- von Alexander Hübner und Klaus Lauer

München (Reuters) - Der Druck auf die Lebensversicherungs-Branche wächst angesichts der Dauer-Niedrigzinsen an den Kapitalmärkten.

Der unangefochtene deutsche Marktführer Allianz Leben senkt die Verzinsung auf seine rund zehn Millionen Policen 2021 das zweite Jahr in Folge. Die Überschussbeteiligung für klassische Garantie-Policen schrumpft auf 2,3 von 2,5 Prozent. Vorstandschef Andreas Wimmer verteidigte am Mittwoch den Schritt: "Mit der Entscheidung setzen wir uns weiterhin deutlich von anderen vergleichbar sicheren Anlagen ab, bei denen Kunden seit Jahren mit Null- und Negativzinsen leben müssen." Unterdessen schlagen die führenden Mathematiker der Branche für 2022 eine drastische Senkung des Garantiezinses auf Leben-Policen vor: auf 0,25 Prozent von bisher 0,9 Prozent. Während die Überschussbeteiligung für jedes Jahr neu festgelegt wird, gilt der Garantiezins über die gesamte Laufzeit des Vertrages.

Die Versicherer könnten eine Verzinsung in der bisherigen Höhe mit sicheren Papieren nicht mehr garantieren, begründete der Vorstandschef der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV), Guido Bader, die Empfehlung für den Höchstrechnungszins. Die Zinsen am Kapitalmarkt seien in der Corona-Krise nochmals um 0,2 bis 0,5 Prozentpunkte gesunken. "Zudem hat die Europäische Zentralbank (EZB) kürzlich angekündigt, dass sie Spielraum für weitere Zinssenkungen sieht." Selbst zehnjährige Bundesanleihen weisen inzwischen eine negative Rendite auf. Um die Verzinsung über Jahrzehnte sicherstellen zu können, sind die Lebensversicherer aber auf solche Papiere angewiesen.

Festgelegt wird der Höchstrechnungszins, also der maximale Garantiezins, vom Bundesfinanzministerium, das den Empfehlungen der DAV in der Regel folgt. Die Aktuare hatten schon vor einem Jahr eine Senkung des Garantiezinses auf maximal 0,5 Prozent gefordert, zu einer Neuregelung war es aber in den Turbulenzen rund um die Corona-Pandemie nicht gekommen. Die DAV forderte die Politik auf, im ersten Quartal 2021 zu entscheiden, damit die Unternehmen ihre Tarife rechtzeitig anpassen könnten. Nach Branchenschätzungen bietet nur noch ein Drittel der gut 80 Lebensversicherer in Deutschland Policen mit Garantiezins an.

RISKANTER, ABER LUKRATIVER

Um sich aus dem Dilemma zu befreien und den Kunden trotzdem höhere Renditen zu bieten, haben viele Lebensversicherer neue Produkte ganz ohne oder mit befristeten Zinsgarantien auf den Markt gebracht. Dort können sie die Beiträge verstärkt in Aktien oder Infrastruktur-Anlagen anlegen, die etwas riskanter, aber lukrativer sind. Die Allianz will im Neugeschäft ab 2021 nicht einmal mehr den vollen Erhalt der eingezahlten Beiträge zum Ende der Laufzeit garantieren. Andere Versicherer dürften folgen. "Der Garantiezins spielt für die Lebensversicherung eine immer geringere Rolle. Auch eine 100-Prozent-Garantie für den Erhalt der Beiträge ist zu restriktiv für diese Zeit", sagte Allianz-Leben-Produktvorstand Volker Priebe der Nachrichtenagentur Reuters.

Das sei auch im Sinne der Aktuare, machte DAV-Chef Bader deutlich. Die Abkehr von der 100-Prozent-Garantie würde auch eine Reform der Riester-Rente nach sich ziehen. Dort ist der Beitragserhalt - ebenso wie bei vielen Betriebsrenten - bisher noch obligatorisch. "Der Gesetzgeber sollte nun schnell eine Riester-Reform auf den Weg bringen", drängt Jörg Asmussen, der neue Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes GDV. Die bisher verlangte Beitragsgarantie müsse gelockert werden.

Priebe glaubt nicht, dass eine Senkung der Garantien der Lebensversicherung schade, "im Gegenteil". Ein Drittel des Neugeschäfts der Allianz machten inzwischen kapitalmarktnahe Policen aus, bei denen das Geld nur zum Teil in sichere Anlagen investiert wird. Das sieht auch Asmussen so: "Ich glaube, dass das Produkt Lebensversicherung modernisiert eine Zukunft hat - weil sie auch eine lebenslange Rente garantiert. Aber wir müssen in einer Welt ohne positive Nominalzinsen die Balance zwischen Renditechancen und Sicherheit auch neu justieren", sagte er. "Es geht aber nicht um eine komplette Abschaffung von Sicherheit."

AUCH AXA LEBEN ZAHLT WENIGER

Bei Allianz Leben ist die Gesamtverzinsung auf klassische Lebens- und Rentenversicherungen binnen zwei Jahren um einen halben Prozentpunkt gesunken. 2021 liegt sie - einschließlich Schlussüberschuss und Beteiligung an den Bewertungsreserven - für traditionelle Policen mit 2,9 Prozent unter der Marke von drei Prozent. Die neuere Produktlinie "Perspektive", die das Neugeschäft dominiert, liegt bei 3,2 (2020: 3,4, 2019: 3,7) Prozent. Unter den großen Lebensversicherern hatte zuvor schon die AXA eine geringere Gesamtverzinsung von 3,1 (3,4) Prozent für 2021 angekündigt - die erste Senkung in vier Jahren. Wer seinen Vertrag vor 2004 abgeschlossen hat, muss aber keine Abstriche machen: Damals lag der garantierte Zins noch bei drei Prozent und mehr.