LONDON/PARIS (dpa-AFX) - "In Großbritannien ist der König ein Kampfpilot, in der Ukraine ist heute jeder Kampfpilot ein König": Um was es dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei seinem Überraschungsbesuch im Vereinigten Königreich am Mittwoch vor allem ging, hob er sich für den Schluss seiner Rede im Parlament in London auf. Vor Hunderten Abgeordneten dankte Selenkskyj - wie gewohnt im olivgrünen Pullover - den Briten für ihr Unterstützung. Er erntete großen Applaus. Eine Zusage zur Lieferung nun auch von Kampfjets zur Verteidigung gegen Russland bekam der Gast aus Kiew aber nicht.

Zuvor hatte Premierminister Rishi Sunak es sich nicht nehmen lassen, Selensky auf dem Londoner Flughafen Stansted persönlich auf britischem Boden zu begrüßen. Arm in Arm, wie enge Freunde, zeigten sie sich auf dem Rollfeld. Später wurde Selenskyj von König Charles III. im Buckingham-Palast empfangen. Am Abend ging es dann weiter nach Paris - zu einem Treffen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Élysée-Palast.

Großbritannien gilt als einer der engsten Unterstützer Kiews im Kampf gegen den russischen Angriffskrieg. Nach Angaben des Kieler Instituts für Weltwirtschaft ist es auf Platz zwei der wichtigsten Waffenlieferanten nach den USA. Immer wieder war es London, das mit der Lieferung neuer Waffengattungen vorpreschte - zuletzt mit seinen Challenger-2-Kampfpanzern. Die Vorreiterrolle hatte andere Verbündete wie Deutschland unter Druck gesetzt.

Selenskyj machte klar, dass er sich auch in Sachen Kampfflugzeuge eine Führungsrolle von London wünscht. Er danke im Voraus für "leistungsfähige englische Flugzeuge" und überreichte Unterhaussprecher Lindsay Hoyle einen Pilotenhelm als Geschenk. Sunak ließ später mitteilen, er habe das Verteidigungsministerium gebeten, die Verfügbarkeit von Kampfflugzeugen zu prüfen. Es handele sich aber um eine "langfristige" Lösung, hieß es aus der Downing Street.

Bei einer Pressekonferenz am Abend gab Sunak bekannt, dass der britische Kampfpanzer Challenger 2 bereits im März in der Ukraine zum Einsatz kommen soll. Zu einer Zusage für Kampfjets ließ er sich jedoch nicht hinreißen. Man sei aber im Gespräch über Raketen mit größerer Reichweite, um Kiew beim Schutz der Zivilbevölkerung zu unterstützen. Selenskyj betonte die Bedeutung von Raketen, um die Gefahr durch Drohnen abzuwehren.

Nach einer Reise in die USA mit Zwischenstopp in Polen war der Besuch in Großbritannien für den ukrainischen Staatschef erst die zweite öffentlich bekannte Auslandsreise seit Beginn des russischen Angriffskriegs vor knapp einem Jahr. Nach London und Paris wird er am Donnerstag dann auch als Gast bei einem EU-Gipfel in Brüssel erwartet.

Die enge Beziehung zwischen Kiew und London entwickelte sich zur Zeit von Sunaks Vorvorgänger Boris Johnson, der gleich mehrfach in die ukrainische Hauptstadt reiste. Kiew ernannte ihn zum Ehrenbürger, ein Café in der Hauptstadt benannte eine Süßspeise nach Johnson, ein Hotel in Lwiw verziert seine Räume mit Bildern des inzwischen ehemaligen Premiers. Auch Sunak, der seit Oktober an der Spitze der britischen Regierung steht, reiste bereits nach Kiew.

Für den Briten kam der Besuch zu einem guten Zeitpunkt: Zuletzt bestimmten Skandale in seinem eigenen Kabinett die Schlagzeilen. Neben Selenskyj hingegen kann sich Sunak als Staatsmann präsentieren. Auch Johnson half die entschlossene Unterstützung der Ukraine immer wieder durch politisch heikle Phasen. Der Politikwissenschaftler Anand Menon vom King's College in London rechnet jedoch nicht damit, dass Sunak lange davon zehren kann - zumal Johnson sich bereits für die Lieferung von Kampfflugzeugen an die Ukraine ausgesprochen habe.

London kündigte im Zuge des Besuchs zunächst an, sein Ausbildungsprogramm für ukrainische Soldaten zu erweitern. Sunak zufolge werden künftig auch Kampfpiloten und Marinesoldaten ausgebildet. Damit sollen ukrainischen Piloten auch befähigt werden, Nato-Kampfjets zu fliegen - was die Debatte über mögliche Lieferungen solcher Maschinen aus westlichen Ländern weiter befeuern dürfte.

Frankreich hatte sich dafür bislang offener gezeigt als Deutschland und andere Länder. Ein britisches Vorpreschen könnte Sunaks Ansehen in der Ukraine weiter steigern. Immerhin: Das Kiewer Café Zavertailo verkauft mittlerweile bereits für umgerechnet 3,37 Euro ein Croissant namens "Rischi Sunakowytsch". Der "Boris Johnsonjuk" war im vergangenen Jahr für umgerechnet etwa drei Euro zu haben./swe/DP/he