BOCHUM (dpa-AFX) - Die Geschäfte für Deutschlands größten Immobilienkonzern Vonovia laufen dank starker Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum auch in Corona-Zeiten gut. Dem Unternehmen weht aber schon seit einiger Zeit ein kräftiger Wind wegen steigender Mieten auf dem deutschen Heimatmarkt entgegen. Allerdings fällt mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen den Berliner Mietendeckel nun ein Unsicherheitsfaktor weg. Was bei Vonovia los ist, was die Analysten sagen und wie die Aktie zuletzt gelaufen ist.

LAGE DES UNTERNEHMENS:

Der Dax-Konzern wächst auch während der Corona-Krise dank steigender Mieten in den Großstädten, Zukäufen und Neubauten kräftig. Bei den Mieten profitiert der Vermieter wie andere aus der Branche vor allem von modernisierten Wohnungen. Die Kosten dafür legen die Konzerne nicht nur teilweise auf die Mieter um, sondern sie können die Mieten anschließend auch stärker erhöhen. Zudem setzt Vonovia auf Neubau und die Aufstockung von Gebäuden. Hier kam es im vergangenen Jahr aber wegen der Sicherheitsvorkehrungen im Zuge der Corona-Pandemie zu Bauverzögerungen.

Seit längerem wächst der Wohnimmobilien-Konzern auch durch Übernahmen im In- und zuletzt auch im Ausland. Vonovia ist mit etwa 355 000 Wohnungen der größte Vermieter in Deutschland. Damit hat der Konzern nach eigenen Angaben hierzulande einen Marktanteil von 1,5 Prozent. Weitere etwa 60 000 Wohnungen besitzt das Unternehmen in Schweden und Österreich. Im Sommer 2020 war der Konzern beim niederländischen Immobilieninvestor Vesteda eingestiegen.

Allerdings bremste im vergangenen Jahr die Corona-Pandemie den Anstieg der Bestandsmieten. Das Plus habe nur 0,6 Prozent betragen, betonte Konzernchef Rolf Buch bei der Vorlage der Zahlen im März. Vonovia habe wegen der Pandemie monatelang auf Mieterhöhungen verzichtet und auch keine Kündigungen ausgesprochen. "Vonovia ist ein stabiler Fels in der Brandung", sagte Buch.

Nach Zuwächsen 2020 will Vonovia auch im laufenden Jahr zulegen. Im laufenden Jahr soll das operative Ergebnis (FFO) auf 1,415 bis 1,465 Milliarden Euro steigen. 2020 legte der operative Gewinn (FFO) im Jahresvergleich um 10,6 Prozent auf 1,35 Milliarden Euro zu. Beim Umsatz peilen die Bochumer 4,9 bis 5,1 Milliarden Euro nach 4,37 Milliarden Euro im Vorjahr an.

Im Fokus stand bis vor kurzem vor allem der Berliner Wohnungsmarkt wegen des Mietendeckels. Erst jüngst erklärte das Bundesverfassungsgericht das seit mehr als einem Jahr geltende Berliner Mietendeckel-Gesetz in einem Beschluss für nichtig. Für das Mietrecht sei der Bund zuständig, daneben dürfe es kein Landesgesetz geben, hieß es zur Begründung. Damit gelten die im Landesgesetz festgelegten Mietobergrenzen nicht mehr. Auf viele Menschen in Wohnungen mit gedeckelter Miete in Berlin kommen Nachzahlungen zu.

Anders als etwa der Konkurrent Deutsche Wohnen teilte Vonovia am Tag der Urteilsverkündung mit, keine Mietnachforderungen zu stellen. Vorstandschef Rolf Buch bezifferte die Mietausfälle von Vonovia durch den Berliner Mietendeckel auf bis zu zehn Millionen Euro. Vonovia verzichte auf Mietnachforderungen, da eine Vielzahl von Mieterinnen und Mietern nicht dem Rat der Politik gefolgt seien und die gesparte Miete nicht zur Seite gelegt hätten. Der Immobilienkonzern besitzt in Berlin etwa 42 000 Wohnungen. Bei zwei Drittel von ihnen musste die Miete trotz des Gesetzes nicht gekürzt werden, weil die Mieten unter den Grenzen des Mietendeckels lagen.

Die Initiatoren des Berliner Volksbegehrens zur Enteignung großer Wohnungskonzerne rechnen nun aber mit neuem Schwung für ihre Unterschriftensammlung. "Wir spüren große zusätzliche Unterstützung", sagte Mitinitiator Rouzbeh Taheri. Ein Bündnis Berliner Mieterinitiativen strebt an, dass Immobilienunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen "vergesellschaftet", also gegen eine Entschädigung per Landesgesetz enteignet werden.

