(neu: mit Aufsichtsratsentscheidung zu Diess/Pötsch)

WOLFSBURG (dpa-AFX) - Die beiden angeklagten Spitzenmanager Herbert Diess und Hans Dieter Pötsch bleiben an der Spitze von Volkswagen. Das Kontrollgremium des Autoherstellers entschied bei einer Sondersitzung am Mittwoch, dass der Konzern an seinem Vorstands- und Aufsichtsratschef festhalten werde.

Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft wirft Diess, Pötsch sowie Ex-VW-Konzernchef Martin Winterkorn Marktmanipulation vor - sie hätten vor dem Auffliegen der Dieselaffäre 2015 die Anleger nicht rechtzeitig informiert. Der VW-Vorstand wandte sich mit einem Brief an die Mitarbeiter, auch Betriebsratschef Bernd Osterloh und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) verteidigten die Führungskräfte. Es gibt aber auch Kritik an der Entscheidung.

Nach der Veröffentlichung der Anklage hatte sich das Präsidium des VW-Aufsichtsrats bereits am Dienstag dafür ausgesprochen, Diess und Pötsch im Amt zu lassen. Die größere Runde bestätigte dies nun. "Der Aufsichtsrat kann aufgrund der seit Herbst 2015 durchgeführten umfangreichen und unabhängigen eigenen Untersuchungen auch aus heutiger Sicht weiterhin keine vorsätzlich unterlassene Information des Kapitalmarkts erkennen", hieß es. "Dies hat sich auch nach Prüfung der Anklageschrift nicht geändert."

Das Dokument mit den konkreten Vorwürfen - 636 Seiten dick - wurde inzwischen auch dem Landgericht Braunschweig zugestellt. Die zugehörigen Ermittlungsakten füllen dessen Angaben zufolge 21 Umzugskartons. Auch die Familie Porsche/Piëch als größter VW-Anteilseigner stellte sich "uneingeschränkt" hinter die beiden Manager. Aufseher Wolfgang Porsche erklärte: "Sollte es zu einem Verfahren kommen, sind wir davon überzeugt, dass die Angeschuldigten die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft entkräften werden." Hans Michel Piëch ergänzte: "Die Anklagen halten wir deshalb für unbegründet."

Das Thema kam auch bei einer Betriebsversammlung mit mehr als 10 000 Mitarbeitern am VW-Stammsitz Wolfsburg zur Sprache. Teilnehmerkreisen zufolge bewertete der Jurist Michael Arnold von der Kanzlei Gleiss Lutz, die den VW-Aufsichtsrat berät, die Ermittlungsergebnisse. Er betonte vor den Beschäftigten demnach, dass es vor dem öffentlichen Bekanntwerden der Abgastricks in den USA im September 2015 zu keinem Zeitpunkt eine Situation gegeben habe, in der der damalige Vorstand eine sofortige Mitteilung hätte herausgeben müssen.

"Wir können nachvollziehen, dass diese Nachricht viele von Ihnen verunsichert und betroffen macht", heißt es in dem Schreiben der Vorstände Gunnar Kilian (Personal) und Hiltrud Werner (Integrität und Recht) zu der Braunschweiger Anklage. Es werde deutlich, dass die Bewältigung der Dieselkrise - trotz aller Fortschritte - noch immer nicht abgeschlossen sei. "Es hat für uns oberste Priorität, dass Hintergründe und Verantwortlichkeiten aufgeklärt werden."

Betriebsratschef Bernd Osterloh sagte, er stehe hinter der Erklärung des Präsidiums. Ministerpräsident Weil - auch er Mitglied des Aufsichtsratspräsidiums - verteidigte diese Haltung ebenfalls. Er habe "großen Respekt" vor der Arbeit der Staatsanwaltschaft. "Aber eine Anklage ist kein Urteil", betonte Weil. "Sie wiegt schwer, aber in Deutschland gilt die Unschuldsvermutung. Wir haben uns im Präsidium mit den Vorwürfen intensiv auseinandergesetzt und wissen, was wir tun."

Die Grünen im niedersächsischen Landtag mahnten, im Blick zu behalten, ob Pötsch und Diess ihre Funktionen ausüben könnten. "Die Frage, ob der amtierende Aufsichtsratschef und der Konzernchef in einem laufenden Strafprozess noch ihr Amt frei von Belastungen ausüben können, muss der Aufsichtsrat noch einmal neu bewerten, wenn die Anklage zugelassen wird", forderte Fraktionschefin Anja Piel.

Der Frankfurter Wirtschaftsethiker Gerhard Minnameier sieht dies ähnlich. Bis zu einem Gerichtsurteil müsse für die VW-Manager natürlich die Unschuldsvermutung gelten. Im Fall Pötschs sei aber bereits ein deutliches Problem erkennbar: "Er fungiert als Aufsichtsrat, wo er sich zugleich als ehemaliger Finanzvorstand zu verantworten hat. Das ist ein Rollenkonflikt - und wenn dann noch die Anklage hinzukommt, dann kann man unabhängig von der Schuldfrage schon Zweifel hegen, ob er noch vollumfänglich Aufsicht führen kann."/jap/DP/jha