Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Die deutsche Wirtschaft hat mit Kritik auf das Klimaschutz-Sofortprogramm der Grünen reagiert. "Klimaministerium, Einwanderungsministerium - die Grünen planen den endgültigen Stillstand der Republik im Bürokratiestau", erklärte der Chefvolkswirt des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW), Hans-Jürgen Völz, in einer Stellungnahme für Dow Jones Newswires. "Wer jetzt glaubt, die Rettung des Klimas läge im Anziehen der Daumenschrauben der Unternehmen, irrt gewaltig."

Völz forderte, die Grünen sollten sich stattdessen "den wahren Problemen Deutschlands zuwenden": den weltweit höchsten Energiekosten, steigenden Steuer- und Abgabenlasten, überbordender Bürokratie und einer Alterssicherung auf tönernen Füßen. Schon jetzt kämpften viele Unternehmen ums Überleben. "Das Klimaschutz-Sofortprogramm der Grünen ist ein Konjunkturprogramm für unsere Konkurrenz in Fernost und in den USA", befand Völz. Sollten wesentliche Elemente des vorgestellten Programms Regierungshandeln werden, sei eine Abwanderung des industriellen Kerns unvermeidlich.

Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) sah in dem Sofortprogramm seinerseits auch nicht die richtige Basis für die Transformation der Industrie hin zur Klimaneutralität. Es sei "mehr ein Schnellschuss als ein schlüssiger Maßnahmenkatalog", sagte VCI-Abteilungsleiter Jörg Rothermel. "Unternehmen sollen mit der Peitsche, aber ohne Zuckerbrot zu den nötigen hohen Investitionen hierzulande gebracht werden. Das erreicht man aber nicht, indem Deutschland als Produktionsstandort noch teurer wird."


   Entlastungsregelungen für die Industrie fehlen 

Ideen wie der schnellere Ausbau der Erneuerbaren und Investitionsanreize sind laut Rothermel richtig, würden aber durch eine viel höhere Kostenbelastung beim CO2-Preis wieder konterkariert. Entsprechende Entlastungsregelungen für die Industrie seien nicht vorgesehen oder drohten weiter gestrichen zu werden. "So erreichen wir nicht die Investitionen in neue Technologien, die wir für die Transformation brauchen." Auch kritisierte er, das Sofortprogramm sehe keine Lösung für das Haupthindernis beim Ausbau der Erneuerbaren vor, Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Stattdessen würde der Bau effizienterer Anlagen in der Industrie eher verzögert.

Kritik übte auch FDP-Chef Christian Lindner. "In der Not ihres Wahlkampfs ziehen die Grünen für ihre Kernklientel alle Register der Verbotsorgel", meinte er. Stattdessen solle die deutsche Politik künftig mit mehr Freiheit privates Kapital und privates Wissen für den Klimaschutz mobilisieren. Das grüne Sofortprogramm blende die wirtschaftlichen Folgen genauso aus wie die europäische Einbindung. "Die Vorschläge der Grünen würden teuer für die Menschen in Deutschland, ohne dass global oder auch nur europäisch Fortschritte für den Klimaschutz erreicht würden", meinte Lindner.

Die Grünen hatten für den Fall einer Regierungsbeteiligung ein Klimaschutz-Sofortprogramm angekündigt, mit dem entscheidende Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele auf den Weg gebracht werden sollen. Unter anderem will die Partei ein Klimaschutzministerium mit Vetotrecht schaffen, den Kohleausstieg auf 2030 vorziehen, eine Ausbauoffensive für erneuerbare Energien und eine beschleunigte Förderung für energetische Gebäudesanierungen starten sowie den CO2-Preis bei Wärme und Verkehr auf 60 Euro ab 2023 vorziehen.

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August 03, 2021 10:15 ET (14:15 GMT)