--Durchreichen höherer Energiegroßhandelspreise noch nicht beendet

--Gaspreisrückgang sollte nicht überinterpretiert werden

--Nahrungsmittel- und Rohstoffpreise stimmen ebenfalls nicht optimistisch

(NEU: Zusammenfassung mit zusätzlichen Aussagen der EZB-Präsidentin)

Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--EZB-Präsidentin Christine hat Hoffnungen auf einen bevorstehenden Inflationsrückgang und damit implizit auch auf eine weniger rigorose Gangart der Europäischen Zentralbank (EZB) zu dämpfen versucht. In einer Anhörung vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europaparlaments sagte Lagarde, die Entwicklung der wichtigsten Inflationstreiber stimme sie nicht optimistisch, dass die Inflation ihren Höhepunkt bereits gesehen habe.

Die Haupttreiber der Inflation - Nahrungsmittel, Rohstoffe allgemein und Energie - bewegten sich noch nicht in einer Weise, die sie glauben lasse, dass die Inflation kurzfristig zu zurückgehen werde, sagte Lagarde. Es würde sie überraschen, wenn das Durchreichen der hohen Energiepreise von der Großhandelsebene auf die Endkunden schon abgeschlossen wäre. "Unsere Top-Ökonomen sagen, dass die Inflationsrisiken aufwärts gerichtet sind", sagte die EZB-Präsidentin.


   Märkte und Analysten spekulieren auf Zinsschritt von nur 50 Basispunkten 

Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) entscheidet am 15. Dezember über den Fortgang der Geldpolitik. Analysten und Marktteilnehmer haben zuletzt verstärkt spekuliert, dass die EZB ihre Zinsen dann nicht erneut um 75 Basispunkte erhöhen wird. Viel wird von den Inflationsprognosen abhängen, die dann veröffentlicht werden, und von den Inflationsdaten für November, die am Mittwoch kommen. Die von Dow Jones Newswires befragten Volkswirte erwarten einen Rückgang der Inflationsrate auf 10,4 (Oktober: 10,6) Prozent.

EZB-Direktorin Isabel Schnabel hatte in der vergangenen Woche gesagt, dass sie nur begrenzten Spielraum für ein geringeres Ausmaß der Zinserhöhungen sehe. Sie hatte dies damit begründet, dass an den Finanzmärkten inzwischen eine langsamere Gangart der Geldpolitik eingepreist werde, was die Realzinsen gesenkt habe. Zudem rege die Fiskalpolitik derzeit die Nachfrage an.

Neben der Erwartung einer Rezession ist der jüngste deutliche Rückgang der Energiepreise ein Grund für die Erwartung der Märkte, dass die EZB ein langsameres Zinserhöhungstempo anschlagen wird. Lagarde warnte jedoch davor, diese Entwicklung überzuinterpretieren. "Wir müssen uns fragen: Sind die Gründe dieses Rückgangs struktureller Natur oder konjunktureller?", sagte sie.


   Vielleicht wird der nächste Winter der schwierige 

Lagarde verwies darauf, dass der Gasverbrauch in den meisten Ländern wegen der milden Witterung im Oktober und November zurückgegangen sei und dass die Länder ihre Gasspeicher deshalb gefüllt hätten. "Aber wir müssen sehr vorsichtig sein, denn auf dem Markt für Gas-Futures war der Rückgang nicht so stark", sagte sie und fügte hinzu: "Deshalb glauben viele Experten, dass der nächste Winter der schwierige wird, nicht dieser."

Lagarde zufolge wird sich die EZB bei der geldpolitischen Straffung an Daten und Prognosen orientieren. "Wie weit wir noch gehen müssen und wie schnell wir dorthin gelangen, wird von unserem aktualisierten Ausblick, der Persistenz der Schocks, der Reaktion der Löhne und Inflationserwartungen sowie von unserer Einschätzung der Übertragung unseres geldpolitischen Kurses abhängen", sagte sie.

In diesem unsicheren Umfeld und angesichts komplexer Schocks müssten die Entscheidungen des EZB-Rats von Sitzung zu Sitzung getroffen werden. Die EZB sei aber entschlossen, die Zinsen auf ein Niveau anzuheben, das eine rechtzeitige Rückkehr der Inflation zu ihrem mittelfristigen Ziel von 2 Prozent gewährleiste.

Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

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November 28, 2022 11:45 ET (16:45 GMT)