LEVERKUSEN (dpa-AFX) - Bayer kommt nach einigen schwierigen Jahren zunehmend in Tritt. Das Agrargeschäft profitiert von hohen Preisen auf den Agrarmärkten und nimmt nach der Integration von Monsanto Fahrt auf. In der Pharmasparte mehrten sich in den vergangenen Monaten die positiven Nachrichten zu neuen Medikamenten. Zudem scheint der Glyphosat-Rechtsstreit in den USA für Investoren nicht länger das alles dominierende Thema zu sein. Hier steht voraussichtlich noch bis zum Sommer eine wegweisende Entscheidung des US Supreme Court an, des obersten Gerichts der USA. Was bei Bayer los ist, was Analysten sagen und was die Aktie macht.

DAS IST LOS BEI BAYER:

Nachdem das Agrargeschäft nach der Übernahme des US-Saatgutkonzerns Monsanto im Jahr 2018 lange Zeit den Erwartungen eher hinterhergelaufen war, nahm es 2021 wieder Schwung auf. Es profitierte von einer hohen Nachfrage nach Mais und Sojabohnen und damit einer Zunahme der Anbaufläche in Lateinamerika. Zudem haben Landwirte bei hohen Preisen für ihre Produkte einen größeren Anreiz, Geld für Pflanzenschutzmittel auszugeben. Auch stiegen die Preise für den wichtigen Umsatzbringer Glyphosat gegen Ende 2021 stark. Zuletzt kamen die Preise zwar ein Stück weit zurück, sind aber immer noch höher als vor einem Jahr.

Insgesamt dürfte das starke Geschäftsumfeld für Bayer zuletzt angedauert haben, denn die Agrarmärkte laufen stark, Feldfrüchte erzielen hohe Preise. So machen sich infolge des Krieges Russlands gegen die Ukraine zunehmend Sorgen hinsichtlich einer Nahrungsmittelknappheit in Teilen der Welt breit, denn die Ukraine ist ein wichtiger Weizenproduzent.

Und auch in der Sparte Consumer Health dürfte es gut laufen. Mit dem Auslaufen vieler Corona-Restriktionen in Teilen der Welt dürften in der kälteren Jahreszeit auch normale Erkältungen wieder stärker die Runde gemacht haben. Das dürfte der Nachfrage nach rezeptfreien Medikamenten zugute gekommen sein.

Das Pharmageschäft von Bayer wird nach wie vor von den beiden Kassenschlagern Xarelto, einem Gerinnungshemmer, sowie dem Augenmedikament Eylea bestimmt. Beide liefern Milliardenumsätze, die in den kommenden Jahren aber wegen wegfallender Patente schrumpfen werden. Immerhin: Im Herbst hatte Bayer einen Etappensieg im Streit mit Generikaherstellern errungen. Nach der Entscheidung des Europäischen Patentamts ist das Patent auf Xarelto weiterhin bis Mitte Januar 2026 gültig, zumindest bis einzelne EU-Länder anders entscheiden.

Mit Blick auf das Schließen der Umsatzlücke, die mit perspektivisch geringen Xarelto- und Eylea-Erlösen einhergehen wird, machte Bayer zuletzt Fortschritte. Auch Analysten sind längst nicht mehr so pessimistisch wie noch vor ein, zwei Jahren. Wichtig sind hier zunächst neue Mittel wie das Nierenmedikament Kerendia und Nubeqa gegen Prostatakrebs. Für Nubeqa rechnet Bayer infolge positiver Studiendaten seit Kurzem in der Spitze mit Umsätzen von mehr als drei Milliarden Euro pro Jahr.

Um die künftig wohl geringeren Xarelto- und Eylea-Erlöse aufzuwiegen, spielt zudem der Medikamentenkandidat Asundexian als potenzieller Xarelto-Nachfolger eine wichtige Rolle. Hierzu legte Bayer erst Anfang April positive Daten einer Phase-II-Studie zur Behandlung von Patienten mit Vorhofflimmern (Herzrhythmusstörung) und Schlaganfallrisiko vor. Im Falle einer Zulassung könnte das Mittel laut Analyst Alistair Campbell vom Investmenthaus Liberum ein noch größerer Erfolg werden als Xarelto.

Langfristig verspricht sich Bayer durch neuartige Gen- und Zelltherapien Rückenwind. In diesem Bereich kauften die Leverkusener in den vergangenen Jahren kräftig zu und gingen auch Kooperationen ein.

Im Fokus bleibt vorerst aber auch der US-Rechtsstreit um angebliche Krebsrisiken glyphosathaltiger Unkrautvernichter. In dem bereits milliardenteuren Streit kann sich Bayer seit Ende vergangenen Jahres durchaus Hoffnung machen. Denn das oberste US-Gericht könnte einen wegweisenden Fall in der Causa zur Überprüfung annehmen. Zunächst aber will der US Supreme Court die Meinung der US-Regierung einholen, vertreten durch den sogenannten Solicitor General. Der bekleidet einen der Top-Posten im US-Justizministerium und ist so etwas wie der oberste Anwalt der USA, der die Regierung unter anderem vor dem obersten US-Gericht vertritt.

Gemäß der üblichen Zeitpläne dürften die Richter bis Ende Juni entscheiden, ob sie den Fall zulassen. Sollte es zur Verhandlung kommen, hätte das Urteil Signalwirkung. Von einem möglichen Sieg versprechen sich die Leverkusener, die Streitigkeiten im Grunde beenden zu können.

