WOLFSBURG (dpa-AFX) - Der Volkswagen-Konzern steht nach wie vor insbesondere mit der Vergangenheitsbewältigung im Fokus der Öffentlichkeit. Vorstandschef Herbert Diess bemüht sich nach Kräften, dem Autoriesen aus Wolfsburg in der Klimadiskussion ein grünes Image zu verpassen. Doch die Manipulationen von Dieselmotoren holen den Konzern immer wieder ein. Was bei VW los ist, was Analysten sagen und wie die Aktie läuft.

DAS IST LOS BEI VW:

Seit ein paar Wochen ist die Katze aus dem Sack, die Staatsanwaltschaft Braunschweig nimmt in ihrer Anklage wegen Marktmanipulation auch Vorstandschef Herbert Diess und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch ins Visier. Das Gericht muss die Anklage noch zulassen, aber unangenehm ist die Sache schon jetzt - denn mit den beiden steht neben Ex-Chef Martin Winterkorn die derzeitige Führungsspitze unter Verdacht, Anleger bezüglich der Milliardenrisiken der Dieselaffäre vorsätzlich hinters Licht geführt zu haben. Das behauptet die Anklage. Die Manager beteuern jedoch ihre Unschuld und wollen am Ruder bleiben.

Andere wichtige Themen treten in den Hintergrund angesichts der Rechtsstreitigkeiten, die der Konzern in Sachen Diesel nach wie vor zu führen hat. Dabei ist Diess eine große Wette eingegangen, die den Konzern zum Erfolg bei reinen Elektroautos geradezu verdammt. Im laufenden Fünfjahreszyklus bis 2023 steckt der Konzern mehr als 30 Milliarden Euro allein in die Elektrifizierung seiner Modellpalette. Mit fast 70 neuen E-Modellen in den nächsten zehn Jahren will Volkswagen auf den eigenen Elektroplattformen 22 Millionen E-Autos bauen. Doch es ist weiter nicht klar, ob die auch zum Verkaufsschlager bei den Kunden werden.

Ein erster echter Lackmustest steht VW im kommenden Jahr bevor, wenn der ID.3 als neues Kompaktmodell die Erfolgsstory von Käfer und Golf im Elektrozeitalter weiterführen soll. 2021 greifen dann endgültig auch die härteren Vorgaben der EU-Kommission zum Ausstoß des klimaschädlichen Abgases Kohlendioxid (CO2). Verkauft VW dann nicht genug Elektroautos in Europa und verfehlt seine Emissionsziele, drohen hohe Milliardenstrafen.

Diess hatte den Investoren neben dem mittlerweile auf kleiner Flamme durchgezogenen Teilbörsengang der Lkw- und Bustochter Traton zudem noch in Aussicht gestellt, sich von Randbereichen zu trennen. Bisher kam die Prüfung aber weder beim Großmotorenbauer MAN Energy Solutions noch beim Maschinenbauer Renk zu einem verkündbaren Ergebnis. Verkaufs- oder Börsengangsgerüchte bei der Audi-Luxustochter Lamborghini dementierte der Autobauer zuletzt.

Immerhin steht VW im Tagesgeschäft besser da als so mancher Branchenrivale - und das trotz der Probleme des riesigen Automarktes in China, die VW überproportional treffen. Allerdings fließen die chinesischen Geschäfte auch erst unter dem Strich in die Gewinn- und Verlustrechnung bei VW und nicht schon in Umsatz und operatives Ergebnis. Darüber hinaus profitieren die Wolfsburger von Kostensenkungen und auch massiv von der in den vergangenen Jahren forcierten SUV-Offensive mit den teureren Stadtgeländewagen.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Auch am VW-Reich geht die Branchenflaute nicht spurlos vorbei, schätzen Analysten. Die mittelfristigen Finanzziele für das kommende Jahr seien mittlerweile zu optimistisch und müssten gesenkt werden, schrieb zuletzt Evercore-Analyst Arndt Ellinghorst. Vom Basisjahr 2016 ausgehend hatte sich der Konzern zuletzt eine Umsatzsteigerung von mindestens einem Viertel auf über 271 Milliarden Euro vorgenommen. Das um Sondereinflüsse bereinigte operative Ergebnis sollte um mindestens 30 Prozent auf über 19 Milliarden Euro klettern.

