Zürich (awp) - Gerade während der Coronakrise sitzen die Leute zuhause vermehrt vor dem Fernseher. Doch bereits vor den Verboten der Behörden hat die Nutzung von Streamingdiensten in der Schweiz markant zugenommen.

Weil Netflix das Feld des bezahlten Videostreamings dominiert, setzen die Schweizer Telekomanbieter vermehrt auf die Integration des US-Streamingdienstes statt auf eigene Angebote. 85 Prozent der Schweizer Bevölkerung nutzt mindestens einen Streamingdienst regelmässig.

Das Serien- und Filmportal Netflix wächst dabei so schnell wie kein anderer Streamingdienst. Das amerikanische Unternehmen verzeichnete Anfang 2020 mehr als doppelt so viele Nutzer wie noch vor zwei Jahren, wie eine am Mittwoch veröffentlichte Umfrage des Internetvergleichsdienstes Moneyland zeigt. Vor zwei Jahren hatte noch jeder fünfte Befragte angegeben, Netflix zu nutzen. Nun waren es zum Entstehungszeitupnkt der Studie Anfang Jahr vor der Coronakrise schon rund 45 Prozent.

"Die Coronakrise dürfte den Streaming-Trend noch weiter verstärken. Die grossen Anbieter werden in dieser Zeit bestimmt weitere Nutzer dazugewinnen", sagte Ralf Beyeler, Telekomexperte von Moneyland, gegenüber der Nachrichtenagentur AWP. "Alles andere wäre eine Überraschung."

Aber auch die kleinen Anbieter würden wohl ihre Kundenanteile tendenziell halten können oder gar Kunden dazugewinnen. "Die Leute dürften nicht raus, und was macht man da am Abend? Man ist vor dem Fernseher oder vor dem Computer." Deshalb sei davon auszugehen, dass Streamingdienste von mehr Leuten und häufiger genutzt werde.

Youtube am häufigsten genutzt

Trotz des schnellen Wachstums von Netflix bleibt Youtube bei den Streamingdiensten der Spitzenreiter. 65 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer schauen sich auf der Plattform Videos an. In der Altersgruppe zwischen 19 und 25 Jahren sind es 83 Prozent, bei den 50- bis 74-Jährigen nutzen noch rund die Hälfte Youtube. Im Vergleich nahm die Nutzung von Youtube innerhalb der letzten beiden Jahre allerding nur um 4 Prozentpunkte zu. Die Plattform wächst also weit weniger stark als Netflix.

Bei Youtube sind die hohen Nutzerzahlen vorwiegend auf den Gratis-Dienst zurückzuführen. Nur rund 3 Prozent der Befragten leistet sich ein kostenpflichtiges Youtube-Abo. Um Netflix zu schauen, zahlen hingegen rund 30 Prozent der Umfrageteilnehmer eine Abogebühr. Weitere 10 Prozent gaben an, dass sie Netflix über das kostenpflichtige Abo von Freunden nutzen. Damit ist Netflix bei den Bezahldiensten klarer Anführer.

Chancenlose Konkurrenz von Netflix

Mit der Übermacht von Netflix können die Schweizer Streaminganbieter nicht mithalten. Der Streamingdienst von Swisscom schafft es gemäss der Umfrage bei den kostenpflichtigen Abos abgeschlagen auf den zweiten Platz. Knapp 11 Prozent der Befragten gaben an, für das Streaming der Swisscom zu bezahlen.

Für den Streamingdienst von UPC zahlen etwas mehr als 3 Prozent der Bevölkerung eine Gebühr, womit UPC hinter Apple auf dem vierten Platz landet. Um Videos bei Sunrise zu streamen, bezahlen knapp 2 Prozent der Befragten einen Betrag.

Laut Beyeler haben die Telekomanbieter erkannt, dass sie mit ihren eigenen Streamingdiensten kaum mit Netflix mithalten können. Vor allem deshalb, weil nur sehr wenige Nutzer für mehrere Streamingdienste gleichzeitig Geld ausgeben würden. "Als Netflix in der Schweiz gestartet ist, entstand eine gewisse Hektik. Anbieter wie UPC und die Swisscom lancierten ihre eigenen Streamingdienste wie Teleclub Play von Swisscom", sagte Beyeler der Nachrichtenagentur AWP.

Diese Angebote würden heute jedoch nicht mehr in den Fokus gestellt. Sie seien nicht nur teuer zu unterhalten, sondern würden auch die Kundenbedürfnisse nicht erfüllen, so Beyeler. Denn Netflix biete den Inhalt, den die Leute schauen wollten. "Deshalb findet ein Umdenken statt, die Anbieter integrieren vermehrt Streamingdienste wie Netflix in ihre TV-Angebote, anstatt auf die eigenen Streamingdienste zu setzen."

Telekomanbieter reagieren

Das zeigt sich mit einem Blick auf die Angebote von Schweizer Telekomanbietern. Die Swisscom beispielsweise hat beim Ausbau ihres TV-Angebots auf den Erfolg von Streaminganbietern reagiert und sie im neuen Betriebssystem eingebunden. Netflix, Sky oder die Sport-Streamingplattform Dazn tauchen neu bei den Bildschirmkacheln von Swisscom-TV auf.

Auch die Kabelnetzbetreiber Quickline und UPC haben die Angebote von Netflix und Youtube in die klassische TV-Oberfläche miteingebaut. Bei Salt kann ein Sky-Paket beim Fernsehen dazu gebucht werden.

Andere Anbieter lassen sich von der Übermacht von Netflix und Co. nicht beirren. So plant das Medienunternehmen CH Media, eine eigene Streamingplattform anzubieten. Dabei sollen die Angebote der Sender von CH Media, darunter beispielsweise 3+, sowie weitere TV-Inhalte auf einer Plattform zur Verfügung gestellt werden. CH Media sei dafür unter anderem auch mit der SRG im Gespräch.

tv/jb