MÜNCHEN (dpa-AFX) - Der Versicherungskonzern Allianz ist bisher ohne schwere Blessuren durch die Corona-Krise gekommen. Wenn die Analysten recht behalten, dürften die pandemiebedingten Versicherungsschäden den Dax-Konzern auch im Gesamtjahr nicht zu sehr belasten. Einen allzu herben Gewinneinbruch oder gar rote Zahlen muss die Allianz wohl nicht fürchten. Was bei dem Versicherer los ist, was Analysten sagen und wie sich die Aktie entwickelt.

DAS IST LOS BEI DER ALLIANZ:

Die Corona-Krise hatte schon im Frühjahr auch die Gewinnpläne der Allianz durchkreuzt. Konzernchef Oliver Bäte verabschiedete sich Ende April von seiner ursprünglichen Prognose, in diesem Jahr einen operativen Gewinn von 11,5 bis 12,5 Milliarden Euro zu erzielen. Der Vorstand wagte die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie nicht abzuschätzen. Versicherungsschäden durch den wochenlangen Betriebsstopp in vielen Unternehmen und den Ausfall von Großveranstaltungen drohten den Konzern ebenso zu belasten wie die Verwerfungen an den Finanzmärkten.

Im ersten Halbjahr machte die Corona-Krise der Allianz aber nicht so schwer zu schaffen wie gedacht. So erzielte der Konzern in den ersten sechs Monaten einen operativen Gewinn von 4,9 Milliarden Euro, rund ein Fünftel weniger als ein Jahr zuvor.

Die Schließung von Betrieben, der Ausfall von Veranstaltungen und der Rückgang der Kapitalerträge kamen den Münchner Konzern zwar auch im zweiten Quartal teuer zu stehen. Mit rund einer halben Milliarde Euro fielen die Belastungen aber geringer aus als im ersten Jahresviertel. Damit standen nach dem ersten Halbjahr insgesamt 1,2 Milliarden Euro zu Buche.

Im zweiten Jahresviertel zog sich der Gewinnrückgang durch alle Konzernbereiche. Der Überschuss sackte sogar um 29 Prozent auf gut 1,5 Milliarden Euro ab, auch weil Allianz infolge der Krise weniger Zinsen und Dividenden einnahm.

Spannend bleibt die Frage, inwieweit der Versicherer für die behördlich angeordnete Schließung von Gaststätten und Restaurants geradestehen muss. Das Münchner Landgericht ließ im September durchblicken, dass die Betriebsschließungsversicherung der Allianz möglicherweise für die behördlich angeordnete Schließung von Gaststätten im Frühjahr zahlen muss, auch wenn der Covid-19-Erreger in den entsprechenden Policen nicht explizit genannt ist.

Kläger war in diesem Fall die Münchner Gaststätte Nockherberg. Allerdings einigten sich die Streitparteien im Oktober außergerichtlich. In dem Rechtsstreit ging es um eine Forderung von rund 1,13 Millionen Euro. Wie genau die Parteien sich einigten, sei dem Gericht nicht bekannt, hieß es. Bundesweit sind an den Gerichten derzeit Klagen von Gastronomen gegen mehrere Versicherer anhängig, die die Kosten der coronabedingten Zwangsschließungen im Frühjahr nicht bezahlen wollen. Auch für Allianz geht es dabei um hohe Summen - und eine Grundsatzfrage.

Zu einer neuen Gewinnprognose für 2020 hat sich der Vorstand bislang nicht durchgerungen. Finanzchef Giulio Terzariol sah im Sommer jedoch Grund zur Hoffnung. "Angenommen, die Situation bleibt wie heute, würde ich erwarten, dass das zweite Halbjahr besser wird als das erste", sagte er Anfang August. Dies deutet auf einen operativen Jahresgewinn von 10 Milliarden Euro oder mehr hin.

Allerdings wusste der Vorstand im Sommer noch nicht, wie die Rechtsstreitigkeiten mit Kunden wie dem Nockherberg-Wirt ausgehen. Zudem war der Lockdown vom Frühjahr zu diesem Zeitpunkt bereits Geschichte, und inzwischen haben Deutschland und andere Staaten in Europa das öffentliche Leben wieder stark eingeschränkt. So bleiben Restaurants und Freizeiteinrichtungen wie Fitnessstudios hierzulande vorerst bis Ende November geschlossen. Daher könnten Allianz-Kunden bei dem Versicherer noch weitere Schäden geltend machen. Ausgang offen.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Die zwölf im dpa-AFX Analyser erfassten Branchenexperten, die ihre Einschätzung seit Anfang August erneuert haben, sind der Allianz-Aktie überwiegend zugetan. Sieben Analysten raten zum Kauf des Papiers, vier zum Halten und nur einer zum Verkauf. Im Schnitt schreiben sie der Aktie ein Kursziel von rund 207 Euro zu.

Am optimistischsten zeigte sich zuletzt Analyst Michael Huttner von der Privatbank Berenberg, der weiterhin ein Kursziel von 232 Euro auf dem Zettel hat. Der Aktienkurs habe sich von der guten Situation des Versicherers entkoppelt, schrieb er diese Woche. Das dritte Quartal dürfte unter Beweis stellen, dass das Schlimmste vorüber und die Aussichten gut seien.

Sein Kollege Kamran Hossain vom Analysehaus RBC sieht das anders. Zwar traut er der Aktie mit einem Kursziel von 175 Euro ebenfalls noch etwas Potenzial zu. Die schwache Geschäftsentwicklung der europäischen Versicherer dürfte sich im dritten Quartal fortgesetzt haben, schrieb er Mitte Oktober. Damit sei das Jahr für die Assekuranzen zu einem echten Stresstest unter Realbedingungen geworden. Immerhin habe sich die Preisentwicklung bei den Sachversicherern inzwischen verbessert.

Von der Nachrichtenagentur Bloomberg bis Dienstag befragte Branchenexperten erwarten, dass die Allianz in diesem Jahr einen operativen Gewinn von 10,1 Milliarden Euro erreicht. Damit läge das Ergebnis etwa 16 Prozent unter den 12 Milliarden Euro, die Unternehmenschef Bäte bei seiner Prognose vom Februar ursprünglich als Mittelwert angepeilt hatte.

SO ENTWICKELT SICH DIE AKTIE (Stand vom 5. November, 13.45 Uhr):

Die Corona-Krise hat auch die Allianz-Aktie in Mitleidenschaft gezogen. Seit die Pandemie Mitte Februar die Finanzmärkte voll erfasste, rauschte der Kurs des Papiers bis Mitte März von 232,60 Euro bis auf 117,10 Euro nach unten. Das entspricht einem Minus von fast 50 Prozent binnen vier Wochen. Zwar erholte sich der Kurs mit einigem Auf und Ab ein Stück und erreichte im Juni mit fast 195 Euro ein Zwischenhoch. Doch dann stockte die Entwicklung, seit September ging es nun wieder abwärts.

Zuletzt wurde die Allianz-Aktie zu rund 166 Euro gehandelt. Damit war sie etwa 24 Prozent billiger als zum Jahreswechsel und kostete rund 29 Prozent weniger als vor dem Corona-Crash im Februar.

Insgesamt kommt die Allianz an der Börse damit auf eine Marktkapitalisierung von rund 69 Milliarden Euro. Damit wird sie aber noch fast doppelt so hoch bewertet wie der französische Rivale Axa, der auf etwa 38 Milliarden Euro kommt. Der italienische Versicherer Generali liegt mit rund 19 Milliarden Euro noch weiter abgeschlagen dahinter./stw/men/mis