FRANKFURT (dpa-AFX) - Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hat sich im Mai erstmals seit einem halben Jahr wieder eingetrübt. Das Ifo-Geschäftsklima fiel zum Vormonat um 1,7 Punkte auf 91,7 Zähler, wie das Ifo-Institut am Mittwoch in München mitteilte. Zuvor war das wichtigste deutsche Konjunkturbarometer sechs Monate in Folge gestiegen.

Volkswirte hatten im Schnitt einen weniger starken Rückgang auf 93,0 Punkte erwartet. Die künftigen Geschäfte werden von den 9000 befragten Unternehmen deutlich schlechter als im Monat zuvor eingeschätzt. Auch die aktuelle Lage bewerten die Unternehmen im Mai weniger gut.

Jörg Zeuner, Chefvolkswirt Union Investment:

"Es zeichnet sich ab: Der Rückenwind nach der Corona-Pandemie hat an Kraft verloren. Bislang profitierte die Konjunktur von aufgestauter Nachfrage, angesparten Reserven und einem wieder vollumfänglichen Waren- und Dienstleistungsangebot. Auch das Ausbleiben eines Energieengpasses hat einen Einbruch der Wirtschaftsleistung über den Winter verhindert, aber der Effekt trägt nur noch wenig. Gleichzeitig nimmt der Gegenwind spürbar zu. Die Nachfrage in der Industrie liegt teils deutlich unter dem Produktionsvolumen, und die Unternehmen bauen im Wesentlichen ihre Auftragsbestände ab."

Andreas Scheuerle, Leiter Industrieländerkonjunktur bei der Dekabank:

"Schon das erste Quartal brachte der deutschen Volkswirtschaft eine Stagnation. Für das zweite Quartal droht gar eine Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts. Zu den Belastungen infolge der Kaufkraftvernichtung treten zunehmend die Folgen der Bekämpfung der Inflation. Die Geldpolitik tritt nicht nur hierzulande auf die Bremse. Der rasante globale Zinsanstieg lastet auch auf der Konjunktur wichtiger Handelspartnerländer, wie beispielsweise den USA oder Großbritannien. Das schmälert die deutschen Exporterfolge."

Thomas Gitzel, Chefvolkswirt VP Bank:

"Von wirtschaftlicher Erholung kann keine Rede sein. Die Konjunkturrisiken haben wieder zugenommen. Es ist davon auszugehen, dass die deutsche Wirtschaft im zweiten Halbjahr schrumpfen wird. Die noch immer hohen Inflationsraten und die deutlich gestiegenen Zinsen werden ihre vollen negativen Konsequenzen erst noch zeigen."

Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank:

"Der erste deutliche Rückgang des Ifo-Geschäftsklimas seit Oktober ist kein Ausreißer. Denn andere wichtige Frühindikatoren wie der Einkaufsmanagerindex für die Industrie oder die Auftragseingänge weisen bereits klar nach unten. Alles in allem sind die Konjunkturrisiken in den zurückliegenden Monaten deutlich gestiegen. Wir halten eine technische Rezession in der zweiten Jahreshälfte für wahrscheinlicher als eine konjunkturelle Erholung, die die meisten Volkswirte noch immer erwarten."

Jens-Oliver Niklasch, Analyst Landesbank Baden-Württemberg:

"Ein weiteres Schwächesignal. Das sieht weiterhin nach Rezession aus. Schon die Konjunkturdaten im März waren besorgniserregend. Die Abschwächung scheint sich fortzusetzen. Einerseits entfalten die höheren Zinsen ihre Wirkungen, dann belastet die Teuerungswelle inklusive Lohnentwicklung der letzten Quartale. Sonstige Faktoren wie die Konjunktur in China oder in den USA sprechen ebenfalls gegen die hiesige Wirtschaft. Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung spendet auch wenig Hoffnung. Das zweite Quartal dürfte vermutlich eine nachlassende Wirtschaftsleistung verzeichnen."

Ulrich Wortberg, Analyst Landesbank Hessen-Thüringen:

"Bleibt zu hoffen, dass eine Rezession vermieden werden kann. Wir halten im Jahresverlauf eine Erholung für möglich - getragen vom vergleichsweise robusten Dienstleistungssektor. Die Zinserwartungen bezüglich der Europäischen Zentralbank dürften mit dem Ifo-Index kaum forciert werden."

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