Haarsträubend normal, Kommentar zur Crédit Suisse von Jan Schrader
Frankfurt (ots) - Vier Worte drängen sich nach einem Skandal leicht auf: Wie
kann man nur! Unverständnis macht sich breit, wenn das Vorspiel der Pleite des
Hedgefonds Archegos von den Prüfern am Beispiel der Credit Suisse aufgedröselt
wird. Ihr Befund ist deutlich: Lethargie in der Risikodisziplin, ein Mangel an
Verantwortlichkeit, ein systematisches Ignorieren von Warnsignalen, eine
fehlende Streitkultur und Scheu vor einer Eskalation. Am Ende sind 5 Mrd. sfr
verdampft.

Doch der Eindruck, dass ein Bankvorstand Skandale leicht verhindern kann, indem
er mit gutem Willen und gesundem Menschenverstand einfach nur hinsieht, könnte
ein Trugschluss sein. Skandale passieren viel zu häufig. Wie bereitwillig etwa
haben viele hiesige Banken und Fonds Wirecard Geld anvertraut, wie häufig haben
diverse Adressen Geldsummen für windige Kunden transferiert und Bußgelder
kassiert, wie teuer kommt die Greensill-Havarie - noch so eine spektakuläre
Pleite - nicht nur Fondsanleger der Credit Suisse, sondern über Umwege auch die
deutsche Kreditwirtschaft zu stehen! So haarsträubend jeder Fall auch ist, so
regelmäßig treten gravierende Fehltritte auf, dass sie fast schon normal
erscheinen - nur das sollten sie nicht sein.

Es ist paradox: Zur Skandal-Prophylaxe ist Verständnis für die haarsträubenden
Fehltritte wichtig. Die Beziehung der Credit Suisse zu Archegos war lange
gewachsen, das Unternehmen über Jahre erstaunlich er­folg­reich, auch andere
Banken be­dienten den Hedgefonds be­reitwillig. In dieser Gemengelage war es
schwierig, ein profitables und augenscheinlich be­herrschbares Engagement in
Frage zu stellen. Unternehmen sind komplexe Gebilde, Führungskräfte mitunter
blind, Gruppen ähnlich denkender Menschen anfällig für Fehleinschätzungen.
Es
ist haarsträubend, welche Risiken Archegos, finanziert von Banken, aufbauen
konnte. Gerade deshalb sollte ein Skandal nicht als Gier der Dummen und Dreisten
abgetan werden.

Haarsträubend ist aber auch, was Credit-Suisse-Chef Thomas Gottstein zu
Protokoll gibt: Von Archegos habe er bis zur Berichterstattung noch nie etwas
ge­hört! Der Manager kann froh sein, dass der Prüfbericht das Versagen in der
ersten und zweiten Reihe sieht, weniger in der obersten Etage. Und er hat Glück,
dass der Abgang seines Vorgängers Tidjane Thiam, der nach einem Abhörskandal
nicht mehr haltbar war, wenig mehr als ein Jahr her ist und die Credit Suisse
nicht direkt wieder einen CEO austauschen mag. Noch ein Skandal aber, und
Gottstein muss gehen. Auch das wäre im Bankgeschäft normal.

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