Übergangslösung, / Kommentar von Sebastian Schmid zum neuen
Aufsichtsratsvorsitzenden von Daimler
Frankfurt (ots) - Branchenkenntnis kann man Bernd Pischetsrieder nicht
absprechen. Der 72-Jährige, der vom neu konstituierten Daimler-Aufsichtsrat nach
der Hauptversammlung am 31. März an die Spitze des Gremiums gewählt werden
dürfte, stand bis zur Jahrtausendwende gut sieben Jahre an der Spitze von BMW.
Vier Jahre hielt er sich im Wolfsburger Haifischbecken als Vorstandsvorsitzender
des VW-Konzerns, ehe ihn Ferdinand Piëch absägte - kurz nach seiner
Vertragsverlängerung.

Doch qualifiziert ihn das als Oberaufseher von Daimler? Pischetsrieders
Managementerfahrung liegt in der sich schnell wandelnden Branche eine halbe
Ewigkeit zurück. Zur Einordnung: Der ehemalige Daimler-CEO Dieter Zetsche, der
zunächst als Nachfolger von Aufsichtsratschef Manfred Bischoff vorgesehen war,
übernahm 2006 die Führung in Stuttgart - im selben Jahr also, in dem
Pischetsrieders Managementkarriere jäh beendet wurde.

Zetsche verzichtete letztlich auf die Kandidatur für den Aufsichtsrat, weil ihm
von außen vorgeworfen wurde, seinem Nachfolger Ola Källenius zu viele Baustellen
hinterlassen zu haben. Doch hat Pischetsrieder Zetsches Kurs im Aufsichtsrat
seit 2014 begleitet. Ein Neuanfang ist mit ihm also genauso wenig zu haben.

Da er sich selten öffentlich äußert, ist zudem unklar, wie der künftige
Sparringspartner von Källenius den technologischen Wandel selbst einschätzt. In
einem der wenigen Interviews vor knapp einem Jahr ließ Pischetsrieder zumindest
durchblicken, dass er eine Branchenrevolution wie im Mobilfunk mit der Ankunft
des iPhones nicht fürchtet. Die Ausgangslage sei eine gänzlich andere.

Der Daimler-Vorstand scheint davon weniger überzeugt. Källenius drückt bei der
Transformation aufs Tempo und eckt damit auch beim Betriebsrat an. Die Sorge des
Daimler-Chefs ist nicht nur, dass Tesla mit der E-Mobilität im Vorteil ist. Vor
allem bei der Software macht er einen Rückstand aus und setzt auf die Expertise
und Innovationskraft von Chip-Partner Nvidia.

Gerade vor dem Hintergrund der Herausforderungen der kommenden Jahre ist
Pischetsrieders stark in der alten Automobilindustrie verhaftete Vita eher eine
Bürde denn ein Prädikat. Monate nachdem Zetsche erklärt hat, nicht als
Aufsichtsratschef zur Verfügung zu stehen, zeigt sich, dass Daimler keinen Plan
B hatte. Pischetsrieder ist wohl der kleinste gemeinsame Nenner - statt eines
Generationswechsels kommt eine Übergangslösung. Zu wenig angesichts der
Herausforderungen.

(Börsen-Zeitung, 04.12.2020)

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