großer Immobilienkonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen aus.


   Zu viel Preiskontrolle politisch schwer durchsetzbar 

Viele politische Entscheidungsträger scheuen sich jedoch davor, zu stark auf eine Preiskontrolle zu setzen, da sie befürchten, dass bestehende Eigentümer, die von höheren Werten profitieren, geschädigt werden. Außerdem wollen sie den Wirtschaftsaufschwung nicht untergraben, der zum Teil durch das Vertrauen der Eigentümer von Immobilien und anderen Vermögenswerten getragen wird. Der Preisanstieg ist nämlich für viele Familien ein Segen. Steigende Immobilienwerte führen in der Regel zu höheren Ausgaben für Möbel und andere Güter, was der Wirtschaft insgesamt zugutekommt.

Die jüngsten Ereignisse in China machen deutlich, wie schwierig es sein kann, den Markt zu zähmen. So befürchtet die chinesische Führung, dass steigende Immobilienpreise Unruhen auslösen und das Finanzsystem gefährden könnten. Deswegen hat Peking Maßnahmen ergriffen, um den Preisanstieg zu begrenzen und die Kreditaufnahme einzudämmen.

Jetzt steht China Evergrande, ein führender Bauträger, kurz vor dem Zusammenbruch, und der Verkauf von Wohnimmobilien geht zurück, was Befürchtungen über einen größeren wirtschaftlichen Schaden auslöst.

Das Problem der Erschwinglichkeit wird jedoch in vielen Volkswirtschaften nicht verschwinden. Eine Kombination aus niedrigen Zinssätzen, pandemischen Konjunkturprogrammen und veränderten Gewohnheiten, da viele Menschen remote im Homeoffice arbeiten, treibt die Preise in die Höhe.


   Keine Anzeichen für Immobiliencrash wie 2008 

Dies hat in Nordamerika, Europa und Teilen Asiens Klagen der Käufer ausgelöst. So brachte das australische Parlament erst kürzlich eine Untersuchung über die Erschwinglichkeit von Wohnraum auf den Weg. Sie zielen dabei auf Menschen wie Herlander Pinto. "Es sollte wirklich nicht so schwer sein", betont der 32-jähriger Software-Ingenieur, der vor kurzem mit seiner Partnerin ein Haus in einem Vorort von Toronto gekauft hat, der weiter von der Stadt entfernt liegt, als sie wollten. "Wir mussten einfach hoffen, dass nicht jemand mit tiefen Taschen auftaucht und ein unverschämtes Angebot abgibt."

In Kanada, Neuseeland und Norwegen ist das Verhältnis zwischen Hauspreisen und verfügbarem Einkommen als Maß für die Erschwinglichkeit nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) so hoch wie nie zuvor. In anderen Ländern, darunter die USA und Frankreich, steigt das Verhältnis derweil weiter an.


   Millionär durch Hausbesitz 

"In Auckland ist jeder, der in den vergangenen sieben oder acht Jahren ein Haus besessen hat, jetzt Millionär", hat Ben Hickey, Geschäftsführer des Hypothekenmaklers Homeboost Mortgages NZ, beobachtet. "Und dann gibt es noch die andere Hälfte von Auckland, die kein Haus besitzt und sich wirklich fragt, was sie jetzt tun soll."

Es gibt kaum Befürchtungen, dass es zu einem Immobiliencrash wie 2008 kommen könnte. Die Kreditvergabestandards wurden seither verschärft, und viele Haushalte haben während der Pandemie ihre Ersparnisse aufgestockt. Dennoch zeigen Studien, dass Wohneigentum der Schlüssel zum Vermögensaufbau ist.

Erschwinglichkeitsprobleme könnten einige Familien dazu zwingen, weiter vom Arbeitsplatz wegzuziehen und die Bildungschancen ihrer Kinder zu beeinträchtigen.


   Auch die OECD sorgt sich um hohe Hauspreise 

"Wir waren schon vor der letzten Welle von Hauspreiserhöhungen besorgt über die Erschwinglichkeit für viele Haushalte, und diese Welle ist wirklich enorm", beschreibt OECD-Ökonom Boris Cournède die Situation. "Alle Probleme, die es schon vorher gab, haben sich im Wesentlichen noch verschärft."

In den USA arbeitet die Regierung von Präsident Joe Biden derweil daran, den Bau neuer Häuser anzukurbeln. Die kanadische Regierung versprach, Milliarden von Dollar auszugeben, um 100.000 neue Wohnungen für städtische Mittelklassefamilien zu bauen. Niederländische Städte werden bald in der Lage sein, Stadtteile auszuweisen, in denen Investoren keine billigen Wohnungen mehr aufkaufen und vermieten dürfen.

Andere Ansätze umfassen sogenannte makroprudenzielle Instrumente wie die Begrenzung des Wertes von Hypothekendarlehen bis hin zu gezielteren Maßnahmen wie der finanziellen Unterstützung von Erstkäufern von Wohneigentum. Und einige Länder haben versucht, Investoren den Erwerb mehrerer Immobilien zu erschweren oder den Einfluss ausländischer Käufer zu begrenzen.

(Mitarbeit: Paul Vieira)

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September 28, 2021 07:14 ET (11:14 GMT)