BAD NEUENAHR-AHRWEILER (AFP)--Die Lage in den Hochwassergebieten im Westen Deutschlands hat Einsatzkräfte und Helfer am Wochenende auf eine harte Probe gestellt. Das Technische Hilfswerk (THW) berichtete von Angriffen auf seine Mitarbeiter und beklagte das Streuen von Falschinformationen im Katastrophengebiet. THW, Polizei und Krisenstab forderten zudem freiwillige Helferinnen und Helfer dringend dazu auf, vorerst nicht ins Überschwemmungsgebiet zu reisen. Mehrere Innenminister kritisierten unterdessen das neue Sirenenförderprogramm des Bundes.

Sie habe erlebt, dass "einige Menschen mit Sprinter vorgefahren sind und auch Falschinformationen in der Bevölkerung vor Ort streuen", sagte THW-Vizepräsidentin Sabine Lackner der Onlineausgabe der "Zeit". Sie berichtete zudem von Vorfällen, die sie "in 20 Jahren noch nicht erlebt habe". THW-Mitarbeiter seien nicht nur beschimpft, beleidigt und mit Müll beworfen, sondern auch fotografiert worden, "was unsere Freiwilligen und wir bei unserer Arbeit natürlich bedrohlich finden". Die Angreifer agierten zudem teilweise mit gefälschten Journalistenausweisen.

Hinter den Angriffen steckten frustrierte Flutopfer, vor allem aber Menschen aus der Querdenker- und Prepper-Szene, die sich als Betroffene ausgäben und bewusst Stimmung machten, beklagte Lackner bei RTL/ntv. Bei Preppern handelt es sich um Menschen, die sich mit allerlei Vorrat und Ausrüstung gegen etwaige Katastrophen wappnen, um notfalls autark leben zu können. Zu ihrem Schutz hätten THW-Einsatzkräfte zum Teil ihr Namensschild entfernt, sagte Lackner. Psychisch sei die Situation für die vielen Ehrenamtlichen sehr belastend.

Nach Angaben des THW hatten zuletzt rund 30.000 Menschen in den Flutgebieten kein Trinkwasser, keinen Strom oder mussten sogar auf beides verzichten. Das THW bereitet sich demnach auf einen längeren Einsatz vor. "Wir gehen derzeit davon aus, dass wir noch einige Wochen vor Ort sein werden."

Trotzdem rief das THW die Bevölkerung dazu auf, zunächst nicht mehr zu freiwilligen Hilfseinsätzen ins Katastrophengebiet zu reisen. Es seien bereits tausende Helfer vor Ort, "und schon allein das muss koordiniert werden", sagte Lackner. "Wenn mehr Menschen in die Katastrophengebiete reisen, dann wird die Lage für uns unübersichtlich."

Am Samstag hatten dies bereits Krisenstab und Polizei in Koblenz gefordert. Durch die ungebrochene Hilfe in der Bevölkerung seien sämtliche Zufahrtsstraßen zum Ahrtal sowie Straßen im Katastrophengebiet selbst "völlig überlastet", hieß es zur Begründung. Daher standen auch Baumaschinen für den Straßen- und Brückenbau sowie für die Trinkwasserversorgung im Stau und Müllfahrzeuge und Rettungswagen kamen nicht durch.

Angesichts der auch für das Wochenende angesagten Regenfälle überwachte das THW die Pegelstände in den Unwetterregionen. Im Südosten des Landes war das Unwetterpotenzial am Sonntag erhöht, wie der Deutsche Wetterdienst mitteilte. In Baden-Württemberg sorgten starke Regenfälle für Behinderungen.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) forderte unterdessen deutlich mehr Geld für den Wiederaufbau eines engmaschigen Warnsystems. "Ich begrüße das Förderprogramm zur Aufstellung von Sirenen des Bundes, das aber noch deutlich aufgestockt werden sollte", sagte er der "Welt am Sonntag". Gerade nachts und bei drohenden Lebensgefahren sei ein durchdringender Sirenenwarnton nötig, um möglichst alle Bürger zu erreichen.

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) sieht den Bund "eindeutig in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass ein bundesweit funktionierendes, flächendeckendes Warnsystem wieder installiert wird". Eine Einmalzahlung von 90 Millionen Euro sei aber nur ein Bruchteil dessen, was wirklich gebraucht werde.

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July 25, 2021 09:40 ET (13:40 GMT)