Bondrenditen im Keller, Marktkommentar von Kai Johannsen
Frankfurt (ots) - Es gibt Marktakteure, die räumen der allerersten Reaktion des
Kapitalmarktes oder eines bestimmten einzelnen Marktsegmentes die höchste
Bedeutung ein, wenn es darum geht, zu beurteilen, was für die künftige
Entwicklung dieses Marktes - Zinsen, Aktien, Devisen oder Rohstoffe -
entscheidend also richtungsweisend ist. Die Bekanntgabe von Konjunkturdaten,
Notenbankbeschlüssen, Äußerungen von Zentralbankvertretern und andere
Nachrichten mehr, die wichtige Einflussfaktoren für die Märkte darstellen,
werden also nur danach beurteilt, wie die erste Reaktion von Zinsen etc.
ausgefallen ist und nicht wie die spätere Entwicklung aussah, wenn zahlreiche
Analysten sich zu Wort gemeldet haben oder Notenbankvertreter auf
Pressekonferenzen Rede und Antwort standen und die Nachrichten durch Medien
gewandert sind - sprich, wenn der Markt nicht nur auf die Nachricht selbst
reagiert hat, sondern auch das ganze "einordnende Drumherum" verarbeitet hat.

Wenn man diese "Marktreaktionsphilosophie" zugrunde legt und sich die Reaktion
des Zinsmarktes auf den jüngsten Entscheid der Europäischen Zentralbank (EZB)
ansieht, dann ist der Weg für die Anleiherenditen in der Eurozone klar
vorgezeichnet für die nächsten Monate. Unmittelbar vor der Bekanntgabe des
EZB-Beschlusses lag die zehnjährige Bundrendite bei knapp unter -0,37 %. Die
Nachrichten liefen über den Ticker, wenige Minuten später waren es weniger als
-0,41 % mit Tendenz zu -0,42 %. Abends waren es dann -0,43 %. Zum Vergleich: Als
am Montag der abgelaufenen Woche die Aktienmärkte einen heftigen Rücksetzer
erlebten, war es ein Renditerückgang bei der zehnjährigen Bundesanleihe von
knapp 10 Basispunkten (BP) - im Tagesvergleich; Donnerstag nun 5 BP im
Minutentakt. Der Zinsmarkt zeigte an, wo die Reise hingeht.

Die EZB festigte auf der jüngsten Sitzung ihre ultralockere Geldpolitik. Eine
Zinsänderung gerät damit immer mehr außer Sichtweite - mancher im Zinsmarkt
hat
ohnehin nicht an eine nahende Zinserhöhung geglaubt. EZB-Chefin Christine
Lagarde machte den Marktteilnehmern klar, dass niemand der Verantwortlichen die
Geldpolitik zu früh straffen will. Im Umkehrschluss: Man wartet lieber noch
länger, als ohnehin mancher Investor bisher angenommen hatte. Lagarde hielt
fest, dass die günstigen Finanzierungsbedingungen in der Eurozone
aufrechterhalten werden müssen und dass man jedweder Verschärfung dieser
Finanzierungsbedingungen entgegentreten werde, die gegen die Ziele geht. Und
auch für diejenigen, die von der Inflationsseite her für höhere Zinsen
argumentieren, hatte sie etwas parat: Man erwartet, dass die Inflation in den
kommenden Monaten ansteigt, dann zu Beginn des kommenden Jahres aber wieder
schwächer wird. Summa summarum: Die EZB hält die Leitzinsen niedrig und kauft
Bonds, um die Renditen ebenfalls auf tiefem Niveau zu halten. Nix da Zinswende!

Für die Staatsanleihemärkte und diverse andere Bondmarktsegmente, in denen die
EZB mit Käufen aktiv ist, heiß das: Die Renditen bleiben niedrig. Sollte die
Pandemie aufgrund der sich rasant ausbreitenden Delta-Variante des
Covid-19-Virus wieder schärfer um sich greifen, erneute Lockdowns notwendig
werden, die damit heftige wirtschaftliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen,
ist davon auszugehen, dass auch die EZB der Wirtschaft noch mehr zur Seite
springt. Mit anderen Worten: Dann rückt die erste Zinserhöhung nochmals weiter
in die Ferne. Anleiherenditen bleiben dann noch länger niedrig. Für die
Aktienmärkte heißt das, dass die Geldschwemme weitergeht. In den vergangenen
Jahren hat diese die Aktien immer weiter angetrieben. Nun haben die
Dividendenpapiere aber schon recht anspruchsvolle Bewertungen erreicht. Neben
der Zinsentwicklung spielt hier eine Rolle, wie stark die Wirtschaft durch die
Pandemie in Mitleidenschaft gezogen wird.

Für die Gemeinschaftswährung bedeutet diese Aussicht, dass sie sich gegenüber
dem Greenback wohl kaum enorm festigen wird - ceteris paribus. Denn es kommt
darauf an, wie die US-Notenbank Fed die Lage beurteilt. Fed-Chef Jerome Powell
hat aber auch immer wieder deutlich gemacht, dass er die Inflationsanstiege
ebenfalls für ein vorübergehendes Phänomen hält. Vor diesem Hintergrund
sieht
sich die Fed also auch nicht unter Zugzwang in Sachen Leitzinsen. Zudem gilt die
Fed als sehr zögerlich, denn auf die erste Leitzinsanhebung nach der Finanzkrise
musste der Markt ja auch einige Jahre warten. Wie die Fed die Lage aktuell
beurteilt und sich entscheidet, erfahren die Anleger am kommenden Mittwoch und
sie können um 20 Uhr MESZ erstmals reagieren.

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