(Neu: Analystenkommentare von Barclays und JPMorgan, Fall Pilliod, Kursentwicklung)

WASHINGTON (dpa-AFX) - Der Agrarchemie- und Pharmakonzern Bayer hat im US-Rechtsstreit um angebliche Krebsrisiken des Unkrautvernichters Glyphosat einen Rückschlag erlitten. Die US-Regierung riet dem Supreme Court am Dienstag (Ortszeit) von der Annahme eines wegweisenden Falls ab. Die Regierung wird dabei durch den sogenannten Solicitor General vor dem obersten Gericht im Land vertreten. Das Verfahren könnte Signalwirkung für viele weitere US-Klagen haben. Für den Leverkusener Konzern hängen davon milliardenschwere Rechtsrisiken ab.

Damit ist das bestmögliche Szenario für Bayer wahrscheinlich vom Tisch, erklärte Analystin Emily Field von der britischen Barclays-Bank in einer ersten Einschätzung. Bayer hatte indes mit Rückstellungen bereits im vergangenen Jahr für solch einen Fall vorgesorgt. Die erneute Unsicherheit lastete am Mittwoch dennoch schwer auf der Aktien.

Die Anteilsscheine brachen am Vormittag als Schlusslicht im Dax um sechseinhalb Prozent auf 57,91 Euro ein, nachdem sie tags zuvor infolge der Zahlen für das erste Quartal noch um mehr als fünf Prozent zugelegt hatten. Das Kursplus für 2022 schmolz damit auf weniger als ein Viertel zusammen. Die Kurserholung der vergangenen Monate im Sog starker Agrarmärkte, verbesserter Pharma-Perspektiven sowie der Hoffnung auf einen Schlussstrich unter die Causa Glyphosat scheint damit erst einmal vorbei. Die Verluste seit dem ersten Glyphosat-Urteil gegen Bayer im August 2018 belaufen sich nun wieder auf 38 Prozent.

Konkret geht es in der aktuellen Entscheidung des Solicitor General um die Überprüfung eines Urteils zugunsten des Klägers Edwin Hardeman. Dieser macht glyphosathaltige Produkte des von Bayer übernommenen US-Herstellers Monsanto für seine Krebserkrankung verantwortlich. Ihm waren 2019 nach einem Gerichtsprozess letztendlich gut 25 Millionen Dollar Schadenersatz zugesprochen worden. Bayer hofft, dass der Supreme Court die Entscheidung kippt.

Doch ob das oberste US-Gericht sich mit dem Fall befasst, ist bislang unklar. Im Dezember hatten die Richter angekündigt, die Meinung der US-Regierung dazu einzuholen, was zunächst als Zeichen des Interesses und somit positiv für Bayer schien. Doch jetzt liegt die Empfehlung des Justizministeriums vor - es schlägt sich auf die Seite des Klägers. Der Argumentation Bayers, dass Bundesrecht Schadenersatzansprüche in einzelnen US-Staaten verhindere, stimmte die Regierung nicht zu.

"Wir sind weiterhin überzeugt, dass es gute rechtliche Argumente für den Supreme Court gibt, den Fall Hardeman zu überprüfen und das Urteil zu korrigieren", teilte Bayer in einem Statement mit. Dies bestätigten auch zahlreiche Stellungnahmen, die bei Gericht dazu eingereicht worden seien. So habe etwa die US-Umweltschutzbehörde EPA mehrfach festgestellt, dass glyphosatbasierte Herbizide sicher genutzt werden könnten und nicht krebserregend seien.

"Wir haben immer gewusst, dass das Recht auf unserer Seite ist, und nun stimmt die Regierung zu", erklärte Jennifer Moore, die Anwältin von Kläger Hardeman gegenüber US-Medien. "Es ist ein sehr guter Tag für Krebsopfer in diesem Land, die versuchen, Täter wie Monsanto zur Rechenschaft zu ziehen". Hardeman war 2015 an Lymphdrüsenkrebs erkrankt. Er wirft Monsanto beziehungsweise Bayer vor, angebliche Gesundheitsrisiken von Glyphosat verschwiegen zu haben.

Der Konzern weist die Anschuldigungen zurück und argumentiert mit Studien, die belegen sollen, dass glyphosathaltige Produkte bei vorschriftsgemäßer Anwendung ungefährlich seien. Die vielen Klagen, mit denen Bayer in den USA konfrontiert ist, stützen sich besonders auf eine Einschätzung der Internationalen Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation. Sie stufte Monsantos Unkrautvernichter 2015 als "wahrscheinlich krebserregend" für Menschen ein.

In dem Antrag an den Supreme Court hatte Bayer mit der sogenannten Federal Preemption argumentiert. Der Konzern vertritt demzufolge die Ansicht, Schadenersatzansprüche wegen angeblich mangelhafter Warnungen vor Krebsrisiken könnten nach einzelstaatlichem Recht nicht bestehen, wenn sie mit Bundesrecht kollidieren. Zudem ist der Konzern der Meinung, die Zulassung von Experten als Zeugen der Klägerseite habe beim Prozess nicht den bundesrechtlichen Standards entsprochen.

Für den Fall, dass der Supreme Court sich mit dem Glyphosat-Verfahren nicht befassen will oder letztlich gegen Bayer entscheidet, hatte der Konzern im Sommer weitere Rückstellungen von 4,5 Milliarden Dollar gebildet. Mit dem Geld würde dann ein Programm aufgesetzt, um in den kommenden 15 Jahren mit den Forderungen neuer Kläger umzugehen.

Wenngleich die Entscheidung der US-Regierung ein Rückschlag für Bayer sei, habe sie zumindest vorerst keine finanziellen Folgen, erklärte Analyst Richard Vosser von der US-Bank JPMorgan in einer Studie mit Blick auf die Rückstellungen. Zusammen mit dem noch nicht genutzten Rest vorheriger Rückstellungen sollte es ausreichen, um circa 31 000 bestehende Fälle und rund 100 000 künftige Fälle auf Sicht von zehn bis 15 Jahren abzudecken. Zudem erinnerte der Experte daran, dass Bayer Glyphosat als aktive Substanz im Unkrautvernichter Roundup für Privatkunden in den USA bald ersetzen wolle. Da 90 Prozent der bisherigen Klagen von Privaten kämen, würde das Rechtsrisiko damit deutlich sinken.

Sollte das oberste US-Gericht den Fall Hardemann nicht überprüfen, kann Bayer zumindest ein Stück weit auf einen weiteren Fall hoffen, den es vor den Supreme Court bringen will. Dabei geht es um die Krebserkrankungen der Kläger Alberta und Alva Pilliod, denen Schadenersatz- und Strafzahlungen von letztlich 86,7 Millionen Dollar zugesprochen wurden. Die Probleme rund um den Glyphosat-Unkrautvernichter Roundup hatte Bayer sich 2018 mit dem über 60 Milliarden Dollar teuren Monsanto-Kauf aufgehalst./hbr/mis/lew/zb