TOULOUSE (dpa-AFX) - Der Höhenflug von Airbus scheint derzeit kaum Grenzen zu kennen. Während US-Konkurrent Boeing in der wohl tiefsten Krise seiner Geschichte steckt, könnte der europäische Konzern in diesem Jahr zum größten Flugzeugbauer der Welt aufsteigen. Der Erfolg des Mittelstreckenjets A320neo steht im krassen Gegensatz zu dem Desaster, dass sich Boeing mit seinem Konkurrenzmodell 737 Max eingebrockt hat. Und die Airbus-Aktie düst von einem Rekordhoch zum nächsten.

DAS IST LOS BEIM UNTERNEHMEN:

Damit konnte niemand rechnen: Ausgerechnet im Jahr seines 50-jährigen Bestehens steht der Flugzeugbauer Airbus vor dem Sprung an die Weltspitze. Mit Jubel hält sich die neue Konzernführung um den seit April amtierenden Vorstandschef Guillaume Faury jedoch zurück. Denn die Abstürze zweier Boeing-Jets mit 346 Toten, die im März ein weltweites Startverbot für alle Maschinen des Typs nach sich zogen, machen die Rekordjagd für Airbus fast zum Selbstläufer. Und die tragischen Unglücke taugen nicht als Anlass für Siegerposen.

Seit dem Startschuss für den Bau des ersten Airbus-Passagierjets A300 im Jahr 1969 hat die europäische Luftfahrtindustrie einen globalen Champion geschaffen. Anfangs in den USA verlacht, ist Airbus heute Boeings einziger Rivale auf dem Weltmarkt für Passagierflugzeuge mit mehr als 150 Sitzen. Bei den Langstreckenjets haben die Amerikaner zwar immer noch die Nase vorn. Doch im Massengeschäft hat Airbus sie bereits auf den zweiten Platz verdrängt.

Mit ihrem modernisierten Mittelstreckenjet A320neo mit sparsameren Triebwerken setzten die Europäer den US-Konzern unter Zugzwang. Doch die 2011 beschlossene Modernisierung des inzwischen 50 Jahre alten Mittelstreckenjets Boeing 737 als 737 Max geriet zur Katastrophe. Seit dem zweiten Absturz müssen die Max-Maschinen weltweit am Boden bleiben. Boeing hat die Produktion gedrosselt und schließt einen vorläufigen Stopp nicht aus.

Dennoch kann Airbus davon bisher nicht richtig profitieren. Angesichts prall gefüllter Auftragsbücher ist die Produktion der A320neo bis ins Jahr 2024 hinein ausgebucht. Die Zulieferer sind damit beschäftigt, den geplanten Ausbau der Produktionsrate auf 63 Jets pro Monate zu ermöglichen. Ein weiterer Ausbau ist im Gespräch. Die Ausfälle bei Boeing könnte Airbus aber nicht abdecken.

Insgesamt will Airbus in diesem Jahr 880 bis 890 Passagier- und Frachtmaschinen ausliefern - mindestens 80 mehr als im vergangenen Jahr. Die Amerikaner hatten sich ursprünglich rund 900 Auslieferungen vorgenommen. Doch seine Jahresziele hat Boeing-Chef Muilenburg längst kassiert.

Dabei hatte Airbus im Februar noch traurige Nachrichten für Luftfahrtfans verkündet. So lässt der Hersteller die Produktion des weltgrößten Passagierjets A380 im Jahr 2021 auslaufen - nur 14 Jahre nach seinem ersten Linienflug. Auch Boeings Riesenflieger, der Jumbo-Jet 747-8 ist kaum noch gefragt. Fluggesellschaften setzen für die Langstrecke inzwischen vor allem auf nicht ganz so riesige Großraumjets wie Boeings 777 und 787 "Dreamliner" sowie die Airbus-Modelle A350 und A330neo.

Finanziell hat Airbus die A380-Wehen bereits verdaut. Und im zweiten Quartal konnte der Konzern mit seinen Geschäftszahlen positiv überraschen. Umsatz und Gewinn sprudelten stärker als gedacht.

