Angst vor einem Zinsschock, ein Marktkommentar von Christopher
Kalbhenn
Frankfurt (ots) - Ein leichtes Beben lässt die Aktienmärkte erzittern und hat
der Rekordjagd ein vorläufiges Ende bereitet. Unter den Anlegern geht die Angst
vor einem Zinsschock um, seit die Verzinsungen an den Staatsanleihenmärkten zum
Höhenflug angesetzt haben. Denn ein deutlicher Anstieg der Anleihezinsen würde -
wenn sich die Entwicklung fortsetzt - die relative Attraktivität von
Dividendentiteln spürbar schmälern und eine Bewertungskompression nach sich
ziehen. Damit würde das Ertragspotenzial von Aktienanlagen empfindlich
geschmälert. Möglicherweise wäre sogar ein Aktienjahrgang mit roten Vorzeichen
zu befürchten. In den zurückliegenden vier Wochen ist die Verzinsung der
zehnjährigen amerikanischen Staatsanleihe, die am Donnerstag auf ein
Zwölfmonatshoch von 1,61 % gestiegen ist, um bis zu rund 0,6 Prozentpunkte
gestiegen. Noch so ein Schub, und es wird eng.

Aber so weit ist es noch nicht. Auch wenn sich Marktbewegungen für eine gewisse
Zeit verselbstständigen und übers Ziel hinausschießen können, sind den
Staatsanleiherenditen Grenzen nach oben gesetzt. In Europa, den USA und Japan
halten die Notenbanken ihre Leitzinsen nahe beziehungsweise unter null, was die
am langen Ende im Zaum halten wird. Befürchtungen vor einem Bondmarkt-Crash mit
stark steigenden Renditen wie im Jahr 1994 sind auf jeden Fall unangebracht.
Seinerzeit gab es eine Staatsanleihen-Euphorie, die zusammenbrach, als die Fed
völlig überraschend eine Leitzinserhöhung verkündete. 2021 fahren die
Zentralbanken einen ultralockeren Kurs und haben klar zu verstehen gegeben, dass
sie angesichts der vom Coronaschock angerichteten ökonomischen Schäden nicht
daran denken, frühzeitig davon abzukehren. Und zuletzt wurde etwa seitens von
EZB-Vertretern signalisiert, dass sie bereit sind, mit Käufen einzuschreiten,
falls weiter steigende Renditen zu Verwerfungen führen sollten.

Aus Sicht der Aktienmärkte sind vor allem die Gründe für den Anstieg der
langen
Zinsen relevant. Sie klettern, weil die Überwindung der Pandemie und das sich
abzeichnende Ende der Lockdowns in Kombination mit massiven fiskalischen Stimuli
zu einer kräftigen Erholung der Wirtschaft einhergeht, die einen Anstieg der
Inflationsraten zur Folge haben wird. Das ist alles andere als ein
grottenschlechtes Umfeld für Aktien und andere Risiko-Assets wie etwa
Unternehmensanleihen.

Genau genommen geben die Aktienmärkte derzeit gar nicht in ihrer Gesamtheit
nach. Vielmehr stehen vor allem sehr hoch bewertete Titel und Sektoren
beziehungsweise Wachstums- und defensive Aktien unter Druck. Aufwind erhalten
dagegen seit langem, nicht erst seit dem Coronaschock underperformende Substanz-
und zyklische Aktien. Am Donnerstag gaben, wie an der sehr schwachen Entwicklung
des Nasdaq Composite abzulesen war, Technologieaktien überproportional nach. Es
findet also eine Umschichtung beziehungsweise eine Rotation in Sektoren statt,
die vom Konjunkturaufschwung und höheren Anleiheverzinsungen profitieren,
darunter Bankaktien.

In den zurückliegenden vier Wochen hat etwa der Stoxx Europe Banks um 14 %
zugelegt, während der Gesamtmarktindex Stoxx Europe 600 sich mit 0,5 % begnügen
musste. Deutlich outperformende Bankaktien sind ein klares Signal, dass neben
einem Bondmarkt-Crash à la 1994 derzeit wohl auch eine große Finanzkrise à
la
2008/2009 nicht unmittelbar befürchtet werden muss. Dennoch könnte eine
unruhigere Phase an den Aktienmärkten bevorstehen, wenn die Anleiherenditen in
der nächsten Zeit weiter steigen sollten. Um die Entwicklung zu interpretieren,
muss aber auch berücksichtigt werden, dass die Aktienmärkte seit dem
Corona-Crash einen fantastischen Lauf hatten und zudem die Stimmung der
Marktteilnehmer zuletzt teilweise den Tiefrosa-Bereich erreicht hatte. Eine
Korrektur ist da nur normal.

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