Doch die Ambitionen von Zalando sind weitaus größer: Bis zum Ende des Jahrzehnts soll ein Marktanteil von 10 % erreicht werden. Und das auf einem Markt, der äußerst wettbewerbsintensiv ist. Doch eine Präzisierung ist angebracht: Während viele Zalando als reine E-Commerce-Website betrachten - ein Koloss zwar, aber eben nur ein Verkäufer - wäre es zutreffender, das Unternehmen als Dienstleister für Online-Werbung, Logistik, Merchandising und Datenbereitstellung zu sehen.

Operative Performance

Aufgrund der Angst vor einer allgemeinen Rezession in Europa und der unruhigen Nachrichtenlage in Deutschland im Konkreten ist der DAX 40 seit Anfang des Jahres stark zurückgegangen. Ein Umfeld, das für langfristig orientierte Anleger ein echtes Schnäppchen-Momentum darstellt, da man sich die besten Aktien de facto herauspicken kann. Und dies alles abzüglich eines verlockenden Kursabschlags auf den Marktwert der Aktien, der durch die herrschende Panik verursacht wird. Zalando gehört zu den Unternehmen, die unserer Meinung nach vom Markt ungerechtfertigt bestraft wurden. Das Unternehmen ist auf das Niveau von November 2014 zurückgefallen, obwohl es seit seinem Börsengang einen mehr als ehrenhaften Börsenverlauf hingelegt hat.

Börsenverlauf von Zalando seit dem 1. Oktober 2021

Das Volumen der von Zalando verkauften Waren wuchs zwischen 2014 und 2021 um mehr als 25 % pro Jahr und übertraf damit die Konkurrenz auf dem Modemarkt bei weitem. Eine andere bemerkenswerte Leistung ist, dass das Wachstum nicht mit Verlust erzielt wurde. Denn Zalando konnte in diesem Zeitraum positive Bargewinne erwirtschaften. Zwar sind sie immer noch gering, aber die Performance ist außergewöhnlich genug, um hervorgehoben zu werden. Dies gilt umso mehr nach einem Jahrzehnt, in dem E-Commerce-Plattformen aller Art eine Politik des "verlustbringenden Wachstums" verfolgten und die Buchungslücken durch Pre-Seed-Finanzierungen gefüllt wurden.

Anstatt nach einem tragfähigen Geschäftsmodell für den Product-Market-Fit zu streben, suchten die Unternehmen lieber nach Geld. Bei den Zentralbanken floss dieses in Strömen und war folglich nicht gerade kompliziert zu beschaffen. Doch kehren wir zu Zalando zurück.

Konsolidiertes Ergebnis Zalando - HY1 2022

Innerhalb weniger Jahre ist Zalando zum meistbesuchten E-Commerce-Modehändler in Europa aufgestiegen, mit bald 50 Millionen Nutzern. Das Unternehmen ist zudem bekannt für seine besonderen Servicequalitäten - insbesondere dank des unwiderstehlichen "buy now pay later"-Angebots, bei dem man die Kleidung erhält, sie anprobiert, die nicht passenden Stücke zurückschickt und erst bezahlt, wenn dieser ganze Prozess abgeschlossen ist. Ganz allgemein ist die Erfolgsgeschichte von Zalando ein Meisterwerk. Das Unternehmen hat es geschafft, über zwei immense Schwierigkeiten zu triumphieren, mit denen alle Online-Händler zu kämpfen haben: die teure und komplizierte Verwaltung von Rücksendungen und Rückerstattungen sowie die immensen Kosten für die Gewinnung neuer Nutzer über Suchmaschinen und Online-Werbung.

