Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Das Protokoll der Beratungen des EZB-Rats vom 13./14 April könnte sich in weiten Teilen als "Mostrich nach Tisch" erweisen, in anderen aber durchaus interessant sein. In der Europäischen Zentralbank (EZB) scheint sich die Ansicht durchgesetzt zu haben, dass der Bankeinlagenzins (minus 0,50 Prozent) im Juli angehoben werden sollte. Nachdem sich kürzlich selbst EZB-Präsidentin Christine Lagarde in diesem Sinne äußerte, hat die Zentralbank offenbar mit den Markterwartungen gleichgezogen.

Diese relativ neue Entwicklung dürfte sich in den jüngsten Beratungen des Gremiums aber noch nicht gespiegelt haben, deren Protokoll am Donnerstag (13.30 Uhr) veröffentlicht wird. Analysten werden sich daher wohl auf andere Aspekte der Diskussion konzentrieren - zum Beispiel auf eine neue Passage im geldpolitischen Statement, die den Nutzen eines flexiblen Vorgehens in der Geldpolitik betont.

Daneben gibt es in der Woche Zinsentscheidungen der chinesischen Zentralbank, US-Konjunkturdaten und die zweite Veröffentlichung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) des Euroraums.


   Furcht vor "Fragmentierung" geht um 

Im Führungszirkel der EZB wird seit einiger Zeit über die Gefahr diskutiert, dass im Falle von Zinserhöhungen die Staatsanleiherenditen hoch verschuldeter Länder deutlicher steigen könnten als die anderer Länder. Hierfür wird der Begriff "Fragmentierung" verwendet, der auf die Euro-Staatsschuldenkrise 2011/2012 zurückgeht. Die war mit einem steilen Anstieg südeuropäischer Staatsanleiherenditen verbunden, hinter dem Marktspekulationen darauf standen, dass das eine oder andere Euro-Land seine Schulden nicht mehr in Euro zurückzahlen würde.

Der damalige EZB-Präsident Mario Draghi hatte diese Euro-Krise mit seinem berühmten Versprechen ("We will do what ever it takes") und dem daraus folgenden Programm für gezielte Käufe von Staatsanleihen einzelner Länder (OMT) beendet. Die Renditen sanken, die Spreads ebenfalls, die Geldpolitik wirkte wieder mehr oder weniger gleichmäßig in allen Ländern.


   OMT wurden nie eingesetzt - wegen Auflagen? 

Wirklich eingesetzt wurden Outright Monetary Transactions (OMT) jedoch nie. Das könnte einerseits daran gelegen haben, dass ihre pure Möglichkeit ausreichte, um die Renditen südeuropäischer Staatsanleihen sinken zu lassen. Andererseits wäre ein OMT mit politischen Auflagen verbunden, und letztere werden in den Hauptstädten des Euroraums gar nicht geschätzt.

Nach Aussage von EZB-Vizepräsident Luis de Guindos hat der EZB-Rat bisher noch nicht darüber diskutiert, welches Instrument die EZB gegen Fragmentierung einsetzen könnte, sondern lediglich darüber, gegen welche Sorte der Fragmentierung sie überhaupt vorgehen müsste. Sinngemäß sagte De Guindos, dass die erste Verteidigungslinie gegen Fragmentierung die Fiskalpolitik der Länder sei. Die EZB sollte nach seiner Aussage nur bei "externer", also von den Märkten ausgehender Fragmentierung einschreiten.


   Nagel lehnt "Antifragmentierungsinstrument" ab 

EZB-Ratsmitglied Joachim Nagel mag so ein neues Instrument überhaupt nicht. Er machte kürzlich deutlich, dass er ein OMT-Programm mit politischen Vorgaben bevorzugen würde. Denn nur diese Vorgaben würden am Ende sicherstellen, dass die Schulden eines Landes tragfähig blieben. Möglicherweise finden sich im Protokoll Gegenpositionen zu De Guindos und Nagel.


   Senkt die PBoC dieses Mal die Zinsen? 

Die People's Bank of China (PBoC) gibt am Montag (3.15 Uhr MESZ) bekannt, ob sie angesichts der sich stark eintrübenden Wachstumsaussichten ihre Geldpolitik weiter lockern wird. Bisher hat sie ihre Mindestreserveanforderungen gesenkt, was die Liquidität im Bankensystem erhöhte. Mit dem gleichen Effekt wurde der Bankeinlagensatz reduziert.

Analysten gehen davon aus, dass die am Montag anstehenden Daten zu Einzelhandelsumsätzen, Industrieproduktion und Investitionen wegen der harschen Anti-Corona-Maßnahmen sehr schwach ausfallen werden. Vor diesem Hintergrund rücken die seit Januar unberührten anderen PBoC-Leitzinsen ins Blickfeld.

Am Montag (3.15 Uhr) teilt die Zentralbank mit, ob sie den Zinssatz für Kredit aus ihrer Medium-term Lending Facility (MLF) senkt. Derzeit liegt dieser Satz bei 2,85 Prozent. Senkt sie ihn, dürfte das die Erwartung stützen, dass die PBoC am Freitag (3.15 Uhr) auch die Zinssätze für ein- und fünfjährige Kredite zurückgenommen werden. Derzeit liegen sie bei 3,70 und 4,60 Prozent.


   Eurostat bestätigt Anstieg des Euroraum-BIP im 1. Quartal 

Eurostat hat in einer ersten Veröffentlichung geschätzt, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Euroraums im ersten Quartal um 0,2 Prozent gestiegen ist. Volkswirte prognostizieren, dass die Statistiker dieses Ergebnis bestätigen werden. Tatsächlich sind Revisionen bei Eurostat eher die Ausnahme. Allerdings sind dies unsichere Zeiten, und die Konjunkturdaten schwankungsanfällig. Eurostat veröffentlicht am Dienstag (11.00 Uhr) auch Details zu den wachstumstreibenden und -bremsenden Faktoren.

Die wichtigsten Konjunkturdaten der Woche kommen ansonsten aus den USA. Es sind die zu den Einzelhandelsumsätzen (Dienstag, 14.30 Uhr) und zur Industrieproduktion (Dienstag, 15.15 Uhr). Am Mittwoch (1.50 Uhr) kommt zudem die erste Schätzung des japanischen BIP im ersten Quartal.

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May 16, 2022 01:00 ET (05:00 GMT)