WOLFSBURG (dpa-AFX) - Volkswagen setzt wie kein anderer herkömmlicher Autobauer auf die Zukunft mit vollelektrischen Antrieben. Ab diesem Jahr muss sich zeigen, ob der große Tanker mit Konzernboss Herbert Diess am Ruder schnell genug die Kurve bekommen hat. Denn milliardenschwere Strafen der EU-Kommission drohen, wenn die Kunden nicht genug der Elektroautos kaufen. Was im Unternehmen vor den für diesen Freitag (28.2.) erwarteten vorläufigen Jahreszahlen los ist, was die Analysten sagen und wie die Aktie zuletzt gelaufen ist.

WAS IM UNTERNEHMEN LOS IST:

Dass sich die vor einigen Jahren angeschobenen Stadtgeländewagen immer besser verkaufen, spielt Konzernchef Diess in die Karten, wenn die hohen Kosten für seinen Elektrokurs die Gewinnrechnung zu verhageln drohen. So kommen die Wolfsburger bisher sehr ordentlich durch den anstehenden Umbruch der Branche, der hohe Vorleistungen in neue Technik und Modelle erfordert. 2020 soll selbst in Nordamerika auch dank der SUVs wieder ein Gewinn gemacht werden - dort hatte VW schon vor dem Auffliegen der manipulierten Dieselmotoren im Herbst 2015 seit längerem nur Verluste eingefahren.

Der eingeschlagene Kurs dürfte von den Zahlen für 2019 weiter untermauert werden. Der Konzern steigerte die Auslieferungen weltweit um 1,3 Prozent auf 10,97 Millionen Fahrzeuge. Umsatz, Ergebnis und Gewinn dürften teils deutlich gestiegen sein, wenn es nach Meinung von Analysten geht. Neben den teureren und nicht unumstrittenen SUVs sorgen auch die Sparprogramme bei der Kernmarke VW Pkw und beim schwächelnden Premiumautobauer Audi für Schub. Gleichwohl lauern in vielen Märkten, insbesondere für 2020, konjunkturelle Risiken.

Das Umsteuern des Konzerns ist ein großes Unterfangen, bei dem es aber noch an einigen Ecken knirscht. Kann VW wirklich genug Elektroautos absetzen, um die EU-Grenzwerte für den CO2-Flottenausstoß stark genug zu senken, wenn es beim künftigen E-Parademodell ID3 Softwareprobleme gibt? Auch bei der neuen, achten Version vom Brot-und-Butter-Modell Golf lief nicht alles rund.

Baustelle bleibt natürlich die Bewältigung des Dieselskandals. Nachdem außergerichtliche Gespräche mit dem Bundesverband der Verbraucherzentralen für Kunden aus dem Musterklage-Verfahren gescheitert waren, hatte VW ein eigenes Entschädigungsangebot von insgesamt bis zu 830 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Inzwischen sprechen beide Seiten wieder miteinander. Bis Ende des dritten Quartals hatte VW für die in den USA im Herbst 2015 aufgeflogenen Softwaremanipulationen insgesamt schon 30,3 Milliarden Euro verbucht.

Vollkommen unklar ist bisher, wie stark sich die Coronavirus-Epidemie in China auswirkt. Die meisten VW-Werke mit den Partnern FAW und SAIC laufen zwar wieder. Am Ende könnte aber vor allem ein Einbruch der Nachfrage VW belasten. Chinesische Verbände rechnen mit deutlichen Rückgängen am Markt in den ersten Jahresmonaten. China steht im VW-Konzern für rund 40 Prozent der Auslieferungen weltweit.

Bei einigen strategischen Projekten kann Diess derweil Erfolge vorweisen. Die Lkw- und Bustochter Traton ist mittlerweile an der Börse, wenn auch zunächst in homöopathischer Dosis. Nutzfahrzeugchef Andreas Renschler geht derzeit sogar die seit langem erwartete Komplettübernahme des US-Truckherstellers Navistar an. Der Mehrheitsanteil am Maschinenbauer Renk wird für über 500 Millionen Euro an den Finanzinvestor Triton verkauft. Und mit Ford steckt VW Milliarden in die Erforschung und Entwicklung des autonomen Fahrens, zugleich wollen die Amerikaner die Elektroplattform MEB der Wolfsburger für eigene Modelle nutzen, was Geld in die Kasse spült.

