STUTTGART (dpa-AFX) - Gut ein Jahr sitzt Ola Källenius in Stuttgart nun am Steuer - und muss schon seine Feuerprobe bestehen. Anleger forderten seit langem eine stärkere Besinnung auf schwäbische Tugenden bei dem Traditionskonzern, Källenius stellte vergangenen Herbst daraufhin Milliardeneinsparungen in Aussicht. Doch dann kam Corona und verschärfte die Situation ruckartig. Zwar gibt es nun erste zarte Anzeichen, dass es die Branche vielleicht doch nicht so hart erwischt wie zwischenzeitlich befürchtet. Doch der Schwede macht bei Einsparungen weiter Druck - die Arbeitnehmer bangen um ihre Jobs. Wie die Geschäfte "beim" Daimler laufen, was Analysten vor dem finalen Zwischenbericht am Donnerstag (23. Juli) sagen und wie die Aktie sich entwickelt.

DAS IST LOS ‚BEIM‘ DAIMLER:

Vorläufige Ergebnisse für das zweite Quartal hat Daimler bereits vorgelegt. Der Auto- und Lkw-Bauer hatte schon länger rote Zahlen angekündigt. Für die Anleger an der Börse fielen diese aber nun weniger schlimm aus als befürchtet. Vor Zinsen und Steuern lag der Verlust bei 1,68 Milliarden Euro. Das war sogar noch etwas mehr als vor einem Jahr, als der Konzern milliardenschwer seine Rückstellungen für Dieselverfahren und Takata-Airbags erhöhte. Zahlen um Umsatz und für das Nettoergebnis stehen für die vergangenen drei Monate aber noch aus. Daimler fasst zunehmend Mut für die weitere Entwicklung. Die Markterholung sei stärker ausgefallen als gedacht. Im Juni sei die Entwicklung sogar "stark" verlaufen.

Die Stammmarke Mercedes-Benz hatte zwar im zweiten Quartal mit insgesamt 457 711 Autos weltweit 20,2 Prozent weniger Fahrzeuge an Kunden ausgeliefert als ein Jahr zuvor. Das lag aber vor allem an Europa und Nordamerika. In China fand Mercedes bereits wieder in die Wachstumsspur zurück und erzielte nach dem Ende des Lockdowns im wichtigsten Automarkt der Welt ein Auslieferungsplus von fast 22 Prozent. Auch inklusive des schwachen ersten Quartals hat der Autobauer dort nun seit Jahresbeginn wieder eine positive Bilanz vorzuweisen.

Überraschen konnte Daimler bei den Finanzen in der Hauptsparte Mercedes-Benz mit Pkw und Vans. Ohne Sonderkosten gerechnet lag der Betriebsverlust bei 284 Millionen Euro, weit weniger als Experten auf dem Zettel hatten. Ebenso beim Mittelzufluss aus dem laufenden Industriegeschäft - sprich dem Auto- und Lkw-Bau. Hier erzielte der Konzern ein Plus von 685 Millionen Euro, Analysten hatten mit milliardenschweren Abflüssen gerechnet. Die Nettoliquidität im Industriegeschäft stieg innerhalb der drei Monate bis Ende Juni um rund 200 Millionen Euro auf 9,5 Milliarden Euro.

"Aber es bleibt viel zu tun", sagte Källenius. Der Manager hat sich bei den Kostenstrukturen des Traditionskonzerns viel vorgenommen, nachdem er das Ruder vom langjährigen Daimler-Boss Dieter Zetsche übernommen hat. Es bleibt auch deshalb viel zu tun, weil Streit mit den Arbeitnehmern ins Haus steht. Denn eigentlich hat das Unternehmen mit den Tarifbeschäftigten bis 2029 Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen vereinbart. Und dieser Kündigungsschutz steht nun implizit auf dem Spiel, wenn nicht genug Mitarbeiter freiwillig gehen.

Wie weit die Kostenbemühungen in die Personaldecke einschneiden, ist dabei auch immer noch nicht klar. Angekündigt ist, dass es mehr als 15 000 Stellen der rund 300 000 im Konzern treffen wird. Und es sollen auch mehr als die vergangenen November ursprünglich angepeilten 1,4 Milliarden Euro bei den Personalkosten eingespart werden, soviel hat Personalvorstand Wilfried Porth klargemacht.

Laut Informationen der Nachrichtenagentur dpa hat Daimler nun 20 000 wegfallende Stellen ins Auge gefasst. Wie das "Handelsblatt" zudem berichtete, soll damit das Einsparziel beim Personal auf rund 2 Milliarden Euro steigen. "Die Gespräche mit dem Vorstand hierzu laufen", sagte Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht. "Für die Beschäftigten ist wichtig, dass sie schnell Klarheit darüber bekommen, wie weitere Maßnahmen aussehen." Auch müsse man so ehrlich sein zu sagen, dass die Corona-Pandemie ein unkalkulierbares Risiko bleibe.

