Berlin (Reuters) - Trotz einer Rekordneuverschuldung von 130,5 Milliarden Euro im vorigen Jahr sieht Bundesfinanzminister Olaf Scholz genügend Spielraum für die Bewältigung der Pandemie.

"Wir haben die Kraft, weiter massiv gegen die Corona-Krise zu halten, und genau das tun wir", erklärte der SPD-Politiker am Dienstag. Laut vorläufigem Etatabschluss nahm der Bund im vorigen Jahr so hohe neue Schulden auf wie noch nie, blieb aber deutlich unter dem vom Bundestag bewilligten Kreditrahmen von bis zu 218 Milliarden Euro. Vertreter der Koalition aus Union und SPD werteten dies unter anderem als Erfolg der Maßnahmen zur Stützung der Konjunktur. Die Opposition dagegen kritisierte, dass dringend benötigte Unternehmenshilfen nur schleppend ankämen.

Tatsächlich wurden laut Finanzministerium von den vorsorglich eingeplanten Sofort- und Unternehmenshilfen rund 25 Milliarden Euro nicht ausgegeben. Der Mittelabfluss bei den Unternehmenshilfen sei aber "zum Jahresende deutlich dynamischer geworden" und werde zulegen, hieß es im Ministerium.

Der bisherige Rekordwert der Neuverschuldung von 44 Milliarden Euro im Jahr 2010 verdreifachte sich damit im vorigen Jahr nahezu. Der Rekord könnte schon 2021 erneut übertroffen werden. Im Haushalt ist eine Neuverschuldung von 180 Milliarden Euro eingeplant. Der Etat sieht allein fast 40 Milliarden Euro für Unternehmenshilfen und 35 Milliarden Euro als Reserve für noch nicht bezifferte mögliche Ausgaben in Zusammenhang mit der Viruspandemie vor. Im Finanzministerium herrscht daher Zuversicht, dass das Geld trotz der nun geplanten Ausweitung der Corona-Hilfen im Rahmen der Überbrückungshilfen III reichen wird.

GERINGERE TILGUNG LÄSST MEHR SPIELRAUM IN KOMMENDEN JAHREN

Für die hohe Neuverschuldung hatte der Bundestag im vorigen Jahr - ebenso wie für 2021 - die Schuldenbremse im Grundgesetz außer Kraft gesetzt. Dass die Neuverschuldung nun geringer blieb als geplant, wurde im Finanzministerium unter anderem damit begründet, dass die Konjunktur nicht so stark eingebrochen sei wie befürchtet. Dadurch lägen die Steuereinnahmen um fast 19 Milliarden Euro über den Erwartungen, während etwa die Ausgaben für Corona-Hilfen und soziale Sicherung deutlich geringer ausgefallen seien. "Unsere entschlossene Hilfspolitik wirkt", sagte Scholz. "Wir haben viel Geld für Gesundheitsschutz, zur Unterstützung der Wirtschaft und zur Sicherung von Beschäftigung eingesetzt." Das zahle sich auf vielfache Weise aus.

Die großen Volkswirtschaften in Europa seien teilweise doppelt so stark eingebrochen wie Deutschland, hieß es im Finanzministerium. Laut Statistikamt ging die Wirtschaftsleistung 2020 um fünf Prozent zurück. Dass die Neuverschuldung geringer ausfiel als geplant, hat zur Folge, dass der Haushalt für die kommenden Jahre weniger eingeschnürt wird: Das strukturelle Defizit für 2020 bezifferte das Finanzministerium auf 39 Milliarden Euro. Das sei über 20 Jahre in Raten von etwa zwei Milliarden Euro zu tilgen statt der veranschlagten Sechs-Milliarden-Raten.

Die Investitionen erreichten mit 50,3 Milliarden Euro ein Rekordhoch, blieben aber über 20 Milliarden Euro hinter den Planungen zurück. Dies wurde damit begründet, dass unter anderem die Eigenkapitalhilfe für die Deutsche Bahn von sechs Milliarden Euro erst 2021 fließe und dass der Bund bei Gewährleistungen etwa für Kreditausfälle 6,5 Milliarden Euro nicht benötigt habe. Auch das Darlehen an die Bundesagentur für Arbeit, das als Investition gilt, fiel um 2,5 Milliarden Euro geringer aus. "Die richtigen Investitionen in Beton sind gut gelaufen", hieß es.

GRÜNE: KEIN GRUND ZUM JUBELN

"Die geringere Kreditaufnahme war erwartbar und ist nicht unbedingt ein Grund zum Jubeln", sagte Grünen-Haushälter Sven-Christian Kindler. "Sie ist auch ein Ausdruck dafür, dass die Wirtschaftshilfen nur schleppend bei den Unternehmen ankommen, die sie dringend brauchen." Der Abschluss zeige zudem, dass die Coronapolitik eine Schieflage habe, da Spielraum für einen von den Grünen geforderten Hartz-IV-Krisenaufschlag gewesen wäre.

SPD-Haushälter Dennis Rohde führte die geringere Schuldenaufnahme unter anderem auf die Konjunkturmaßnahmen im Frühjahr zurück. "Dank des Wumms aus dem Bundesfinanzministerium mussten Unternehmen weniger staatliche Hilfen in Anspruch nehmen als befürchtet", sagte Rohde. Unions-Haushälter Eckhardt Rehberg sprach von "Licht und Schatten". Erfreulich seien die bessere Wirtschaftsentwicklung und die größeren Spielräume für kommende Haushalte durch eine geringere Tilgungsbelastung. "Auf der anderen Seite ist es kein Grund zur Freude, dass die Wirtschaftshilfen kaum abgeflossen sind", sagte Rehberg.