FRANKFURT (dpa-AFX) - Die vierte Corona-Welle hat die deutsche Wirtschaft zum Ende des vergangenen Jahres ausgebremst. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpfte im vierten Quartal gegenüber dem Vorquartal überraschend deutlich um 0,7 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Freitag in Wiesbaden in einer ersten Schätzung mitteilte. Im Vergleich zum vierten Quartal 2019, dem Vierteljahr vor Beginn der Corona-Krise, lag das BIP um 1,5 Prozent niedriger. Einschätzungen von Ökonomen im Überblick:

Thomas Gitzel, Chefvolkswirt VP Bank

"Der Abwärtssog war gewaltig. Die deutsche Wirtschaft steckte in der Corona- und Materialmangelfalle fest. Das hohe Infektionsgeschehen und die damit einhergehenden Beschränkungen belasteten einmal mehr den Dienstleistungssektor. Ausdruck dessen ist ein schwacher privater Konsum, der zu den Hauptverantwortlichen des BIP-Rückgangs zählt. Gleichzeitig litt die Industrie unter dem prekären Mangel an Vorprodukten und Rohstoffen. Es muss deshalb nicht weiter verwundern, dass sich das deutsche Bruttoinlandsprodukt im Rückwärtsgang befand."

Jens-Oliver Niklasch, Volkswirt Landesbank Baden-Württemberg

"Der Rückgang fiel erheblich größer aus als von uns erwartet. Frappierend vor allem der Kontrast zu den übrigen großen Staaten der Europäischen Währungsunion. Dies zeigt, wie stark die Corona-Einschränkungen die Wirtschaft belasten - oder eben auch nicht. Für das erste Quartal des laufenden Jahres ist daher weiter Vorsicht angezeigt, zumal üblicherweise hohe Inflation eine echte Konsumbremse ist. Mittelfristig sollten dann die Auftriebskräfte der Konjunktur, wie sie sich derzeit insbesondere im regen Auftragseingang zeigen, die Oberhand behalten."

Nils Jannsen, Leiter Konjunktur Deutschland am IfW Kiel

"Die Pandemie hat die Erholung der deutschen Wirtschaft vorerst ausgebremst und im vierten Quartal für einen deutlichen Rückgang der Wirtschaftsleistung gesorgt. Maßgeblich war, dass das zunehmende Infektionsgeschehen wie in den früheren Wellen vor allem die Aktivität in den konsumnahen Dienstleistungsbranchen gebremst hat. Die Belastungen durch die Lieferengpässe haben sich im vierten Quartal zumindest nicht weiter verschärft. Die Wertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe dürfte erstmals nach drei Quartalen wieder gestiegen sein."

Andrew Kenningham, Chefvolkswirt Europa Capital Economics

"Der Rückgang der Wirtschaftstätigkeit Ende letzten Jahres ließ das BIP deutlich unter sein Vorpandemieniveau fallen. Obwohl sich die Aktivitäten im Januar stabilisiert zu haben scheinen, sodass Deutschland eine technische Rezession vermeiden sollte, vermuten wir, dass das BIP-Wachstum in diesem Jahr erneut enttäuschend ausfallen wird."

Carsten Brzeski, Chefvolkswirt ING

"Die deutsche Wirtschaft ist zum Jahreswechsel in den Winterschlaf gegangen. Neue Beschränkungen zur Bewältigung der vierten Welle der Pandemie und der Omikron-Welle sowie höhere Energiepreise belasteten den privaten Konsum. Mit diesem schwachen vierten Quartal ist die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass Deutschland zum Jahreswechsel in einer regelrechten Rezession steckt. Die hohen Energiepreise werden den privaten Konsum weiter belasten, auch wenn die sozialen Restriktionen in den kommenden Wochen aufgehoben werden."

Ulrich Wortberg, Analyst Landesbank Helaba

"Die Wachstumsdelle im Schlussquartal hatte sich abgezeichnet, nachdem das Wachstum für das Gesamtjahr 2021 bereits bekanntgegeben wurde. Daraus hatte sich ein Minus für das vierte Quartal abgeleitet. Im Verlauf dieses Jahres dürfte die konjunkturelle Dynamik jedoch wieder größer werden, wenngleich das erste Quartal noch von der Omikron-Ausbreitung negativ beeinflusst wird."

Christian Lips, Chefvolkswirt NordLB

"Der Rückgang der Wirtschaftsleistung war abzusehen. Die Bremseffekte durch die vierte Coronawelle und die erneuten Verschärfungen der staatlichen Schutzmaßnahmen waren im vierten Quartal zu stark und konterkarierten die moderate Erholung in der Industrie. Zwar bleiben die Belastungen in der Industrie durch Knappheiten sehr hoch, hinzu kommt der Energiepreisschub der vergangenen Monate. Gegenüber der sehr stark gedrosselten Produktion im Sommer hat das Verarbeitende Gewerbe im Herbst aber offensichtlich zumindest etwas Boden wieder gut machen können."

Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank

"Für das erste Quartal legen schwache Echtzeitindikatoren ein weiteres Minus nahe. Ab dem Frühsommer rechnen wir aber weiter mit einer kräftigen Erholung. Wir bestätigen unsere Wachstumsprognose von drei Prozent für das gesamte Jahr 2022. Die Berücksichtigung der beträchtlichen Lizenzeinnahmen von Biontech hat zwar zu deutlichen Revisionen zurückliegender Daten geführt, in der Summe die Ausgangsbasis für die 2022er Prognose aber kaum verändert."

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