Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihren geldpolitischen Schlüsselsatz seit Juli um 200 Basispunkte auf 1,50 Prozent angehoben. Aber ist das angesichts einer Inflationsrate von über 10 Prozent genug? Das würde im Vorfeld der Ratssitzung am 14. und 15. Dezember wohl niemand behaupten. Aber Rufe geldpolitischer "Tauben" wie Mario Centeno nach einer Zinserhöhung von weniger als 75 Basispunkten sind durchaus zu hören. Aufgenommen werden sie von EZB-Chefvolkswirt Philip Lane und zumindest nicht rundheraus zurückgewiesen von "Falken" wie Joachim Nagel.

75 oder 50 Basispunkte? Vieles wird davon abhängen, wie die Inflationsprognosen des EZB-Stabs für 2023 und 2024 aussehen, die dem EZB-Rat im Dezember vorliegen werden - und einiges auch von den Verbraucherpreisdaten für Dezember, denn sie können den gedachten Startpunkt der neuen Projektionen gleich wieder über den Haufen werfen.

Selten kommen Euroraum-Verbraucherpreisdaten so passend wie diese: Am 30. November (Mittwoch, 11.00 Uhr) veröffentlicht Eurostat die Vorabschätzung für November, und am 15. Dezember gibt die EZB bekannt, um wie viele Basispunkte sie ihre Leitzinsen anheben wird. Für Oktober, kurz nach der vorigen EZB-Ratssitzung, hatte Eurostat schon einen unerwartet starken Inflationsanstieg von 9,9 auf 10,7 (Prognose: 10,0) Prozent gemeldet, und die Kernteuerung hatte auf 5,0 (Prognose: 4,8) Prozent zugelegt.


   Inflationsüberraschung würde für 75 Basispunkte sprechen 

Nach dem bisherigen Handlungsmuster der EZB würde eine abermalige Inflationsüberraschung das Risiko verstärken, dass die EZB ihre Zinsen erneut um 75 Basispunkte erhöht. Von Dow Jones Newswires befragte Volkswirte erwarten, dass die Verbraucherpreise auf Monatssicht um 0,1 Prozent gestiegen sind und auf Jahressicht um 10,4 (Oktober: 10,6) Prozent.

Ein entscheidender Vorlaufindikator der europäischen Inflation sind die Daten aus Deutschland, die am Dienstag (14.00 Uhr) veröffentlicht werden. Von Dow Jones Newswires befragte Volkswirte erwarten, dass der Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) gegenüber dem Vormonat um 0,2 Prozent gestiegen ist und um 11,4 (Oktober: 11,6) Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats lag. Die Statistikämter von sechs Bundesländern veröffentlichen bereits am Vormittag Preisdaten, die, wie das Beispiel Nordrhein-Westfalens im Oktober zeigte, marktbewegend sein können.

Spanische Preisdaten kommen ebenfalls am Dienstag (9.00 Uhr) und französische Daten am Mittwoch (8.45 Uhr).


   PCE-Kernteuerung im Blick 

Für die Weltwirtschaft weitaus interessanter ist aber die Geldpolitik der Federal Reserve und die sie bestimmenden Größen. Die von der Fed favorisierte Inflationsmessgröße ist der Preisindex der privaten Konsumausgaben (PCE-Deflator). Er war im September mit einer Jahresrate von 6,2 Prozent gestiegen und die Kernrate um 5,1 Prozent. Während die Jahresrate des erstgenannten Index seit dem Sommer sinkt, war der Aufwärtstrend der zweitgenannten bis zuletzt ungebrochen. Das Bureau for Economic Analyses (Bea) veröffentlicht die neuen Daten am Donnerstag (14.30 Uhr).

Die Fed versucht Preistrends aber auch über ihre Kontakte in der Wirtschaft zu erfassen. Die Ergebnisse dieser Umfragen finden sich summarisch im genannten Beige Book, das die Fed am Mittwoch (20.00 Uhr) veröffentlicht, und das eine Grundlage für die am 14. Dezember anstehenden Zinsentscheidung bildet.

Weitere Daten aus den USA sind die zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) des dritten Quartals, dessen zweite Veröffentlichung am Mittwoch (14.30 Uhr) ansteht. Volkswirte erwarten, dass die Statistikbehörde den BIP-Anstieg um annualisiert 2,6 Prozent gegenüber dem Vorquartal bestätigen wird.


    US-Jobwachstum lässt nur langsam nach 

Die Woche endet mit dem potenziell immer marktbewegenden US-Arbeitsmarktbericht, und zwar dem für November. Der US-Arbeitsmarkt bleibt trotz der Entlassungswelle im Technologie-Sektor angespannt und der Stellenzuwachs geht trotz der rasanten Straffung der US-Geldpolitik nur langsam zurück. Volkswirte erwarten, dass die Zahl der Beschäftigten außerhalb der Landwirtschaft um 228.000 zugenommen hat. Die Arbeitslosenquote dürfte bei 3,7 Prozent verharren. Für die Stundenlöhne wird ein Anstieg um 0,4 Prozent prognostiziert.

Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

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November 25, 2022 09:25 ET (14:25 GMT)