WAS ANALYSTEN SAGEN:

Von den im dpa-AFX-Analyser erfassten Analysten, die sich seit der Vorlage der vorläufigen Zahlen vergangene Woche geäußert haben, hat noch keiner sein Votum maßgeblich geändert. Einer - George Galliers von Goldman Sachs - rät weiter zum Verkauf, vier sind für Halten und drei empfehlen den Kauf der Papiere. Viele von ihnen setzen auf zusätzliche Details mit dem offiziellen Zwischenbericht am Donnerstag oder auf eine konkretere Prognose der Stuttgarter.

Die lautet nämlich derweil lediglich auf Rückgänge bei Absatz, Umsatz und Konzernergebnis. Das operative Ergebnis (Ebit) von Mercedes-Benz soll wegen der hohen Sonderbelastungen im Vorjahr allerdings etwas zulegen. Der Free Cashflow des Industriegeschäfts dürfte 2020 insgesamt zurückgehen.

Der Verlust bei der Pkw-Sparte Mercedes sei im zweiten Quartal viel niedriger gewesen als gedacht und der industrielle freie Mittelzufluss habe die Erwartungen deutlich übertroffen, schrieb Goldman-Experte Galliers. Bei der Vorlage der endgültigen Zahlen dürfte der Autobauer den Ausblick anpassen, die Markterwartungen dürften dann steigen.

Analyst Tom Narayan von RBC war von den vorläufigen Zahlen ebenfalls beeindruckt. Er habe mit einer schwungvollen Entwicklung gerechnet, aber derart dynamisch habe er sie sich nicht vorstellen können. Für Jose Asumendi von JPMorgan waren es "sehr positive Resultate".

Vor allem die Absatzzahlen in China hätten sich in den vergangenen Monaten deutlich verbessert und machten Hoffnung auf eine ähnliche Entwicklung in Europa und den USA, schrieb NordLB-Experte Frank Schwope, der auch weiter in die Zukunft blickte. Eine Folge der Corona-Krise werde eine Konsolidierungswelle in der Automobilindustrie sein, die geplante Fusion von Fiat Chrysler und PSA sei da nur der Anfang. "Angesichts der Krise aber auch mit Blick auf die disruptiven Zeiten ist vielleicht auch für Daimler die Zeit gekommen, über einen Zusammenschluss nachzudenken", empfahl er.

WIE DIE AKTIE LÄUFT:

Wer dieser Tage auf die Kurstafel schaut, der könnte fast meinen, den Corona-Crash in Februar und März hätte es nicht gegeben - so auch bei Daimler. Dem jähen Absturz von fast 43 Euro am 21. Februar herab auf 21 Euro Mitte März folgte eine anhaltende Erholung. Derzeit kostet die Aktie knapp 39 Euro, war aber im Zuge der Erholung auch schon mal über die Marke von 40 Euro gestiegen.

Doch die Ansprüche bei den Stuttgartern sind mit derzeit gut 42 Milliarden Euro Börsenwert andere. Källenius übernahm im Mai 2019 bei rund 50 Euro je Aktie - allerdings hat das Unternehmen aus der Zeit des langjährigen Chefs Dieter Zetsche milliardenschwere Altlasten in Sachen Dieselaffäre zu schultern - "Gewinnwarnung" ist für Källenius kein Fremdwort mehr.

Im Frühling 2015 sah es für Daimler-Investoren noch deutlich rosiger aus, auch die vielen Kleinaktionäre konnten sich sogar über einen Kurs von mehr als 96 Euro freuen. Mit dem Bekanntwerden der Abgasprobleme von Dieselmotoren, deren Softwaremanipulation Daimler bis heute bestreitet, nahm der Kursverfall dann aber Fahrt auf. 2018 kam der heftige Zollstreit zwischen China und den USA hinzu - ungesund für einen Konzern, der im Einzelmarkt China mit Abstand die meisten Autos verkauft. Zudem kostete die Entwicklung von Elektroantrieben und autonomem Fahren schon über die vergangenen Jahre Milliarden.

Während die Daimler-Aktie seit Jahresbeginn mit einem Minus von rund einem Fünftel noch ähnlich schwach dasteht wie der europäische Automobilsektor aus Herstellern und Zulieferern, sieht es auf längere Sicht für die Schwaben schlechter aus. Auf drei Jahre gesehen liegt der Kursverlust bei 38 Prozent, auf fünf Jahre bei mehr als der Hälfte. Auch im Vergleich mit dem Rivalen BMW und dessen Stammaktie stehen die Daimler-Anleger schlechter da./men/mne/zb