WAS DIE ANALYSTEN SAGEN:

Bei den Aktienanalysten stehen die Volkswagen-Vorzugsaktien hoch im Kurs. Aktuell empfehlen 14 von 20 im dpa-AFX-Analyser erfassten Experten die Papiere zum Kauf. Fünf von ihnen raten zum Halten und nur eine Stimme rät zum Verkauf der Titel. Das durchschnittliche Kursziel liegt mit gut 193 Euro fast 40 Euro über dem aktuellen Kurs.

Die Experten des Analysehauses Warburg Research verweisen darauf, dass sich die starken Auslieferungszuwächse im vierten Quartal nicht eins zu eins in Produktion und Absatz wiederfinden dürften, weil VW damit auch die Lagerbestände zurückgefahren haben sollte. Ein Jahr zuvor hatten die Probleme mit dem neuen Abgastest WLTP die Angebotspalette stark eingeschränkt, weshalb in den letzten Jahresmonaten 2019 die Auslieferungsstatistiken deutlich nach oben zeigten. Zuletzt dürften auch steigende Anlaufkosten für die Elektro-Offensive und die Flaute bei der Lkw-Tochter Traton die Ergebnisse im Zaum gehalten haben, schrieben die Analysten.

Die große Unbekannte ist derzeit aber nicht mehr nur die Schwäche der Automärkte an sich und die Kosten für die Elektrowende. Immer unsicherer wird auch die Ausbreitung des Coronavirus und die Auswirkungen auf die Konjunktur und die Branche. Barclays-Analystin Dorothee Cresswell stellte in einer Branchenstudie schon Anfang des Monats die Frage, ob die neuartige Lungenkrankheit ein sogenannter "Schwarzer Schwan" für die Autoindustrie werden könne - also ein unvorhersehbares, sehr seltenes Ereignis mit sehr negativen Auswirkungen. Für die Autokonzerne entstünden bedeutende Risiken für die Gewinne, weil die Produktion vor allem in China beeinträchtigt werde.

WIE DIE AKTIE ZULETZT LIEF:

Nach einer längeren Dümpelphase setzten die VW-Vorzugsaktien im Oktober zu einem deutlichen Aufwärtskurs an, den auch die europäische Autobauer- und Zulieferbranche erlebte. Fast wurden wieder Kurse rund um die Hochs von über 190 Euro wie im Frühjahr 2018 erreicht, bis im neuen Jahr erneut Tristesse einsetzte. Aktuell notiert das Vorzugspapier wieder bei rund 156 Euro. Im laufenden Jahr ging es für die Vorzugsaktionäre um mehr als 11 Prozent bergab. Vom Hoch über 262 Euro im Frühjahr 2015 vor dem Ausbruch der Dieselkrise ist die Aktie ohnehin weit entfernt.

Sauer aufstoßen könnte den Anlegern dabei auch, dass US-Elektroautopionier Tesla jüngst dank seiner Kursexplosion den weltgrößten Autobauer Volkswagen beim Börsenwert weit hinter sich ließ. Das ausgegebene Kapital von VW ist derzeit rund 78 Milliarden Euro wert, Tesla bringt umgerechnet mittlerweile rund 134 Milliarden auf die Waage.

Diess hat angekündigt, den eigenen Marktwert in den kommenden Jahren deutlich steigern zu wollen, indem er VW zu einem softwaregetriebenen Konzern machen will, um an der Börse ebenfalls die Bewertungen eines Technologiekonzerns zu erreichen. Ob das gelingen kann, hängt auch vom Erfolg der neuen Fahrzeuge mit neuer, eigener Betriebssystem-Software ab - und ob VW den Kunden in dieser Hinsicht den gleichen Service bieten kann wie zum Beispiel Tesla./men/jha/