WOLFSBURG/BERLIN (awp international) - Der frühere BMW -Manager und aktuelle VW -Markenchef Herbert Diess wird aller Voraussicht nach neuer Vorstandschef der gesamten Volkswagen -Gruppe. Der 59-Jährige soll bald Matthias Müller an der Spitze des weltgrössten Autokonzerns ablösen, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Dienstag aus Aufsichtsrats- und Unternehmenskreisen.

Insidern zufolge ist der Schritt im Rahmen eines grösseren Konzernumbaus zu sehen, die insgesamt vorgesehenen Veränderungen in Wolfsburg seien umfassend. Auch andere Medien wie das "Handelsblatt", die "Bild"-Zeitung oder die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichteten darüber.

Der geplante Umbau soll nach Darstellung aus Aufsichtsrats-Kreisen einen "Aufbruch" bei Europas grösstem Autokonzern ermöglichen. Wie die Deutsche Presse-Agentur am Dienstagabend aus Kreisen des Kontrollgremiums erfuhr, wird dem amtierenden Konzernchef Müller intern Entscheidungsschwäche vorgeworfen. Der notwendige Umbau gehe nicht schnell genug, hiess es mit Blick auf den grundlegenden Wandel der Automobilindustrie. Die Zukunftsthemen sind alternative Antriebe und das autonome Fahren, dies bringt grosse Veränderungen mit sich.

Der neue starke Mann im Konzern als Nachfolger Müllers soll Diess werden, er gilt als entscheidungsstärker. Diess war früher BMW-Vorstandsmitglied und ist seit Sommer 2015 bei VW, kurz bevor der Diesel-Abgasskandal ins Rollen kam. Der 59-Jährige galt bereits länger als "Kronprinz" Müllers (64).

Der frühere Porsche-Chef Müller war kurz nach Bekanntwerden des Abgasskandals im Herbst 2015 neuer VW-Konzernchef geworden. Er hatte damals den langjährigen Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn abgelöst, der zurückgetreten war.

Im Zuge des geplanten Umbaus soll ausserdem ein enger Vertrauter von Betriebsratschef Bernd Osterloh neuer VW-Personalvorstand werden. Den Posten übernehmen soll Gunnar Kilian, aktuell Generalsekretär des VW-Konzernbetriebsrates, wie die Deutsche Presse-Agentur am Abend aus Kreisen des Aufsichtsrats erfuhr.

Kilian soll den bisherigen Personalvorstand Karlheinz Blessing ablösen. Das hatte zuvor der "Spiegel" berichtet, über die geplante Ablösung Blessings auch das "Handelsblatt". Der einflussreiche VW-Betriebsratschef Osterloh sitzt auch im Aufsichtsrat. Blessing ist erst seit Anfang 2016 im Amt.

VW selbst hatte in einer Mitteilung an die Finanzwelt angekündigt, man prüfe "eine Weiterentwicklung der Führungsstruktur". Dies schliesse Änderungen bei den Verantwortlichkeiten ein, jedoch womöglich auch "eine Veränderung im Amt des Vorstandsvorsitzenden".

Welche Punkte im Einzelnen vorgesehen sind und was dies konkret für die Zukunft Müllers bedeuten würde, war vorher unklar geblieben - Volkswagen machte zunächst keine weiteren Angaben dazu. Der Vertrag von Müller (64) läuft eigentlich noch bis 2020. Diess kam 2015 von BMW und handelte unter anderem das Reform- und Sparprogramm "Zukunftspakt" bei der Stammsparte mit dem mächtigen Betriebsrat aus.

Müller habe seine "grundsätzliche Bereitschaft signalisiert, an den Veränderungen mitzuwirken", erklärte VW. An diesem Freitag soll nach dpa-Informationen der Aufsichtsrat zusammenkommen. Dabei dürfte es um eine mögliche Abspaltung des Lkw-Geschäfts und Top-Personalien gehen.

Bei Volkswagen sind die internen Strukturen seit langem ein zentrales Thema, der riesige Konzern kämpft mit seinem komplexen Aufbau und will den einzelnen Marken und Regionen mehr Verantwortung geben. Ausserdem erfordern die Elektromobilität und die Vernetzung viele Veränderungen. Volkswagen investiert hier bereits Milliarden.

Zeitgleich mit den Wolfsburgern ging die Muttergesellschaft Porsche SE an die Öffentlichkeit und teilte mit, dass Veränderungen im VW-Vorstand auch zu Änderungen im Vorstand bei der Porsche SE führen könnten. Die von den Familien Porsche und Piëch kontrollierte Porsche SE hält gut 52 Prozent der Stimmrechte an Volkswagen. Die VW-Vorzugsaktien im Dax legten deutlich zu, zum Handelsschluss an der Frankfurter Börse gewannen sie knapp 5 Prozent.

Müller hatte kürzlich dem "Spiegel" gesagt, aus seiner Sicht müsse das oberste Management von Volkswagen "weiblicher, jünger und internationaler" werden. "Das ist ein riesiges Problem des Konzerns. (...) Ich würde auf jeden Fall gern mit dem Aufsichtsrat diskutieren, wie der Konzern nach meiner Zeit geführt werden soll und von wem." Er selbst könne sich auch eine Aufgabe im Aufsichtsrat vorstellen.

Der frühere Porsche-Chef war im Herbst 2015 an die Spitze von Volkswagen gekommen, nachdem Vorgänger Martin Winterkorn im Zusammenhang mit dem Bekanntwerden des Diesel-Skandals in den USA zurückgetreten war. Weil im Zuge der Affäre um manipulierte Abgastests auch viel grundsätzliche Kritik an den Abläufen bei VW laut wurde, stiess Müller Initiativen zu einem "Kulturwandel" an.

Im vergangenen Jahr konnte Volkswagen erneut stark zulegen. Die Kernmarke warf einen Betriebsgewinn von rund 3,3 Milliarden Euro ab - bereinigt um Sonderkosten für die Diesel-Affäre. Unabhängig von den sehr guten Zahlen müsse der Kulturwandel jetzt jedoch mutig und offen angegangen werden, hiess es aus dem Aufsichtsrat.

Die Grünen kritisierten, Personalpläne änderten wenig daran, dass VW sich aus ihrer Sicht bisher nicht ausreichend aus den Folgen des Diesel-Skandals gelernt habe. "Egal, wer an der Spitze steht: Der Konzern hat sich nach all den Jahren des Betrugs seiner Verantwortung immer noch nicht gestellt", meinte Parteichefin Annalena Baerbock. "Wir brauchen die verpflichtende Nachrüstung für die manipulierten Fahrzeuge auf Kosten der Konzerne." Die Autobauer lehnen Umbauten an der Motor- und Abgas-Hardware für weniger Schadstoffausstoss ab./jap/DP/he