Von Ben Dummett

LONDON (Dow Jones)--Die 63-Milliarden-Dollar-Wette von Bayer auf Monsanto könnte für den Pharma- und Agrarkonzern aus Leverkusen nun doch noch aufgehen. Vier Jahre nach dem Abschluss der Übernahme gibt es dafür endlich Anzeichen. Die von Russlands Invasionskrieg in der Ukraine ausgelöste Nahrungsmittelknappheit treibt die Nachfrage nach Saatgut und Pflanzenschutzmitteln nämlich an.

Die Bayer-Aktie gehört zu jenen Wertpapieren unter den großen europäischen Konzernen, die sich in diesem Jahr am besten entwickelt haben. Mit einem Plus von 41 Prozent rangiert sie vor jener des Konkurrenten BASF, der seinen Sitz ebenfalls in Deutschland hat, und auch vor der in New York notierten Corteva Inc, die aus den fusionierten Agrargeschäften von Dow und Dupont hervorgegangen ist.

Bayer hatte Monsanto Anfang Juni 2018 übernommen - in der Erwartung, dass die Kombination seines eigenen Pestizidgeschäfts mit dem Saatgut und den Hightech-Pflanzen des US-Konkurrenten den Umsatz ankurbeln würde. Die wachsende Weltbevölkerung macht es erforderlich, dass Landwirte mit einer schrumpfenden Menge an verfügbarem Ackerland produktiver werden und den Ertrag steigern. Stattdessen wurde Bayer von einer beispiellosen Klagewelle in den USA getroffen, in denen zigtausende Nutzer von Monsantos Herbizid Roundup behaupteten, ihr Lymphdrüsen-Krebs sei vom Wirkstoff Glyphosat verursacht worden.

Innerhalb von etwa einem Jahr verlor Bayer etwa 40 Prozent seines Marktwerts: Die Monsanto-Übernahme gehörte damit zu den schlechtesten Großfusionen seit Jahren.


 Erste Anleger sehen Vorteile in Monsanto 

Die überdurchschnittliche Kursentwicklung der Bayer-Aktie im bisherigen Jahresverlauf zeigt jedoch, dass die Anleger inzwischen die Vorteile des Monsanto-Kaufs zu realisieren beginnen, und das, obwohl das Unternehmen noch immer mit Rechtsstreitigkeiten wegen Roundup zu kämpfen hat. Im Mai meldete die Crop-Science-Sparte von Bayer einen Umsatzsprung von 22 Prozent auf 8,45 Milliarden Euro für das erste Quartal, auch dank höherer Preise für Herbizide, Maissaatgut und andere Produkte. Die etwas kleinere Pharma-Sparte von Bayer verzeichnete 2,6 Prozent Wachstum, die Consumer-Health-Sparte mit der bekannten Marke Aspirin ein Umsatzplus von 17,2 Prozent.

Es sei das dritte Quartal in Folge gewesen, in dem das Agrarchemiegeschäft von Bayer die Erwartungen übertroffen habe, sagte Markus Manns, Portfoliomanager beim deutschen Vermögensverwalter Union Investment. "Ich zögere, davon auszugehen, dass drei Quartale der Beginn eines langfristigen Trends sind, aber es ist ein gutes Zeichen", so Manns, dessen Firma Bayer-Aktien besitzt.

Die Ukraine ist mit einem Anteil von 13 Prozent an den weltweiten Maisausfuhren und mit einem Anteil von 12 Produzenten an den Weizenexporten einer der führenden Lieferanten von Getreide in alle Welt. Der Krieg von Russland hindert das Land allerdings aktuell daran, große Mengen auf die Weltmärkte zu bringen. Die aktuelle Gefahr, dass es zu einer Nahrungsmittelknappheit kommen könnte, unterstreiche die aktuelle Nachfrage nach gentechnisch veränderten Saatgut von Bayer sowie nach seinen Unkraut- und Schädlingsbekämpfungsmitteln, die die Ernteerträge steigern sollen, sagen Analysten mittlerweile.

Das Herbizid-Portfolio von Bayer, angeführt von Produkten auf Glyphosat-Basis, die aus der Übernahme von Monsanto stammen, trug zuletzt am stärksten zum Wachstum der Crop-Science-Sparte bei. Produktionsunterbrechungen und Energiemangel verlangsamten zeitweilig die Glyphosat-Produktion in China, was die Preise in die Höhe trieb. China erzeugt etwa 60 Prozent des weltweiten Glyphosats am Markt, und Bayer ist für den Rest verantwortlich.


