BUENOS AIRES (dpa-AFX) - Sie kamen zu Tausenden, sie weinten, schrien, jubelten. In Trikots mit der magischen Nummer zehn, mit roten Rosen, alten Fotos. Die Bestürzung hinter Corona-Masken verborgen. Der Regierungspalast von Buenos Aires wurde am Tag nach dem Tod von Diego Armando Maradona zur Pilgerstätte in skurriler Szenerie. Um zum aufgebahrten Leichnam ihres Idols vordringen zu können, warteten die trauernden Argentinier in abgesperrten Bereichen und langen Schlangen, Kameras übertrugen die Bilder in die ganze Welt.

"Es ist unheimlich schade, unfassbar traurig. Er war ein begnadeter Fußballer", sagte Franz Beckenbauer im fernen Deutschland "Sport1". Die deutsche Fußball-Ikone trauerte um den immerzu auf dem schmalen Grat tänzelnden Argentinier wie die ganze Welt. Weit über den Sport hinaus. Auf der anderen Seite des Atlantiks, in Neapel, wo Maradona ebenso gottgleich verehrt wird, erhellten bengalische Lichter die Nacht zum Donnerstag.

"Er war ein außergewöhnlicher Spieler. Wir stehen für immer in seiner Schuld", sagte Argentiniens Staatschef Alberto Fernández im Fernsehsender TyC Sports. Im Stadion der Boca Juniors, bei denen Maradona entscheidende Schritte zum Weltstar gemacht hatte, brannte in der Nacht nur ein Licht - in der Loge Maradonas.

"Was Diego für den Fußball und dafür getan hat, dass wir uns alle in dieses schöne Spiel verliebt haben, ist einzigartig", sagte FIFA-Präsident Gianni Infantino. Der Argentinier, der mit so vielen Höhen und Tiefen eigentlich zu viel für ein einziges Leben erlebt hatte, war am Mittwoch im Alter von nur 60 Jahren in seinem Haus in Tigre an einem Herzinfarkt gestorben.

"Als Spieler, geschweige denn als Mann, der ein düsteres Lebensepos lebte, war er sui generis und beschwor einen Zauber herauf, den niemand übertreffen konnte", schrieb der britische "Telegraph" am Donnerstag, in Italien die "Gazzetta dello Sport": "Der Fußball weint um den Größten von allen."

Fast unmittelbar nachdem die Nachricht die Welt schockiert hatte, waren in Buenos Aires zahlreiche Menschen auf die Straßen geströmt, um gemeinsam zu trauern. Die Sorgen der Corona-Pandemie wurden zurückgestellt. Vor dem Boca-Stadions La Bombonera und dem Obelisken im Stadtzentrum entzündeten sie Kerzen und legten Blumen nieder.

"Er ist eine Legende. Wir werden ihn vermissen", sagte eine Frau namens Patricia im Fernsehsender TN. Sie saß vor dem Stadion-Eingang auf dem Boden, umarmte ihren Sohn und kämpfte mit den Tränen. "Er wird als der Größte in Erinnerung bleiben." Auf elektronischen Anzeigetafeln über der Stadtautobahn und in U-Bahn-Eingängen war zu lesen: "Danke Diego".

Am Donnerstag wurde Maradonas geschlossener Sarg in der Casa Rosada von der argentinischen Flagge, einem Trikot der Nationalmannschaft und einem der Boca Juniors bedeckt. Viele bekreuzigten sich im Vorbeigehen oder warfen ihre Blumen und Trikots neben ihre verstorbene Ikone. Sie riefen: "Danke Diego", oder "Ich liebe dich, Diego".

Maradonas Anwalt Matías Morla kritisierte in einer Stellungnahme, dass die Rettungskräfte am Mittwoch nicht schnell genug gekommen seien und forderte eine Untersuchung. Maradona war erst vor zwei Wochen aus dem Krankenhaus entlassen worden, nachdem ihn Ärzte dort wegen einer Gehirnblutung operiert hatten.

In Neapel, wo Maradona von 1984 bis 1991 eine Ära geprägt hatte, wurde ein meterhohes Wandgemälde zur Trauerstätte. "Neapel trauert - Ciao Gott des Fußballs", stand auf einem Schild, das ein Mann an einer Tür anbrachte. Bis heute sind ihm die Menschen in der armen Region dankbar dafür, dass er den SSC Neapel 1987 und 1990 zu den bis heute einzigen Meisterschaften der Vereinsgeschichte und 1989 zum Gewinn des UEFA-Pokals geführt hat.

In Buenos Aires rechnete die Regierung trotz der Pandemie mit bis zu einer Million Menschen, die Maradona die letzte Ehre erweisen wollten. Schon am Morgen bildete sich eine Hunderte Meter lange Schlange. Bevor der Regierungspalast für die Fans geöffnet wurden, kamen in der Nacht bereits Maradonas Familie, enge Freunde und ehemalige Teamkollegen zu einer privaten Trauerfeier zusammen.

"Er verlässt uns, aber er geht nicht weg, weil Diego ewig ist", schrieb Lionel Messi, Maradonas legitimer Nachfolger als Fußballheld, bei Instagram neben einem gemeinsamen Foto. "Ich behalte all die schönen Augenblicke in Erinnerung, die ich mit ihm erlebt habe."

Die Fehlschläge abseits des Rasens wurden erwähnt, sie spielten aber keine Rolle mehr. Die selbst verschuldeten gesundheitlichen Probleme, der Drogenkonsum, die Dopingsünden, Liebschaften, Verbindungen ins kriminelle Milieu. "Er hatte Probleme, die konnte er ja nicht verbergen. Aber so, wie ich ihn kennengelernt und erlebt habe - Respekt und alle Achtung", sagte Beckenbauer, den viele gemeinsame Auftritte mit Maradona verbinden. "Ich habe gesagt: Das ist kein Fußballer, das ist ein Künstler! Ein Tänzer!", berichtete er vom ersten Aufeinandertreffen in den 1970er-Jahren. Das habe er "überhaupt noch nicht gesehen. Er war ein Genie der damaligen Zeit - in den 70er und 80er Jahren der beste Fußballer der Welt!"

Nach dem Ende seiner Profikarriere trainierte Maradona die argentinische Nationalmannschaft, Al-Fujairah SC aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und den mexikanischen Zweitligisten Dorados Sinaloa. Mit mäßigem Erfolg. Im vergangenen Jahr übernahm er schließlich den Erstligisten Gimnasia y Esgrima La Plata in seinem Heimatland Argentinien.

Auch vor dem Stadion seines letzten Clubs kamen Maradonas Anhänger am Mittwoch zusammen, um Abschied zu nehmen. "Wir hatten das Glück, dass das Schicksal uns seine letzten Monate hier bei uns geschenkt hat", sagte ein Fan im Fernsehen. "Ich verspüre großen Schmerz. Ich kann es immer noch nicht glauben."/dde/mj/DP/eas