MÜNCHEN (dpa-AFX) - Der Bausoftware-Konzern Nemetschek kann seit Jahren auf den Bauboom und die zunehmende Digitalisierung in der Branche setzen. Zudem haben die im MDax notierten Münchener das Geschäft stetig mit Übernahmen ausgebaut. Auch in der Corona-Krise kam Nemetschek bisher nicht vom Kurs ab, auch wenn der rasante Aktienkursanstieg der letzten Jahre etwas ins Stocken geriet. Was das Unternehmen umtreibt, was Analysten sagen und wie die Aktie sich macht:

DAS IST LOS BEI NEMETSCHEK:

Der seit Anfang 2020 amtierende Firmenchef Axel Kaufmann agierte in der Corona-Krise vorsichtig: Trotz ordentlicher Zahlen verwies er auf die Risiken, die dem Softwareanbieter drohen. Denn große Infrastrukturprojekte könnten unter den von der Corona-Pandemie angespannten öffentlichen Budgets künftig genauso leiden wie private Bauvorhaben infolge einer allgemeinen Investitionszurückhaltung. Doch die Geschäfte liefen insgesamt besser als gedacht, nach dem dritten Quartal hob Nemetschek sogar noch die Jahresprognose an.

Dabei kommt dem Unternehmen zugute, dass es mittlerweile stark auf Softwareserviceverträge setzt, wie es in der Digitalbranche zum Standard geworden ist. Ein größerer Teil des Umsatzes hängt also nicht mehr von aktiven Kaufentscheidungen der Kunden für teils teure Lizenzen ab, sondern von laufenden Softwareabonnements. Diese werden in aller Regel kaum gekündigt, weil sonst auch die Nutzung der Programme wegfällt - in den meisten Firmen der Branche ist Planungs- und Designsoftware aber unverzichtbar. Im dritten Quartal konnte Nemetschek sogar auch im Bereich der Lizenzverkäufe überraschen.

Gegen Jahresende zeigte sich Kaufmann denn auch vorsichtig optimistisch für das kommende Jahr. "Wir schließen nicht aus, dass es Nachschwappeffekte geben wird, aber ausgehend von einem hohen Niveau", sagte er Mitte Dezember der "Börsen-Zeitung". "Deshalb sind wir generell optimistisch für 2021." Für das abgelaufene Jahr 2020 steht in der Planung ein Umsatzplus im mittleren einstelligen Prozentbereich, die operative Marge vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen dürfte mit 28 bis 29 Prozent ebenfalls besser ausfallen als ursprünglich einkalkuliert.

Zukäufe sind weiter ein Thema. "Wir sind in eine Größenordnung hineingewachsen, in der wir große und mittelgroße Zukäufe stemmen können", sagte Kaufmann im Herbst "Euro am Sonntag". Das Unternehmen sehe sich Firmen in Amerika und Europa an. Der Umsatz des Konzerns soll auch dank Übernahmen von zuletzt 557 Millionen Euro (2019) "in einigen Jahren der Schwelle von einer Milliarde Euro nahe kommen". Aus eigener Kraft könne man jährlich um neun bis zehn Prozent zulegen, sagte er weiter.

Zuletzt griff Nemetschek im Dezember bei der belgischen Dexma zu, die auf Energiemanagement spezialisiert ist und der Tochter Spacewell bei der Immobilienverwaltung zugute kommen soll.

Nemetschek will vor allem davon profitieren, dass Architekten, Planer, Designer und Bauunternehmen mehr und mehr Software nutzen, um ihre Projekte zügig und kostengerecht auf die Beine stellen zu können. Das 1963 gegründete und seit 1999 an der Börse notierte Unternehmen stellt Software für den Bauprozess von der Angebotserstellung, Planung über die Umsetzung bis hin zur Verwaltung von Gebäuden her. Zudem bietet das Unternehmen Programme für den Bau von Brücken und Tunneln an, aber auch eine 3D-Grafiksoftware für die Werbe- und Filmbranche.

Seit vielen Jahren wächst der Konkurrent des US-Softwarekonzerns Autodesk, der niederländischen Bricsys und der mittlerweile von der französischen Schneider Electric übernommenen Stuttgarter Rib Software auch über Zukäufe. Mittlerweile beschäftigt Nemetschek nach eigenen Angaben mit seinen 16 Tochtermarken über 3000 Mitarbeiter.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Das Gros der Analysten ist zwar zuversichtlich bis neutral, einige sind angesichts der Corona-Krise und wegen des in den vergangenen Jahren stark gestiegenen Aktienkurses allerdings vorsichtig geworden. Vier der im dpa-AFX-Analyser erfassten Expertinnen und Experten raten zum Kauf, vier zum Halten und zwei empfehlen den Verkauf. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei knapp unter 64 Euro und damit etwas über dem aktuellen Kurs von rund 60 Euro.

Zu den Skeptikern zählen Knut Woller von der Baader Bank und Adam Wood von Morgan Stanley. Beide sehen die Marktschätzungen für das Wachstum als zu hoch an. Woller zufolge dürfte zum einen der starke Euro weiter bis zur Mitte des Jahres Gegenwind liefern. Zum anderen habe sich bereits das Wachstum der Wartungserlöse abgeschwächt, was eine Folge der Lizenzschwäche über die ersten neun Monaten sein dürfte. Ohnehin laufe der Konzern in den kommenden Jahren Gefahr, dass die zunehmende Ausrichtung auf Abos die Gesamterlöse belasten könnte.

Zuversichtlicher ist dagegen Mohammed Moawalla von Goldman Sachs. Die erhöhte Bewertung der Aktie sei gerechtfertigt. Die Gewinndynamik sollte dank Übernahmen noch zunehmen. Ähnlich sieht es DZ-Bank-Experte Armin Kremser: Der IT-Dienstleister komme deutlich besser durch die Corona-Krise als erwartet. Vor allem die Ergebnisseite entwickle sich sehr erfreulich. Im Nachgang der Pandemie sollte 2021 auch wieder ein zweistelliges Umsatzplus drin sein.

DAS MACHT DIE AKTIE (Stand 4. Januar 14.30 Uhr):

Die längerfristig investierten Aktionäre haben viel Freude an der Aktie des Bausoftwarespezialisten. Lag das Nemetschek-Papier noch bis ins Frühjahr 2017 bei unter 20 Euro, stand es zuletzt bei rund 60 Euro. Der bisherige Rekord liegt bei 74,35 Euro im Mai im Aufschwung infolge des Corona-Crashs. In diesem war der Kurs bis auf 32,46 Euro abgerutscht, fing sich aber schnell wieder. Unter dem Strich gab es im Jahr 2020 aber nur ein kleines Kursplus von 2 Euro.

Auf drei Jahre gesehen ist Nemetschek aber immer noch in der Spitzengruppe des MDax vertreten. Mit einem Kursplus von gut 140 Prozent muss sich der Softwareanbieter unter den aktuellen Mitgliedern derzeit nur Varta, Hellofresh, Sartorius, Shop Apotheke, Bechtle und Puma geschlagen geben.

Aktuell ist das Unternehmen an der Börse mit fast 7 Milliarden Euro bewertet. Firmengründer und Aufsichtsratsmitglied Georg Nemetschek hält zusammen mit seiner Familie die Mehrheit der Anteile, gut 48 Prozent der Aktien sind im Streubesitz./men/ngu/he