Auch sonst weht den großen Wohnimmobilien-Konzernen in Deutschland ein stärkerer Gegenwind entgegen. Im vergangenen Jahr verlängerte der Bundestag angesichts der anhaltenden Knappheit an Wohnungen die Mietpreisbremse um fünf Jahre und verschärfte sie zudem. Wie es im ersten Quartal 2021 für Vonovia lief, werden Anleger bei der Vorlage der Zahlen am 4. Mai erfahren.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Von den im dpa-AFX-Analyser seit März erfassten elf Experten empfiehlt mit acht Branchenkennern die Mehrheit die Aktie zum Kauf. Während sich drei Experten für das Halten des Papiers aussprechen, gibt es kein Verkaufsvotum. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei rund 65 Euro - aktuell kostet das Papier knapp 55 Euro.

Für Analyst Charles Boissier von der schweizerischen Großbank UBS ist der Richterspruch das bestmögliche Ergebnis für die in der deutschen Hauptstadt tätigen Wohnimmobilienunternehmen. Die Entscheidung sei unwiderruflich und müsse mit sofortiger Wirkung umgesetzt werden. Deutschlands größter Wohnungskonzern Vonovia wolle zwar keine Mietnachforderungen stellen, peile beim Mietwachstum auf vergleichbarer Basis aber dennoch das obere Ende der für dieses Jahr avisierten Spanne an.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen den Berliner Mietendeckel lässt laut Analyst Kai Klose von der Privatbank Berenberg an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig und dürfte die generelle Diskussion über zukünftige Regulierungen beeinflussen. Ihr Einfluss auf die Gewinne der Immobilienunternehmen dürfte dann ab dem kommenden Jahr deutlicher werden.

DZ-Bank-Analyst Karsten Oblinger bewertet das Aus des Berliner Mietendeckels zwar als Etappensieg. Allerdings dürfe nicht vergessen werden, dass in diesem Jahr die Bundestagswahl anstehe und das Thema Mietpreisregulierungen damit noch mehr in den Fokus des Wahlkampfes rücke, mahnte er. Die politischen Mehrheitsverhältnisse in Deutschland hätten sich in den letzten Wochen und Monaten spürbar verschoben, sodass eine deutlich stärkere Mietregulierung auf Bundesebene nicht mehr ausgeschlossen werden könne.

Abgesehen davon, dass aktuell zunehmend zyklische Branchen gespielt würden, setzen nach Ansicht von Experte Thomas Rothäusler vom Analysehaus Jefferies auch steigende Zinsen, ESG-Risiken und die jüngsten politischen Entwicklungen der deutschen Immobilienbranche zu. Dabei verwies er darauf, dass in den jüngsten Landtagswahlen die Grünen deutlich zugelegt und die Konservativen verloren hätten. Aktuelle Kursschwächen von Immobilienwerten - da die Grünen mit Blick auf Vermieter und in Sachen ESG (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) schärfer durchgriffen - sieht Rothäusler als Kaufgelegenheiten.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die Vonovia-Anteile gehören in diesem Jahr zu den Verlierern im Dax. Seit ihrem Jahreshoch von etwas mehr als 60 Euro verlor das Papier bis Anfang März mehr als zehn Prozent und legte dann wieder nach und nach zu. Seit Jahresbeginn steht ein Minus bei knapp neun Prozent zu Buche - die Aktie ist damit der drittschlechteste Dax-Titel. Im vergangenen Jahr legte das Papier des Immobilienkonzerns hingegen um rund ein Viertel zu.

Damit gehörte Vonovia-Papier 2020 zu den begehrtesten Dax-Titeln. Seit dem Index-Aufstieg der Aktie im September 2015 zog der Kurs um mehr als 80 Prozent an - und auch in diesem Zeitraum gab es kaum Dax-Titel, die mehr zugelegt haben. Mit einem Börsenwert von inzwischen rund 31 Milliarden Euro liegt Vonovia in dieser Wertung inzwischen im Index-Mittelfeld.

Vonovia ist aus der Deutsche Annington hervorgegangen, die 2000 einen Großteil der vom Bund verkauften Eisenbahnerwohnungen gekauft hatte. Bis zum Börsengang hatte Deutsche Annington Finanzinvestoren gehört. Der Start am Kapitalmarkt war holprig - der Börsengang gelang erst im zweiten Anlauf. Die Investoren, allen voran die britische Gesellschaft Terra Firma, mussten sich mit deutlich weniger zufrieden geben als erhofft.

Doch die geschickte Übernahmestrategie des Unternehmenslenkers Buch sowie der Immobilienboom in Deutschland bescherten den Anteilseignern bald kräftige Gewinne. Vom Ausgabepreis in Höhe von 16,50 Euro ging es Stück für Stück nach oben. Inzwischen haben sich die Alteigentümer ganz von Vonovia verabschiedet./mne/eas/he