 US-Klagen haben Glyphosat-Nachfrage nicht geschmälert 

Während die meist privaten Nutzer in ihren Klagen gegen Bayer behaupten, Glyphosat sei krebserregend und ihre Anwälte hohe Entschädigungen verlangen, wird das Herbizid von Landwirten in den USA und anderswo nach wie vor im großen Stil zur Unkrautbekämpfung auf den Feldern eingesetzt. Bayer hat 16 Milliarden Dollar für die Beilegung der Rechtsstreitigkeiten mit Roundup bereitgestellt und erklärt nach wie vor, die Chemikalie sei sicher. Auch aus Sicht der US-Umweltschutzbehörde EPA stellt Glyphosat kein Gesundheitsrisiko für Menschen dar.

Bayer sucht seit Jahren nach Wegen, die Klagen um Roundup dauerhaft zu beenden. 2021 wurde dazu ein erster Fall vor den Obersten Gerichtshof der USA gebracht. Er soll ein Geschworenenurteil in Höhe von 25 Millionen Dollar zugunsten des krebskranken kalifornischen Bürgers Edwin Hardeman für ungültig erklären.

Im Mai sank die Bayer-Aktie um 6,2 Prozent, nachdem bekannt geworden war, dass das US-Justizministerium dem Supreme Court in einer angefragten Stellungnahme empfohlen hatte, den Antrag von Bayer abzulehnen. Die Chancen, dass es zu einer Anhörung dieses Falles durch das oberste US-Gericht kommt, stellvertretend für viele weitere, sind damit gesunken. Ein für Bayer positives Gerichtsurteil hätte Tausende von Klagen und damit auch mögliche künftige Verfahren beendet.

Bayer hofft nach wie vor, dass sich der Oberste Gerichtshof mit dem Fall befassen und die Hardeman-Entscheidung aufheben wird. Sollte die Entscheidung nämlich aufrechterhalten werden, "würde dies die Fähigkeit von Unternehmen untergraben, sich auf behördliche Maßnahmen fachkundiger Aufsichtsbehörden zu verlassen und die drängenden Herausforderungen der heutigen Zeit in den Bereichen Lebensmittelsicherheit und Umweltschutz zu bewältigen", äußerte sich ein Bayer-Sprecher in einer E-Mail. Möglicherweise bereits am 9. Juni könnte der Supreme Court entscheiden, ob der Fall Hardeman dort angehört wird.

Die anhaltende Ungewissheit ist für einige Investoren Grund genug, die Bayer-Aktie aktuell noch zu meiden. "Ich kann das Risiko eines Rechtsstreits einfach nicht eingehen", sagte etwa Kay Eyre, Portfoliomanager bei der schottischen Investmentfirma Abrdn.


 Bayers Kurs-Gewinn-Verhältnis ist günstig 

Nach dem Ausverkauf im Mai hat sich die Bayer-Aktie allerdings wieder erholt. Das zeigt nach Meinung von Analysten, dass sie für solche Anleger attraktiv ist, die auf bessere Geschäfte und eine vergleichsweise niedrige Unternehmensbewertung setzen. Laut S&P Global Market Intelligence wird Bayer mit dem fast Neunfachen des prognostizierten Gewinns gehandelt. Zum Vergleich: Corteva mit Sitz in Indianapolis wird mit dem 23-fachen bewertet. Die Corteva-Aktie ist im bisherigen Jahresverlauf um 31 Prozent gestiegen.

Ein weiteres positives Unterscheidungsmerkmal für die Bayer-Aktie ist nach Ansicht der Analysten die vielversprechende Pharmasparte. Zur Bayer-Pipeline der Medikamentenkandidaten gehört ein oraler Blutverdünner namens Asundexian, der Schlaganfällen und Blutgerinnseln vorbeugen soll, ohne dass es dabei zu übermäßigen Blutungen kommen kann. Das Mittel dürfte bereits in den nächsten Monaten in fortgeschrittenen klinischen Studien erprobt werden. Sollte es erfolgreich sein und zugelassen werden, könnte es Bayer nach Schätzungen des Citigroup-Analysten Peter Verdult jährliche Umsätze von mehr als 6 Milliarden Dollar einbringen. "Nach Jahren gibt es endlich wieder bessere Aussichten für die gesamte Gruppe", sagte er.

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June 07, 2022 07:12 ET (11:12 GMT)