Allerdings hängen auch dunkle Wolken in der Luft. So sind die seit 2016 laufenden Korruptionsermittlungen gegen den Konzern noch immer nicht abgeschlossen. Airbus könnten dabei in Europa und den Vereinigten Staaten Strafen in Milliardenhöhe drohen.

Und im Dauerstreit zwischen den USA und der EU über Subventionen für Boeing und Airbus denken die Amerikaner über Strafzölle auf Flugzeuge und Hubschrauber nach. Die Airbus-Führung fürchtet für diesen Fall "erhebliche Auswirkungen" auf Lieferungen in die USA - und negativen Folgen auf die Finanz- und Ertragslage ihres Unternehmens.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Die Luftfahrt-Experten unter den Finanzanalysten sind größtenteils Fans von Airbus. Von den 16 im dpa-AFX Analyser erfassten Branchenexperten empfehlen 11 die Aktie zum Kauf, die übrigen raten zum Halten der Papiere. Obwohl der Aktienkurs in diesem Jahr bereits von Rekordhoch zu Rekordhoch eilte, sehen Analysten weiterhin Luft nach oben.

Im Schnitt schreiben sie der Aktie ein Kursziel von fast 136 Euro zu. Am optimistischsten sind die Experten von den Investmentbanken Goldman Sachs und JPMorgan, die mit 161 Euro rechnen. Sandy Morris von Jefferies gehört mit 110 Euro zu den pessimistischsten Beobachtern - und rechnet sogar mit einem Kursverfall.

UBS-Analystin Celine Fornaro erwartet, dass Airbus trotz der ausgebuchten Produktion für die A320neo von Boeings Krise bei der 737 Max profitieren kann. Derzeit liege Airbus' Marktanteil in diesem Segment bei 57 Prozent, doch er dürfte wohl auf über 60 Prozent wachsen. Sollte es Airbus gelingen, die "neo"-Produktion auf 70 Maschinen pro Monat zu steigern, dürfte das den operativen Gewinn um 600 Millionen Euro nach oben treiben, schätzt sie.

Die jüngsten Probleme beim Bau des Airbus A321neo mit der neuen Innenausstattung "Cabin Flex" betrachtet JPMorgan-Experte David Perry eher als vorübergehendes Problem. Allerdings könne es dazu führen, dass Airbus sein Auslieferungsziel 2019 verfehle.

Gefahren wittern Analysten weiterhin durch die möglicherweise milliardenschweren Strafen infolge der Korruptionsermittlungen - und die drohenden Strafzölle in den USA. Immerhin gingen zwölf Prozent der Airbus-Maschinen an US-amerikanische Fluggesellschaften, warnt JPMorgan-Experte Perry. Und sein Kollege Stefan Maichl von der LBBW blickt auf den drohenden ungeregelten Brexit: Dieser könnte die Lieferketten zwischen den Airbus-Werken in Großbritannien und auf dem Kontinent unterbrechen.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Für die Airbus-Aktionäre waren die vergangenen Jahre eine Erfolgsgeschichte - trotz aller Schwierigkeiten. In den vergangenen drei Jahren hat sich der Kurs der Aktie an der Pariser Börse mehr als verdoppelt. Nach dem Aus für die A380 und glänzenden Geschäftszahlen ging es für die Aktie bis zum Sommer immer weiter aufwärts - bis auf ein Rekordhoch von 133,86 Euro Mitte Juli. Zuletzt ging der Kurs aber wieder auf rund 122 Euro zurück. Doch seit dem Jahreswechsel hat das Papier damit immer noch um fast die Hälfte zugelegt.

Trotz des Höhenflugs ist Airbus an der Börse aber immer noch viel weniger wert als Boeing. Zwar ist der Aktienkurs des US-Konzerns seit dem zweiten Absturz und dem Flugverbot um mehr als ein Fünftel eingebrochen. Insgesamt kommt der US-Konzern aber immer noch auf eine Marktkapitalisierung von umgerechnet etwas mehr als 160 Milliarden Euro. Airbus hat bisher lediglich vorübergehend die Marke von 100 Milliarden Euro geknackt - und bleibt mit zuletzt rund 95 Milliarden Euro Börsenwert eine deutlich kleinere Nummer./stw/knd/zb