Von Paul Hannon

NEW YORK (Dow Jones)--Viele Zentralbanken auf der ganzen Welt erhöhen ihre Leitzinsen im Rahmen der bisher umfassendsten Straffung ihrer Geldpolitik. Einige Ökonomen befürchten nunmehr, dass sie dabei zu weit gingen, sofern sie die kollektiven Auswirkungen auf die globale Nachfrage nicht berücksichtigten. Nach Angaben der Weltbank war die Zahl der von den Währungshütern weltweit angekündigten Zinserhöhungen im Juli so hoch wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen in den frühen 1970er Jahren.

In der Vorwoche gab die US-Notenbank Fed ihre dritte Zinserhöhung um 0,75 Prozentpunkte in ebenso vielen Sitzungen bekannt. Zugleich haben auch die Zentralbanken in Indonesien, Norwegen, auf den Philippinen, in Südafrika, Schweden, der Schweiz, Taiwan und Großbritannien die Zinssätze nach oben geschraubt.


Die Zinsschritte werden größer 

Darüber hinaus sind die Zinsschritte größer als üblich. Die schwedische Riksbank setzte ihren Referenzzinssatz um einen ganzen Prozentpunkt hoch. Seit Verabschiedung ihres derzeitigen geldpolitischen Rahmens im Juli 2002 hatte sie die Zinssätze noch nie um mehr als einen halben Punkt angehoben oder gesenkt.

Die Zentralbanken reagieren fast ausnahmslos auf die hohe Inflation. Nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) lag die Inflation in der Gruppe der 20 führenden Volkswirtschaften im Juli bei 9,2 Prozent und damit doppelt so hoch wie ein Jahr zuvor. Höhere Zinssätze kühlen die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen ab und geben Haushalten und Unternehmen die Gewissheit, dass die Inflation im kommenden Jahr zurückgeht.

Einige sind jedoch besorgt, dass die Zentralbanken nationale Antworten auf ein globales Problem der Übernachfrage und der hohen Preise geben. Sie warnen davor, dass die Notenbanken in ihrer Gesamtheit zu weit gingen und die Weltwirtschaft in einen Abschwung stürzten, der tiefer ist als nötig.


Angst vor einem unnötig heftigen Abschwung 

"Die gegenwärtige Gefahr besteht nicht so sehr darin, dass die derzeitigen und geplanten Maßnahmen nicht ausreichen, um die Inflation einzudämmen", schreibt Maurice Obstfeld. Er ist ehemaliger Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds (IWF) und äußerte sich als Senior Fellow des Peterson Institute for International Economics. "Es geht darum, dass sie gemeinsam zu weit gehen und die Weltwirtschaft in eine unnötig harte Kontraktion treiben."

Es gibt nur wenige Anzeichen dafür, dass die Zentralbanken eine Pause einlegen und eine Bestandsaufnahme der Auswirkungen ihrer bisherigen Zinserhöhungen vornehmen. Die Fed deutete an, dass sie die Zinssätze in den nächsten beiden Sitzungen wahrscheinlich um addiert 1 bis 1,25 Prozentpunkte anheben wird.


Welle an Zinsanhebungen alleine bis Ende Oktober 

Die Ökonomen von JP Morgan gehen davon aus, dass die Zentralbanker rund um den Globus bis Ende Oktober der Fed mit Zinserhöhungen folgen. Zu den Ländern zählen Kanada, Mexiko, Chile, Kolumbien, Peru, die Eurozone, Ungarn, Israel, Polen, Rumänien, Australien, Neuseeland, Südkorea, Indien, Malaysia und Thailand. Das ist ein Aufgebot an Feuerkraft der Zentralbanken, für das es kaum Präzedenzfälle gibt. Aber müssen sie alle so viel unternehmen, wenn sie alle das Gleiche tun?

Die meisten Ökonomen sind sich einig, dass die Inflation in einem Land nicht nur auf Kräfte innerhalb dieses Landes zurückzuführen ist. So dürfte sich die globale Nachfrage auch auf die Preise von leicht handelbaren Waren und Dienstleistungen auswirken. Bei Rohstoffen wie Öl ist dies seit langem zu beobachten; ein Boom in China trieb die Preise 2008 in die Höhe, während die USA in die Rezession rutschten.


Globale Probleme treiben global die Preise 

Dies galt in den vergangenen Jahren auch für Industriegüter, deren Preise weltweit durch Unterbrechungen der Lieferketten, etwa in asiatischen Häfen und durch eine erhöhte Nachfrage wegen staatlicher Konjunkturpakte in die Höhe schnellten.

Eine Studie der Fed ergab, dass die fiskalischen Anreize der USA die Inflation in Kanada und Großbritannien anheizten. Die Konzentration einer einzelnen Zentralbank auf die Abstimmung von Angebot und Nachfrage auf nationaler Ebene könnte jedoch zu weit gehen. Schließlich dürften andere Zentralbanken die globale Nachfrage, die eine der Triebkräfte der nationalen Inflation ist, bereits schwächen. Wenn jede einzelne Zentralbank dies tut, kann die übermäßige Straffung auf globaler Ebene zu massiv ausfallen.


Früher koordinierten Währungshüter mehrmals ihre Aktionen 

Dieses Risiko ließe sich durch eine Koordinierung zwischen den Zentralbanken verringern - beispielsweise als sie während der weltweiten Finanzkrise gemeinsam die Leitzinsen senkten. Ähnlich war es 1985, als die fortgeschrittenen Volkswirtschaften gemeinsam handelten, um den Dollar zu schwächen, und dann wieder 1987, als sie gemeinsam handelten, um ihn zu stützen.

Der Vorsitzende der Fed, Jerome Powell, stellte fest, dass die Zentralbanken in der Vergangenheit ihre Zinsmaßnahmen koordiniert haben, dies aber jetzt nicht angebracht sei, da "wir uns in sehr unterschiedlichen Situationen befinden". Er fügte hinzu, dass der Kontakt zwischen den globalen Zentralbanken mehr oder weniger kontinuierlich sei. "Es handelt sich nicht um eine Koordinierung, aber es findet ein reger Informationsaustausch statt", berichtet er.

Wenn eine Koordinierung nicht möglich ist, könnte ein erreichbareres Ziel darin bestehen, wie die Weltbank rät, dass die nationalen Entscheidungsträger "die potenziellen Spillover-Effekte einer weltweit synchronen nationalen Politik berücksichtigen".


Einbeziehung von Auswirkungen in andere großen Volkswirtschaften 

Powell deutete an, dass dies bereits geschieht. Die Prognosen der Fed berücksichtigen stets "politische Entscheidungen - geldpolitische und andere - und die wirtschaftlichen Entwicklungen in wichtigen Volkswirtschaften, die sich auf die US-Wirtschaft auswirken können".

Viele Zentralbanken sind besorgt, dass sie die Zinsen angesichts der hohen Inflation zu wenig anheben könnten. "In diesem Umfeld müssen die Zentralbanken energisch handeln", meinte Isabel Schnabel von der Europäischen Zentralbank (EZB) Ende August in einer Rede. "Um Vertrauen zurückzugewinnen und zu bewahren, müssen wir die Inflation schnell auf das Zielniveau zurückbringen."

Eine informelle Koordinierung wäre von Vorteil, betont derweil Ökonom Philipp Heimberger vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. "Systematisches Denken über die Auswirkungen von Zinserhöhungen ist angebracht. Es muss berücksichtigt werden, was andere Zentralbanken gleichzeitig tun. Das wäre ein Wendepunkt."

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September 26, 2022 04:56 ET (08:56 GMT)