Wie bereits erläutert, muss Zalando eher als Dienstleister denn als reiner E-Commerce-Händler gesehen werden. Das Erfolgsrezept liegt im authentischen "Plattform"-Charakter: Alle Marken können sich auf die digitale Infrastruktur der Berliner stützen und über diese verkaufen. Das gilt sowohl für die Online-Verkaufskanäle als auch für die physischen Geschäfte. Um sich dieser Stärke bewusst zu werden, sollte man wissen, dass sich in den letzten zwei Jahren mehr als 5.000 Modegeschäfte - unabhängig oder im Besitz verschiedener Marken wie Hugo Boss, Mango oder Nike - der Zalando-Plattform angeschlossen haben. Das ist vergleichbar der Gesamtzahl an Inditex-Geschäften in Europa, zu denen u.A. Zara, Massimo Dutti und Bershka gehören.

Die Zalando-Plattform bietet ihren Kunden mittlerweile eine Million Artikel. Gleichzeitig eröffnet sie den Händlern einen riesigen Markt und die Möglichkeit, alle technischen Herausforderungen in Bezug auf Logistik, E-Marketing und Rechnungsstellung auszulagern. Und schließlich kann Zalando diese erbrachten Dienstleistungen in Rechnung stellen sowie gleichzeitig das Bestandsrisiko auslagern. Eine mehrfache Win-Win-Situation.

Finanzielle Performance

Die vielversprechende Dynamik hat das Management dazu veranlasst, seine Wachstumsziele nach oben zu korrigieren. Der Umsatz soll bis 2025 auf 20 Milliarden Euro steigen, was fast dem Vierfachen des Umsatzes von 2018 entspricht. Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Herausforderungen könnte dieses Ziel auch schnell verfehlt werden.

Das Bilanzmanagement ist sowohl hervorragend als auch vernünftig. Zalando hat fast alle Gewinne der letzten zehn Jahre reinvestiert und nur sehr sparsam Kapital aufgenommen - aber immer zum richtigen Zeitpunkt und zu Bedingungen, die für das Unternehmen vorteilhaft waren.

Hinsichtlich der Profitabilität weist Zalando, wenn wir uns auf das Steuerjahr 2021 beziehen, einen Free-Cash-Flow pro Aktie von fast 1 € auf. Bei einem aktuellen Kurs von 20 € ergibt sich also eine Rendite auf den Free-Cash-Flow von fast 5%. Eine verlockende Zahl für ein wachstumsstarkes Unternehmen. Allerdings muss die sehr gute Dynamik der Vergangenheit in diesem Jahr noch bestätigt werden, da wir im Moment eine deutliche Verlangsamung des Umsatzwachstums beobachten. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass im Jahr 2022 rote Zahlen in Bezug auf die Profitabilität geschrieben werden. Die schwierige Frage ist also, ob wir nahe genug an einem Tiefpunkt angelangt sind, um eine Kaufposition zu eröffnen. Der Unternehmensvorstand scheint jedenfalls der Meinung zu sein, dass Zalando zu attraktiven Kursen gehandelt wird: Die Berliner beginnen, eigene Aktien zurückzukaufen, und das Vorstandsmitglied Anders Holch Povlsen tätigt seit einigen Monaten vermehrt Insiderkäufe.

Anders Holch Povlsen ist ein dänischer Milliardär, CEO und Alleineigentümer der internationalen Bekleidungskette Bestseller - Vero Moda und Jack&Jones. Er ist der größte Anteilseigner des britischen Online-Modehändlers ASOS und der zweitgrößte Anteilseigner von Zalando. Im September 2022 galt Povlsen mit einem geschätzten Nettovermögen von 11,3 Milliarden US-Dollar als der reichste Däne.

Fazit

Im Gegensatz zu anderen vergleichbaren Unternehmen verfügt Zalando über eine außergewöhnlich gute Finanzlage, wie die Nettoliquidität von 763 Mio. € belegt. Zalando scheint also von einem schönen Abschlag zu profitieren, der uns zwar (noch) nicht dazu veranlasst, das Unternehmen in unser MarketScreener Europa-Portfolio aufzunehmen. Zalando steht aber definitiv auf unserer Watchlist.