- von Alexander Hübner

München (Reuters) - Siemens spielt in der globalen Beschaffungskrise seine Marktmacht aus.

Die Kunden des Münchner Technologiekonzerns müssen in den nächsten Monaten mit steigenden Preisen rechnen, weil Siemens die höheren Rohstoff- und Transportkosten auf sie abwälzen will, wie Vorstandschef Roland Busch am Donnerstag in München ankündigte. Man sei mit den Lieferengpässen bei elektronischen Bauteilen und Rohmaterialien gut zurechtgekommen. "Durch unsere guten Beziehungen zu den Zulieferern gab es bisher keinen Abriss in der Produktion." Das verhalf dem Unternehmen im abgelaufenen Geschäftsjahr zu einem Gewinnsprung um 59 Prozent auf 6,7 Milliarden Euro. Viele Kunden bestellten auf Vorrat, was Siemens neue Aufträge im Wert von 71 Milliarden Euro bescherte, 21 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.

Siemens kaufe viele Rohstoffe und Bauteile zentral ein, was seine Stellung bei 1500 großen Zulieferern und damit den Nachschub sichere, erläuterte Busch den Größenvorteil. Dennoch spüre Siemens Gegenwind, weil die Preise und die Transportkosten stiegen, sagte Finanzchef Ralf Thomas. Das wolle man durch Preiserhöhungen wettmachen, etwa im Geschäft mit Gebäude- und Infrastruktur-Technik. "Als Technologieführer haben wir auch allen Grund dazu." Bis sich das niederschlage, könne es aber etwas dauern, bat Thomas um Geduld. Die Kunden müssten zumindest bis ins Frühjahr 2022 mit längeren Lieferzeiten rechnen, danach erwartet Siemens eine Entspannung der Lage. Man müsse erst einmal den hohen Auftragsbestand abarbeiten.

Für die nächsten Monate rechnet Siemens deshalb mit einem gebremsten Umsatz- und Gewinnwachstum, das Geschäft werde erst im Lauf des Geschäftsjahres 2021/22 (per Ende September) wieder stärker anziehen. Für das Gesamtjahr geht der Vorstand von einem Zuwachs von etwa fünf Prozent aus, weil der Schwung in der Weltkonjunktur etwas nachlassen dürfte. Die drei Kernsparten Automatisierungstechnik (DI), Infrastruktur (SI) und Bahntechnik (Mobility) sollen um jeweils fünf bis acht Prozent wachsen, die Medizintechnik-Tochter Siemens Healthineers rechnet mit allenfalls kleinen Zuwächsen. Berenberg-Analyst Philip Buller sieht aber Potenzial, dass Siemens die Prognose im Lauf des Jahres erneut nach oben schrauben kann.

Im abgelaufenen Geschäftsjahr legte der Umsatz dank der anziehenden Konjunktur und Nachholeffekten in der Corona-Krise auf vergleichbarer Basis wie erwartet um 11,5 Prozent auf 62,3 Milliarden Euro zu. "In einem herausfordernden Umfeld haben wir Marktanteile gewonnen und unsere Ergebnisprognose deutlich übertroffen", sagte Busch. Siemens hatte die Erwartung viermal erhöht. "Wir werden mit diesem Momentum weitermachen." Nur die Zug-Sparte verfehlte das Margenziel leicht. Die um 50 Cent auf 4,00 Euro angehobene Dividende überraschte die Börse positiv, die Aktie zog um zwei Prozent auf fast 150 Euro an.

ANTRIEBE UND BRIEFSORTIER-ANLAGEN IM SCHAUFENSTER

Im neuen Geschäftsjahr soll das um Abschreibungen auf Zukäufe bereinigte Ergebnis je Aktie auf 8,70 bis 9,10 (2020/21: 8,32) Euro steigen. Das wäre ein Plus von fünf bis neun Prozent und ein bereinigter Nettogewinn von 7,4 bis 7,7 (7,1) Milliarden Euro. Rund 1,5 Milliarden Euro sollen dazu weitere Verkäufe und Börsengänge von Beteiligungen beitragen. Im Oktober war bereits das US-Energiespeicher-Unternehmen Fluence Energy mit einer Bewertung von mehr als vier Milliarden Dollar an die US-Börse Nasdaq gebracht worden, was Siemens unter dem Strich 200 Millionen Euro Bewertungsgewinn brachte.

Zum Verkauf stehen auch die Straßenverkehrstechnik-Tochter Yunex, das Geschäft mit großen Antrieben (Large Drives) sowie die Post- und Paket-Logistik. Siemens Large Drives, mit 7000 Mitarbeitern die größte der Einheiten, die nicht mehr zum Kerngeschäft gerechnet werden, soll zunächst ausgegliedert werden. Die Logistik-Sparte wird aufgespalten: in Sortieranlagen für Briefe und Pakete, die derzeit boomen, sowie in Gepäckbänder für Flughäfen, die noch unter der Krise in der Luftfahrt und im Tourismus leiden. Insidern zufolge soll die Post-Logistik separat verkauft werden. Zuletzt hatte Siemens die Getriebe-Tochter Flender verkauft und die Beteiligungen Bentley Systems und ChargePoint an die Börse gebracht.

GENERAL ELECTRIC KEIN VORBILD

Busch und Thomas beschleunigen damit die Bereinigungen im Portfolio. "Wir sind kein Konglomerat, wir sind ein fokussierter Technologiekonzern", betonte der Vorstandschef. Das unterscheide Siemens vom Erzrivalen General Electric (GE), der sich nun in drei Unternehmen aufspalten will: für Medizintechnik, für Energie und für Luftfahrt. "Wir haben die Schritte gemacht - aus einer Position der Stärke -, die GE jetzt nachzieht", so Busch. "Ich sehe überhaupt keinen Grund, an unserer Strategie etwas zu ändern". Sein Vorgänger Joe Kaeser hatte Siemens Healthineers an die Börse gebracht, Siemens hält aber noch die Mehrheit. An Siemens Energy ist der Konzern nur noch mit 35 Prozent beteiligt und will den Anteil weiter abschmelzen. Beide Abspaltungen gehören inzwischen dem Leitindex Dax an.