Bayer hatte sich die teuren Rechtskonflikte rund um das glyphosathaltige Roundup 2018 mit dem über 60 Milliarden Dollar teuren Kauf des US-Saatgutriesen Monsanto ins Haus geholt. Nach einer ersten Gerichtsschlappe im Sommer 2018 war die Zahl der Kläger rasant gestiegen.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Experten wurden in den vergangenen Monaten deutlich optimistischer. Lag das durchschnittliche Kursziel der von der Finanz-Nachrichtenagentur dpa-AFX erfassten Analysten im Februar noch bei knapp 68 Euro, sind es mittlerweile fast 78 Euro. Aktuell kosten die Papiere rund 61 Euro. 15 der aktuell erfassten 16 Experten raten denn auch zum Kauf, lediglich eine neutrale Stimme gibt es.

Die US-Investmentbank Morgan Stanley hob das Kursziel für Bayer erst vor wenigen Tagen von 77 auf 83 Euro an und beließ die Einstufung auf "Overweight". Analyst James Quigley rechnet mit einem starken Bericht für das erste Quartal. Er liege mit seinen Schätzungen deutlich über den durchschnittlichen Markterwartungen. Quigley rechnet aber mit einer Bestätigung der Jahresziele angesichts geopolitischer Risiken und einer ersten Wende der Glyphosat-Preise.

Richard Vosser von der US-Großbank JPMorgan ist ebenfalls zuversichtlich mit Blick auf die Geschäftsentwicklung, wenngleich seine Schätzungen für das Auftaktquartal in etwa auf dem Niveau der Konsensprognosen liegen.

Im Durchschnitt rechnen Analysten laut von Bayer zur Verfügung gestellter Daten für das erste Quartal mit einem Umsatz von 13,8 Milliarden Euro, nach 12,3 Milliarden vor einem Jahr. Vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) sowie vor Sondereffekten dürften davon 4,65 Milliarden Euro hängen geblieben sein und damit fast 13 Prozent mehr als vor einem Jahr.

Mit Blick auf 2022 rechnen die Experten im Durchschnitt mit einem Umsatzplus von gut sieben Prozent auf 47,3 Milliarden Euro. Der bereinigte operative Gewinn dürften demnach um fast zwölf Prozent auf 12,5 Milliarden Euro zulegen.

Bayer selbst rechnet für das laufende Jahr mit einem Umsatz von etwa 47 Milliarden Euro. Anders als 2021, als insbesondere der schwache brasilianische Real belastet hatte, dürfte dabei Wechselkurseffekten nun Rückenwind liefern. Auf Basis konstanter Wechselkurse kalkulieren die Leverkusener denn auch mit einem Wachstum des Konzernumsatzes um rund fünf Prozent auf etwa 46 Milliarden Euro. Das bereinigte operative Ergebnis soll sich auf etwa zwölf Milliarden Euro verbessern. 2021 waren es 11,2 Milliarden.

Der freie Mittelzufluss soll demnach 2022 währungsbereinigt sowie nach Abzug von Vergleichszahlungen im US-Glyphosatstreit etwa 2 bis 2,5 Milliarden Euro erreichen - nach 1,4 Milliarden im vergangenen Jahr.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die Bayer-Aktien profitieren seit ihrem Zwischentief um die 44 Euro Ende 2021 von den insgesamt besser laufenden Geschäften und der auch mit Blick auf die Glyphosat-Rechtsstreit wachsenden Zuversicht der Anleger. Zwar sind die Gewinne seit dem Zwischenhoch bei knapp 68 Euro Mitte April zuletzt ein wenig abgebröckelt, mit aktuell knapp 61 Euro und damit mit einem Plus von rund 30 Prozent führen die Papiere den Dax im Jahr 2022 aber weiterhin mit einigem Abstand an.

Der schon seit 2015 bestehende Abwärtstrend, den die Niederlagen in den Glyphosat-Prozessen ab Mitte 2018 nochmals verschärft hatten, ist gleichwohl nach wie vor nicht gebrochen. Der wäre auf aktueller Basis erst bei Kursen über dem Bereich um die 74 Euro der Fall.

Seit dem ersten Glyphosat-Urteil gegen Bayer im August 2018 beläuft sich das Kursminus auf etwas mehr als ein Drittel, von dem im Frühjahr 2015 erreichten Rekordhoch von 146,45 Euro aus gerechnet ging es sogar um gut 58 Prozent abwärts. Selbst wenn man die seither gezahlten Dividenden einrechnet, wird das Minus nicht viel kleiner. Der deutsche Leitindex ist in diesem Zeitraum um knapp 13 Prozent gestiegen.

In Sachen Börsenwert liegt Bayer mit gut 59 Milliarden Euro im vorderen Mittelfeld des Dax. Im April 2015 auf Rekord-Kursniveau hatte der Konzern mit einer Marktkapitalisierung von rund 120 Milliarden Euro noch den Spitzenplatz im deutschen Leitindex inne. Damals konnte nur Volkswagen (VW) dem Bayer-Konzern in Sachen Börsenwert knapp das Wasser reichen. Die Wolfsburger bringen es aktuell auf knapp 91 Milliarden Euro Börsenwert. Dax-Spitzenreiter ist der Gaskonzern Linde mit 150 Milliarden./mis/jcf/he