Von Dan Gallagher

SAN FRANCISCO (Dow Jones)--Es ist noch nicht lange her, da schien das Silicon Valley die Autostadt Detroit fest im Visier zu haben. Google ließ selbstfahrende Testwagen durch die Gegend fahren, während Apple ein automatisiertes Auto von Grund auf neu entwickelte. Der Chip-Riese Intel tätigte Anfang 2017 mit Mobileye aus Israel für 15,3 Milliarden Dollar seine zweitgrößte Akquisition aller Zeiten. Und Wettbewerber Nvidia setzte auf leistungsstarke Chips, die als "Zentralgehirn" für autonome Fahrzeuge dienen sollten. Amazon.com beließ es nicht bei Träume für den Boden. Der E-Commerce-Gigant testete ab Ende 2016 in Großbritannien fliegende Lieferdrohnen.

Die meisten dieser Versuche sind noch nicht gestorben, aber der Glanz des Spektakulären hat erheblich nachgelassen. Apple scheint den größten Rückzug vollzogen zu haben: Berichten zufolge wurden 2019 mehr als 200 Beschäftigte aus seinem Projekt Titan für autonome Autos entlassen. Google ist immer noch dabei, bietet mit seinem Waymo-Projekt aber einen sehr limitierten Taxidienst in Phoenix im US-Bundesstaat Arizona an. Waymo ist bei der Muttergesellschaft Alphabet im Segment "Other Bets" (deutsch: andere Wetten) versteckt und scheint nicht viel Geschäft zu generieren. Laut jüngstem Quartalsbericht stammt das Gros der Einnahmen von "Other Bets" von seinem Breitbanddienst - einst Google Fiber - und von Lizenzen, die die Biotech-Sparte Verily Life Science vergibt.


  Mobileye von Intel läuft unterdurchschnittlich 

Auch Intel ist mit Mobileye nicht gerade in Schwung gekommen. Die Einnahmen aus dem Geschäft Fahrerassistenz-Technologie sieht in den letzten zwölf Monaten per Ende September nur um 6 Prozent und blieben damit hinter dem 11-prozentigen Umsatzwachstum von Intel in dieser Zeit zurück. Außerdem macht Mobileye noch immer kaum 1 Prozent des Gesamtgeschäfts von Intel aus.

Der Umsatz von Nvidia im Automobilsegment ist in den zurückliegenden drei Quartalen wegen der Folgen der Coronavirus-Pandemie auf den Autoabsatz insgesamt und wegen eines Rückgangs der "alten Infotainment-Systeme" gesunken. Das Automotive-Geschäft steht heute für weniger als 4 Prozent der Gesamteinnahmen - verglichen mit 7 Prozent vor vier Jahren.

Es zeigt sich, dass der Automarkt nicht so leicht umzukrempeln ist wie gedacht. Fahrzeugdesigns entwickeln sich Jahre langsam und über viele Jahre. Eng eingebunden sind Tausende Zulieferer. Die meisten Autohersteller sind deshalb verständlicherweise nur ungern bereit, den Schlüssel einfach an die Technikgiganten zu übergeben, die in vielen andere Branchen wie Telekommunikation, Medien und Werbung die etablierten Anbieter in den Ruin getrieben haben.


  Robotaxi Waymo zur Sicherheit mit Verfolgerauto unterwegs 

Die Entwicklung eines voll automatisierten Fahrzeugs ist ein technologischer Kraftakt. Selbst für Unternehmen mit tiefgreifenden Fachkenntnissen im IT-Bereich und Geldvermögen von über 100 Milliarden Dollar ist er schwer zu bewerkstelligen. Auf der Tech-News-Website The Information war Anfang des Jahres zu lesen, dass beim "Robotaxi" Waymo - dem mit Abstand am weitesten entwickelten autonomen Fahrzeugprojekt - immer ein Wagen mit menschlichem Ersatzfahrer dem eigentlichen Taxi folgt.

All dies bedeutet nicht, dass große Tech-Konzerne beim Thema Auto der Zukunft chancenlos wären. Immer mehr Fahrzeuge werden vernetzt, was Möglichkeiten für neue Software und Dienstleistungen bietet, ohne dass kostspielige und zeitraubende Neukonstruktionen dazu erforderlich wären. Und eine verbesserte Fahrerassistenz erfordert auch immer mehr Rechenleistung, womit sich Chancen für Chiphersteller ergeben, die dafür notwendigen Komponenten zu liefern. New Street Research geht davon aus, dass die Einnahmen aus der Automobil-Halbleiterindustrie im nächsten Jahr um 16 Prozent steigen und sich vom coronabedingten 10-prozentigen Einbruch in diesem Jahr erholen werden.

Darüber hinaus bleibt abzuwarten, welche Technikgiganten bei automatisierten Autos am Steuer sitzen werden. Amazon könnte die stärkste Motivation haben. Das Unternehmen betreibt ein riesiges, personalintensives Liefernetz, die Fullfillment-Kosten des weltgrößten Online-Händlers belaufen sich inzwischen auf mehr als 52 Milliarden Dollar pro Jahr. Die Übernahme des Robotaxi-Ventures Zoox zu Beginn dieses Jahres für 1,3 Milliarden Dollar erscheint vor diesem Hintergrund sehr sinnvoll. Aber der Preis lag auch bei etwa einem Drittel der Bewertung, die Zoox nur zwei Jahre zuvor in einer Finanzierungsrunde erzielt hatte. Das ist ein Zeichen dafür, dass selbst der ehrgeizige und langfristig orientierte Amazon-Konzern wusste, wann er sich aus einem hochgejazzten Markt heraushalten sollte.

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December 04, 2020 09:38 ET (14:38 GMT)