Von Costas Paris und Benoit Faucon

NEW YORK (Dow Jones)--Die russische Invasion der Ukraine führt zu erheblichen Störungen in der weltweiten Schifffahrtsindustrie. Hunderte von Schiffen sitzen in den Häfen fest, Ladungen müssen umgeleitet werden, und die Frachtraten schnellen nach oben.

Das Frachtschiff Mustafa Necati etwa war vergangene Woche bereit, von einem Hafen in der Nähe von Odessa aus mit Sonnenblumenöl nach Sardinien auszulaufen. Nach dem Einmarsch Russlands "forderten die ukrainischen Hafenbehörden die Besatzung auf, die Fahrt zu stoppen", klagt Bülent Dandin von der Istanbuler Reederei des Schiffes Statu Gemi Kiralama. "Jetzt ist es blockiert."

Am stärksten sind die Auswirkungen im Schwarzen Meer zu spüren, wo einige Handelsschiffe beschossen oder festgehalten werden. Aber auch weit entfernt von der Konfliktzone sind sie zu spüren, sagen Branchenmanager und Schiffsmakler. Die Unterbrechungen belasten die globale Lieferkette, die bereits seit zwei Jahren durch die Corona-Pandemie durcheinander gerüttelt ist.


   Große Container-Reedereien fahren russische Häfen erstmal nicht mehr an 

Die größten Containerschiffsbetreiber der Welt - A.P. Moeller-Maersk A/S und Mediterranean Shipping Co. (MSC) - erklärten, sie werden Fahrten in russische Häfen vorübergehend aussetzen, auch für solche, die weit vom Konflikt in der Ukraine entfernt liegen. Maersk teilte mit, es stoppe Buchungen angesichts der gegen Russland verhängten Sanktionen. Diese führen zu Staus, weil Zollbehörden die für das Land bestimmte Fracht kontrollieren, und zu veränderten Kreditbedingungen, die sich auf die Kunden auswirken. Maersk und MSC wollen weiterhin Lebensmittel von und nach Russland transportieren. Die Hamburger Hapag-Lloyd und Ocean Network Express (One) mit Sitz in Singapur teilten mit, sie würden den Frachtverkehr und Buchungen für Russland und die Ukraine im Schwarzen Meer aussetzen. One kündigte zudem an, auch den Dienst nach St. Petersburg einzustellen. Die zweitgrößte russische Stadt liegt in der Nähe von Finnland an der Ostsee.


   "Niemand hat das kommen sehen." 

Am Montag erteilten die Briten allen russischen Schiffen ein Einfahrtsverbot in ihre Häfen. Reederei-Manager und Hafenbehörden in Belgien, den Niederlanden und Deutschland erklärten, dass für Russland bestimmte Containerfracht gestoppt und inspiziert würde. "Alle diese Drehkreuze in Nordeuropa sind bereits ziemlich überlastet, und jede Kleinigkeit, die die Frachtströme verzögert, verschärft das Problem", schildert Manager Vincent Clerc von der dänischen Maersk die Lage. Sein Unternehmen lässt keine Schiffe in Odessa, dem größten Hafen der Ukraine, mehr abfertigen, da dieser seinen Betrieb eingestellt hat.

Der Schiffsverkehr im Schwarzen Meer, einer wichtigen Öl- und Lebensmittelexportroute, deren Nordseite sich Russland und Ukraine teilen, ist auf Eis gelegt. Nach Angaben von Lloyd's List Intelligence, das die Schiffsbewegungen überwacht, warten mehr als 200 Schiffe auf die Durchfahrt durch die Straße von Kertsch, die das Schwarze Meer mit dem Asowschen Meer verbindet.

"Niemand hat das kommen sehen", räumt Slava Sorotschan von Stark Shipping, einer Schifffahrtsagentur im Hafen von Odessa, ein. "Deshalb sitzen so viele Schiffe in den Häfen fest."

Ende der Vorwoche geriet die Millennial Spirit, ein unter moldauischer Flagge fahrender Tanker, nach einem Raketeneinschlag im Schwarzen Meer in Brand, wie die Marineagentur der Republik Moldau mitteilte. Moldau erklärte, es wisse nicht, wer die Rakete abgefeuert habe. Die Millennial Spirit hatte 600 Tonnen Öl und Diesel an Bord. Einen Tag zuvor war ein von Cargill gechartertes Schiff im Schwarzen Meer von einem Projektil getroffen worden.


