DEERFIELD (dpa-AFX) - Die US-amerikanische Drogerie- und Apothekenkette Walgreens Boots Alliance ist in den vergangenen Jahren dank milliardenschwerer Zukäufe stark gewachsen. Allerdings macht dem Unternehmen zunehmend der harte Wettbewerb, der Kostendruck infolge zahlreicher politischer Reformen und die schwächelnde britische Apothekenkette Boots zu schaffen. Das Gewinnziel für 2019 strich Unternehmenschef Stefano Pessina bei Vorlage der Zahlen zum zweiten Quartal zusammen und verschärfte den Sparkurs. Was bei Walgreens los ist, was Analysten sagen und was die Aktie macht.

DIE LAGE BEI WALGREENS:

Walgreens Wurzeln reichen weit zurück: Vor mehr als 100 Jahren hatte der Apotheker Charles Rudolph Walgreen die erste Apotheke in Chicago gekauft und begonnen, eine Drogeriekette aufzubauen. Nachdem Walgreens lange auf Übernahmen verzichtete, erwarb die Kette 2006 den kleineren Konkurrenten Happy Harry's.

Vier Jahre später folgte der Zukauf der Drogeriekette Duane Reade, bevor Walgreens Ende 2014 den britisch-schweizerischen Apotheken- und Pharmagroßhändler Alliance Boots komplett erwarb. Bereits im Februar 2012 hatte Walgreens fast 50 Prozent der Anteile von Alliance Boots von dem Finanzinvestor KKR und dem Milliardär Stefano Pessina gekauft.

Zudem wurde Pessina, der als Firmenchef von Alliance Boots den Zusammenschluss beider Unternehmen eingefädelt hatte, größter Aktionär von Walgreens. Seit Anfang 2015 leitet Pessina, der mit knapp 16 Prozent am Unternehmen beteiligt ist, Walgreens Boots Alliance mit Hauptsitz in Deerfield im US-Bundesstaat Illinois.

Der fast 78-Jährige aus Monaco mit italienischen Wurzeln baut seit Jahrzehnten am Firmenimperium. In Italien sanierte er den familieneigenen Pharmagroßhändler und baute das Unternehmen mit Hilfe einer Reihe von Übernahmen auf dem Heimatmarkt aus. Entscheidend war 1997 die Fusion von Pessinas Alliance Sante Group mit dem britischen Konkurrenten UniChem. Neun Jahre später übernahm Pessina mit Unterstützung von KKR die britische Drogeriekette Boots und fusionierte das Unternehmen mit Alliance UniChem zu Alliance Boots. Hinzu kam 2010 der deutsche Pharmagroßhändler Anzag.

Kurz nach der Fusion von Walgreens und Alliance Boots wollte Pessina den nächsten milliardenschweren Coup unter Dach und Fach bringen, doch eine Übernahme von Rite Aid gelang ihm angesichts des Widerstands der Kartellbehörden nicht, sondern ein paar Jahre später nur der Kauf von knapp 2000 Apotheken und damit etwa die Hälfte der Filialen des Konkurrenten. Und immer wieder flammen Gerüchte auf, dass der Walgreens-Chef AmerisourceBergen komplett übernehmen will. 2016 erwarb Walgreens mehr als ein Viertel an den US-Arzneimittelgroßhändler. Zuletzt konzentrierte sich das Unternehmen auf Partnerschaften.

Die Drogerie- und Apothekenkette, zu der Gesundheits- und Beauty-Marken wie No7, Soap & Glory, Liz Earle, Sleek MakeUP und Botanics gehören machte zuletzt mit 415 000 Mitarbeitern und mehr als 18 500 eigenen Apotheken und Drogerien einen Jahresumsatz von knapp 132 Milliarden Dollar. Dreiviertel der Erlöse kommen vom US-Geschäft.

