FRANKFURT (dpa-AFX) - Die Europäische Zentralbank (EZB) hat mit einer Reihe geldpolitischer Maßnahmen auf die aktuelle Konjunkturflaute und die niedrige Inflation in der Eurozone reagiert. Unter anderem müssen Banken künftig noch höhere Strafzinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken. Zudem steckt die Notenbank frische Milliarden in Anleihenkäufe.

Die Einschätzungen der Ökonomen im Überblick:

Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank

"Das heutige Lockerungspaket war umfassend. Trotzdem erwarten wir, dass die EZB ihren Einlagenzins im kommenden Frühjahr um weitere 10 Basispunkte auf minus 0,6 Prozent senken und das monatliche Volumen ihrer Nettoanleihenkäufe um 10 auf 30 Milliarden Euro erhöhen wird. Dafür spricht vor allem, dass die Wachstumsprognosen der EZB noch immer viel zu optimistisch sind. So erwartet die EZB für das kommende Jahr ein Wachstum von 1,2 Prozent, wogegen wir wegen der bis zuletzt gefallenen Konjunkturindikatoren nur mit 0,7 Prozent rechnen."

Christian Lips, Chefvolkswirt NordLB

"Die Währungshüter stemmen sich mit der Bazooka gegen die anhaltenden politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten, was auch in den nochmal gesenkten Projektionen zum Ausdruck kommt. Aus ökonomischer Sicht bekommen die Einzelinstrumente vor allem in Kombination mit der Stärkung der Forward Guidance mehr Gewicht. Dennoch stößt die Geldpolitik an ihre Grenzen und spielt daher zurecht den Ball ins Feld der Fiskalpolitik. Ohne ein Wachstumsprogramm bleibt jede Kritik aus der Politik an der EZB wohlfeil."

Klaus Bauknecht, Chefvolkswirt Deutsche Industriebank

"Die EZB sendet heute ein klares Signal: Nicht ein neutraler Zinssatz ist das Ziel, sondern ein Zinssatz, der die Konjunktur ausreichend unterstützt. Damit liegt der Fokus auf der Beeinflussung der Konjunktur - unabhängig von dem bereits existierenden Ausmaß der geldpolitischen Lockerung. Am Ende wird das für nachhaltig höhere Zinsen sorgen - es sei denn, der Geldpolitik wird keine Effektivität mehr attestiert, was angesichts ihres Einflusses auf die Fiskalpolitik anzuzweifeln ist. Denn sie ermöglicht mehr Handlungsspielraum durch eine sinkende Zinslast."

Thomas Gitzel, Chefvolkswirt VP Bank

"In Anbetracht schlechter Konjunkturdaten musste Mario Draghi handeln. Insbesondere Deutschland entwickelt sich zum Sorgenkind. Die größte Volkswirtschaft der Eurozone dürfte bereits in der Rezession stecken. Das neue geldpolitische Credo heißt dabei: Handeln bevor es zu spät ist - wir sehen das auch eindrücklich bei der US-Notenbank Fed. Die Gefahr ist in der Tat groß, dass die Schwäche Deutschlands auf den gesamten Währungsraum abfärbt. Noch geht es Frankreich verhältnismäßig gut. Draghi beugt also vor und erhöht den Druck des geldpolitischen Feuerwehrschlauchs."

Uwe Burkert, Chefvolkswirt und Leiter LBBW Research

"In der Summe sieht es ein wenig danach aus, als erwarte der EZB-Rat eine noch deutlichere Abschwächung der Konjunktur als bislang in den Projektionen vorgesehen. Man könnte auch sagen, er sieht eine Rezession über dem Euroraum heraufziehen. Alles weitere überlässt Draghi aber dann Christine Lagarde."

Carsten Brzeski, Chefvolkswirt Deutschland ING Bank

"Das ist Mario Draghis finales 'whatever it takes'. Bei aller Markterregung bleibt die Frage, ob dies ausreichen wird, um Wachstum und Inflation wieder auf Kurs zu bringen. (...) Es ist klar, dass Draghis letzter Stunt ohne fiskalische Anreize nicht unbedingt zu einem glücklichen Ende führen wird."

Friedrich Heinemann, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs "Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft"

"Für die neue EZB-Präsidentin ist die heutige Entscheidung eine schwere Hypothek: Sie verfügt kaum mehr über Handlungsspielraum und ist mit der unter der Präsidentschaft von Draghi entstandenen überzogenen Erwartungshaltung der Märkte an die Allmacht der EZB konfrontiert."

Ulrich Wortberg, Analyst Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba)

"Nun stellt sich aber die Frage, wie es weitergeht und ob die Geldpolitik die Grenze des Möglichen allmählich erreicht hat. Die Einführung des Staffelzinses ist ein Hinweis darauf, kann aber kritisch hinterfragt werden. Dadurch, dass viele Geschäftsbanken mit Einlagen bei der EZB nun besser leben können, wird die Wirkung der Geldpolitik abgeschwächt. Der Anreiz, Kredite zu vergeben, sinkt tendenziell."/jsl/stw