Hamburg (Reuters) - Volkswagen-Chef Herbert Diess hat den Betriebsrat und das Land Niedersachsen als Großaktionär aufgefordert, beim Umbau des Konzerns zu einem führenden Anbieter klimaschonender Mobilität keine Blockadehaltung einzunehmen.

"Durch die Mehrheitsverhältnisse bei Volkswagen spielen das Land Niedersachsen zusammen mit der Mitbestimmung eine besonders wichtige Rolle für wesentliche Richtungsentscheide - das gilt auch für die Besetzung von Spitzenpositionen", erklärte Diess in einem Grußwort anlässlich eines Festakts zum 75-jährigen Bestehen der Mitbestimmung bei VW. Unternehmenskreisen zufolge kommt Diess bei der Besetzung von Schlüsselressorts im Vorstand nicht voran, weil der Betriebsrat nicht mitzieht. Betriebsratschef Bernd Osterloh hatte dem entgegengehalten, es gebe keinen Streit. Im nächsten Jahr muss die Nachfolge von Finanzchef Frank Witter geregelt werden, der im Juni aus familiären Gründen ausscheiden will. Außerdem muss der seit dem Rückzug von Stefan Sommer unbesetzte Posten des Beschaffungsvorstands neu besetzt werden, den Witter seit dem Frühsommer kommissarisch mitverantwortet. Insidern zufolge gibt es mit dem Betriebsrat Streit über den künftigen Zuschnitt der Ressorts. Auch steht angesichts der enormen Investitionen in die E-Mobilität und die Digitalisierung inmitten der Corona-Krise die Frage eines weiteren Sparprogramms im Raum. Diess mahnte, in den kommenden Jahren müssten "mutige Entscheidungen" getroffen werden, um den Fortbestand des Konzerns mit über 600.000 Beschäftigten zu sichern. Mit dem Zukunftspakt der Marke Volkswagen, dem Umbau der Komponentenstandorte, der Umrüstung von Werken auf die Produktion von E-Autos und dem Ausbau der Softwarekompetenz seien bereits wichtige Weichen zur Zukunftssicherung gestellt worden. "Effizienzsteigerungen sind notwendig und für den Fortbestand von Unternehmen nicht zu unterschätzen, wie viele Beispiele immer wieder beweisen" erklärte der Konzernchef weiter. Hier habe Volkswagen noch Nachholbedarf. BETRIEBSRAT DEMONSTRIERT SELBSTBEWUSSTSEIN Osterloh erklärte, der Betriebsrat feiere "nicht sein Alter, sondern seine Erfahrung und seine Stärke als Gremium". Die IG Metall, der auch Osterloh angehört, ist bei Volkswagen besonders stark vertreten. "Gerade unsere Geschichte zeigt immer wieder: Krisen werden bei Volkswagen nicht kurzfristig auf Kosten der Kolleginnen und Kollegen ausgetragen", betonte er. Das werde auch künftig gelingen. "Und solange das VW-Gesetz, unser hoher gewerkschaftlicher Organisationsgrad und vor allem der enorme Rückhalt unserer Belegschaft weiter hinter unserer Arbeit als Betriebsrat stehen, wird das auch noch die nächsten 75 Jahre so bleiben." Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch erklärte anlässlich der im Internet übetragenen Veranstaltung, Volkswagen sei ein Beispiel dafür, dass sich nachhaltige Rendite und nachaltige Beschäftigung nicht ausschlössen. Die paritäische Mitbestimmung sei ein wichtiger Teil der Unternehmenskultur und des Erfolgs von Volkswagen. Das 1960 in Kraft getretene VW-Gesetz gibt dem Betriebsrat und dem Land Niedersachsen als zweitgrößtem Aktionär nach der Familienholding Porsche SE eine besondere Stellung bei VW.