Schaun mer mal, Kommentar zum Bundesverfassungsgericht von Detlef
Fechtner
Frankfurt (ots) - Das Bundesverfassungsgericht hat den Eilantrag abgelehnt, mit
dem Kläger um AfD-Mitgründer Bernd Lucke den EU-Wiederaufbaufonds zunächst
einmal stoppen wollten - und damit die Aufnahme von bis zu 750 Mrd. Euro durch
die EU-Kommission an den Kapitalmärkten. Die Erleichterung bei
Regierungspolitikern und Volkswirten über die Verweigerung des Eilrechtsschutzes
ist laut vernehmbar. Das Verfassungsgericht, so heißt es in Research-Abteilungen
und Fraktionen, habe den EU-Wiederaufbaufonds bereits "faktisch durchgewunken".
In der Hauptsache des Verfahrens seien "keine Überraschungen" mehr zu erwarten.

Wenn das mal nicht zu voreilig ist. Das Verfassungsgericht ist bei seiner
summarischen Prüfung nämlich gerade nicht zu einer eindeutigen Einschätzung
der
Erfolgsaussichten gelangt. Es beschränkt sich darauf, dass eine "hohe
Wahrscheinlichkeit" für einen Verstoß nicht feststellbar sei. Na ja, das
bedeutet nicht viel. Zumal die Richter betonen, dass sich "der Ausgang des
Hauptsacheverfahrens als offen erweist". In drei Worten zusammengefasst: Schaun
mer mal.

Im Zuge der daran anschließenden Folgenabwägung lehnt das Gericht zwar den
Eilantrag ab. Damit ist die Sache aber noch längst nicht am Ende. Es ist
absehbar, dass das Bundesverfassungsgericht nun den Europäischen Gerichtshof
(EuGH)um Klärung der Frage ersucht, ob die EU-Kommission überhaupt in
größerem
Umfang Schulden aufnehmen darf. Allein dieser prozessuale Schritt könnte für
neue Verunsicherung an den Anleihemärkten sorgen. Und selbst wenn der EuGH die
Vorbehalte aus Karlsruhe für unbegründet hält, wäre auch dann die Saga
nicht
abgeschlossen. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht im vorigen Mai
demon­striert, dass es zum Krawall bereit ist, wenn ihm Luxemburger
Entscheidungen nicht passen. Kurzum: Der EU-Wiederaufbaufonds hat eine Hürde
genommen. Aber nicht die letzte.

Das ist bedauerlich. Denn es gibt sehr viele gute Gründe für den
EU-Wiederaufbaufonds. Und es gibt auch sehr viele gute Gründe - sowohl politisch
als auch verfassungsrechtlich - für die Vereinbarkeit einer Schuldenaufnahme der
EU-Kommission in Krisenzeiten mit dem Grundgesetz. Schließlich ist die
europäische Integration dynamisch, nicht statisch. Dass das
Bundesverfassungsgericht im Hauptsacheverfahren zu einem Urteil gelangt, das der
EU-Kommission einen klar definierten Spielraum zur temporären Schuldenaufnahme
zugesteht, kann man daher hoffen. Wissen tut man es aber leider noch nicht.

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