Von Jon Sindreu

TOULOUSE (Dow Jones)--Nach Börsenschluss in Europa am Dienstag erklärte Airbus, dass das Unternehmen sein zuletzt genanntes Ziel, im Jahr 2022 rund 700 Verkehrsflugzeuge auszuliefern, für "unerreichbar" hält. Dennoch geht das Unternehmen davon aus, dass die endgültige Zahl nicht "wesentlich" darunter liegen wird. Aufgrund von Liefer-Verzögerungen bei einer Reihe von Bauteilen konnten mehr Flugzeuge als erwartet nicht fertiggestellt werden. Das ganze Jahr über hatten Engpässe bei Rohstoffen und Arbeitskräften die Zulieferer der Luft- und Raumfahrtindustrie, insbesondere die Triebwerkshersteller, belastet. Zuletzt waren weitere Werksschließungen in China sowie schlechtes Wetter, das die Flugtests in Europa verzögerte, hinzugekommen. Die Aktien von Airbus fielen am Mittwoch um fast drei Prozent. Die Aktien des US-Rivalen Boeing hatten am Vortag mit einem Minus von 3,6 Prozent geschlossen.

Viele Sell-Side-Analysten waren bereits der Meinung, dass Airbus-Chef Guillaume Faury seine Erwartungen hinsichtlich der Auslieferungen hätte zurückschrauben sollen, als er Ende Oktober die Ergebnisse für das dritte Quartal vorstellte. Ihre Skepsis nahm in den letzten Wochen zu. Dennoch lag die von Visible Alpha ermittelte mittlere Auslieferungsprognose vor der Ankündigung bei 698. Das deutete darauf hin, dass einige Makler auf einen großen Schub zum Jahresende gehofft hatten. Es gibt Präzedenzfälle: Im Jahr 2019 schaffte Airbus ein spätes Comeback und lieferte im Dezember eine Rekordzahl von 138 Flugzeugen aus. Diesmal müssten es "nur" 135 sein, um im Plan zu bleiben.


   Lieferkettenprobleme könnten anhalten 

Fehlschläge sind in der Luft- und Raumfahrtindustrie selten. Die Märkte werten dies vor allem als Zeichen dafür, dass die Probleme in der Lieferkette der gesamten Branche anhalten werden. Auch deshalb wurde die Boeing-Aktie in Mitleidenschaft gezogen. Airbus hatte bereits im Juli sein ursprüngliches Jahresziel von 720 Flugzeugen ein Stück weit zurückgenommen.

Am Dienstag korrigierte das Unternehmen auch seine Erwartungen zur allmählichen Steigerung der Produktion seines meistverkauften Schmalrumpfjets A320. Zwar blieb Airbus dabei, dass bis Mitte des Jahrzehnts 75 Flugzeuge pro Monat hergestellt werden, doch werde die Rate von 65 Flugzeugen später im Jahr 2024 erreicht als bisher geplant. Dies liegt zum Teil daran, dass die Verzögerung im Jahr 2022 den Zeitplan nach hinten verschiebt. Es könnte aber auch darauf hindeuten, dass es bis zur Normalisierung der Lieferketten länger dauern könnte, als bis Ende 2023. Es war Faury selbst, der dieses Datum genannt hatte.

Die Nachrichten waren nicht nur schlecht. Airbus hat seine Finanzprognose nicht geändert, was darauf hindeutet, dass seine Wirtschaftsprüfer bei ihrer Planung angemessen konservativ vorgingen. Außerdem sind die Lieferprobleme bei Airbus weitaus geringer als bei Boeing, das stärker von den geopolitischen Spannungen mit China betroffen ist und noch einen massiven Rückstand abbauen muss, der sich über Jahre hinweg durch technische Probleme aufgebaut hat. Dennoch ist die Situation letztendlich für beide Unternehmen gleichermaßen paradox: Die Aufträge steigen, da der postpandemische Reisemarkt trotz Inflation und Rezessionsängsten boomt, während die Hersteller nun Schwierigkeiten haben, ihre Produkte an Fluggesellschaften und Vermieter zu liefern.

Die meisten Ökonomen erwarten Anfang nächsten Jahres eine Rezession in den USA und in Europa. Ähnliche Szenarien hatten sich in der Vergangenheit nicht nur auf die Aufträge, sondern auch auf die Auslieferungen ausgewirkt. Zwar scheint es dieses Mal weniger wahrscheinlich, dass viele Stornierungen erfolgen. Dennoch besteht immer das Risiko, dass der Abschwung tiefere Wunden schlägt als befürchtet. Entscheidend ist nämlich, dass Geld in der Regel erst dann fließt, wenn die Flugzeuge ausgeliefert sind. Theoretisch profitieren Airbus und Boeing von hohen Auftragsbeständen, die sich über Jahre hinweg angesammelt haben. In der Praxis aber schwindet dieses Polster, wenn das richtige Zeitfenster zur Auslieferung von Flugzeugen verpasst wird. Die Folgen könnten dann noch lange zu spüren sein.

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December 08, 2022 02:14 ET (07:14 GMT)