Allerdings weht Walgreeens ein starker Wind insbesondere auf dem Heimatmarkt entgegen. Neben einem zunehmenden Wettbewerb machen dem Unternehmen dort vor allem fallende Preise für Nachahmermittel zu schaffen. Hinzu kommt eine schwächere Geschäftsentwicklung in Großbritannien. Nach einem enttäuschenden zweiten Quartal kappte das Unternehmen Anfang April das Gewinnziel und verschärfte den Sparkurs. Bis zum Jahr 2022 sollen die jährlichen Kosten der Apothekenkette um mehr als 1,5 Milliarden US-Dollar sinken. Zuvor hatte das Ziel bei mehr als einer Milliarde gelegen.

Von der eigentlich geplanten Gewinnsteigerung im laufenden Geschäftsjahr bis Ende August dürfte nach Einschätzung von Konzernchef Stefano Pessina nichts übrig bleiben. Der um Sonderposten bereinigte Gewinn je Aktie soll nun nur noch stagnieren - wenn man Währungskursschwankungen herausrechnet. Zuvor hatte das Management noch eine Steigerung um 7 bis 12 Prozent auf dem Zettel.

Die Herausforderungen am Markt hätten sich verschärft, ebenso die allgemeine Wirtschaftsentwicklung, räumte Pessina ein. Das abgelaufene Quartal sei das schwierigste gewesen seit der Fusion von Walgreens und Alliance Boots. Um die nun geplanten noch höheren Einsparungen zu erreichen, will Pessina die Strukturen im Konzern straffen und einige Prozesse digitalisieren.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Die Schweizer Großbank Credit Suisse zeigte sich zuletzt zwar weiter skeptisch bezüglich der langfristigen Wachstumsaussichten für Walgreens Alliance und die Branche insgesamt. Der Konzern richte aber den Schwerpunkt darauf, Patienten den Zugang zu den Apotheken zu gewährleisten und sei zudem die größte Kette in den USA. Höhere Verschreibungsvolumina sollten die weltweit anhaltenden Erstattungsprobleme verringern. Zudem rechnet die Bank aus dem Zukauf der Rite-Aid-Apotheken mit einem zusätzlichen Sparpotential von 300 Millionen Dollar. Zugleich warnte die Bank vor einem möglichen zunehmenden Wettbewerbsdruck.

Analyst Robert Jones von der US-Bank Goldman Sachs merkte an, das Unternehmen habe sein Einsparziel bis 2022 angehoben. Er frage sich nun, wie viel zusätzliche Kosten das Unternehmen senken kann, ohne die Geschäfte zu beeinträchtigen. Denn Walgreens habe bereits im Vergleich zu seinen Konkurrenten die niedrigsten Kosten beim Vertrieb.

Aktuell raten die weitaus meisten Experten (18 an der Zahl), erst einmal bei der Aktie weiter an der Seitenlinie zu bleiben. Vier plädieren für einen Kauf und drei für einen Verkauf.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Nach der Jahrtausendwende haben sich die Aktien zunächst lange in einem Band zwischen 21 und 52 Dollar bewegt. Ende 2013 dann ließen die Papiere die Finanzkrise hinter sich und begaben sich auf Rekordjagd. Diese endete erst Mitte 2015 bei Kursen über 97 Dollar, bevor die Aktien wieder nachgaben. Der jüngste Rückschlag erfolgte nach der Kappung des Gewinnziels Anfang April.

Walgreens Boots Alliance ist an der Technologiebörse Nasdaq notiert und unter anderem in dem breit angelegten Aktienindex S&P 500 sowie in den Börsenbarometern S&P 100 und Nasdaq 100 enthalten. Im Juni 2018 verdrängte das Unternehmen mit dem Mischkonzern General Electric ein langjähriges Indexmitglied aus dem US-Leitindex Dow Jones Industrial. Walgreens kommt auf einen Börsenwert von rund 47 Milliarden Dollar./mne/la/jha/