   Rapider Anstieg bei Frachtraten und Versicherungsprämien 

Da sich kaum noch jemand in das Gebiet traut, sind die täglichen Frachtraten für Tankschiffe auf den höchsten Stand seit zwei Jahren gestiegen, berichten Reedereien und Versicherer. Derweil sind die Versicherungsprämien im Vergleich zur vergangenen Woche, also vor dem russischen Angriff, um bis zu 4 Prozent in die Höhe gesprungen.

Obwohl die Sanktionen bisher nicht auf russische Öl- und Gasexporte abzielen, haben die USA vergangene Woche US-Unternehmen bei 13 russischen Unternehmen Transaktionen mit deren langfristigen Schulden oder den Kauf von deren neuen Aktien untersagt. Darunter fällt auch die staatlich kontrollierte Sovcomflot, die eine Flotte von 108 Rohöltankern und 14 Erdgasfrachtern betreibt. "Tankereigner sind mit einer sehr unsicheren Situation konfrontiert und zögern, Schiffe an Käufer von russischem Rohöl zu verchartern", berichtet Chefanalyst Peter Sand von Xeneta, einer Marktanalyseplattform für den Transportsektor. "Nur sehr wenige Schiffe nehmen russisches Rohöl auf, was die Frachtraten erheblich in die Höhe getrieben hat."

Die Tagesraten für kleinere Aframax-Tanker, die für den regionalen Ölhandel im Schwarzen Meer, in der Ostsee und im Mittelmeer von zentraler Bedeutung sind, zogen zuletzt auf durchschnittlich 68.000 US-Dollar gegenüber 11.000 Dollar vor zwei Wochen massiv an. Und die Tagesraten mittelgroßer Suezmax-Tanker kletterten derweil auf 41.000 Dollar von rund 4.000 Dollar. Die Raten sind die höchsten, seit die Organisation der erdölexportierenden Länder Plus (Opec+), zu der auch Russland gehört, die Ölproduktion im Juni 2020 gedrosselt hat.

Auch die Verschiffung von Lebensmitteln ist gestört. Nur wenige Stunden nach der Ankündigung der britischen Maßnahmen gegen Russland erhielt der Londoner Anwalt Nigel Kushner nach eigenen Angaben einen panischen Anruf eines britischen Händlers. Eine große Ladung russischer Lebensmittel sei nun gestrandet, da der Käufer nicht an eine sanktionierte russische Bank zahlen könne. Der Londoner Händler "versucht jetzt, eine alternative Zahlungsroute zu einer anderen russischen Bank zu finden".


   Europäer nehmen russische Frachter unter die Lupe 

Die Zahl der Schüttgutfrachter im normalerweise überfüllten Schwarzen Meer ist im Vergleich zur Vorwoche um 62 Prozent eingebrochen, da die Sorge um die Sicherheit gestiegen ist, so Mark Nugent vom Londoner Makler Braemar ACM Shipbroking. Und 22 dieser Schiffe liefen leer aus, nachdem sie nicht in der Lage waren, Fracht zu laden, sagte er.

Die Schiffe werden von den Regierungen umdirigiert. Frankreich beschlagnahmte am Wochenende im Ärmelkanal die Baltic Leader, ein nach Russland fahrendes Frachtschiff, und die Behörden prüften, ob es einem auf der EU-Sanktionsliste stehenden Russen gehört. Zwei unter ukrainischer Flagge fahrende Massengutfrachter, die Afina und die Princess Nicole, die in rumänischen Gewässern unterwegs waren, wurden nach Angaben der ukrainischen Regierung am Sonntag von der russischen Marine gekapert und auf die Krim gebracht.

Die Reedereien müssen möglicherweise mit weiteren Behinderungen rechnen. So erwägt die EU nach Angaben von mit der Angelegenheit vertrauten Personen, russischen Schiffen das Anlaufen ihrer Häfen zu untersagen. Großbritannien hat Anfang dieser Woche einen solchen Schritt unternommen. "Russlands Angriff auf die Ukraine ist ein unprovozierter, vorsätzlicher Angriff auf einen souveränen demokratischen Staat", schreibt der britische Verkehrsminister Grant Shapps in einem Brief an die Häfen Großbritanniens. "Unter diesen Umständen hält es das Verkehrsministerium nicht für angemessen, dass russische Schiffe weiterhin britische Häfen anlaufen können."

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March 02, 2022 05:40 ET (10:40 GMT)