Ellinghorst und die von Bloomberg befragten Experten rechnen beim Umsatz nur mit 245 beziehungsweise im Durchschnitt mit 253 Milliarden Euro. Das werde VW vermutlich stärker zu Kostensenkungen zwingen, wenn die Margenziele Bestand haben sollten, so Ellinghorst. Beim operativen Ergebnis ist Ellinghorst für 2020 mit gut 17,2 Milliarden Euro deutlich pessimistischer als der Markt mit 19,3 Milliarden. Das Margenziel von 6,5 bis 7 Prozent sei aber wohl nicht in Gefahr.

Commerzbank-Autospezialist Demian Flowers wertet die Schätzungen am Markt hinsichtlich der Kosten für die Senkung von CO2-Emissionen ohnehin als zu optimistisch. Alle großen europäischen Autobauer ließen sich mit dem Erreichen von CO2-Zielen - falls überhaupt möglich - Zeit bis zur allerletzten Minute. Auch Flowers rechnet bei VW kommendes Jahr nicht mit dem Erreichen der absoluten Umsatz- und Ergebnisziele.

Kai Müller von der Bank of America ist zwar insgesamt vorsichtig bei VW, immerhin aber dürfte der Konzern im dritten Quartal von den laufenden starken Kostensenkungen profitieren.

Die Gesamtschar der im dpa-AFX-Analyser erfassten Analysten ist gegenüber der Vorzugsaktie positiv gestimmt, 16 von 24 Experten empfehlen sie zum Kauf, nur eine Stimme rät zum Verkauf. Das durchschnittliche Kursziel von knapp 183 Euro lässt dem zuletzt spürbar gestiegenen Kurs noch rund 7,5 Prozent Luft nach oben.

DAS MACHT DIE AKTIE

Allein im Oktober hat das Vorzugspapier von VW mehr als 4 Prozent gewonnen. Für das bisherige Jahr sieht es daher mit rund 22 Anstieg gut aus - das ist zwar nur ein Mittelfeldplatz im Dax, im europäischen Branchenindex der Autohersteller und Zulieferer liegt VW damit aber zumindest über dem Schnitt.

Die Anleger der im Dax notierten Vorzüge können ohnehin seit den großen Wirrungen um die Dieselmanipulationen und deren finanzielle Auswirkungen mit etwas mehr Gelassenheit auf ihre Anteile blicken als die Konkurrenz von Daimler und BMW. In den vergangenen drei Jahren steht ein Plus von über 40 Prozent zu Buche. Die BMW-Stämme liegen hingegen mehr als ein Zehntel im Minus, Daimler-Aktien haben in diesem Zeitraum gar mehr als ein Fünftel verloren.

Ob das ein Trost ist, hängt wohl von der Perspektive ab - denn im Vergleich zum Hoch von über 260 Euro im März 2015 ist immer noch viel Börsenwert flöten gegangen. Schon bevor mit dem Bekanntwerden des Dieselbetrugs im September 2015 bei den Anlegern viel Porzellan zerschlagen wurde, war der Aktienkurs aber auf dem deutlich absteigenden Ast.

Seit dem Desaster, das bis heute mehr als 30 Milliarden Euro gekostet hat, bewegte sich die Aktie in einem längerfristigen Trend leicht nach oben und pendelte seit gut einem Jahr um die Marke von 150 Euro. Nun versucht die Aktie seit Oktober mit einem Ausbruch nach oben jedoch einen neuen Trend zu etablieren./men/eas/mis