"Diese Transaktion ist ein entscheidender Moment für die LSE", sagte Verwaltungsratschef Don Robert am Donnerstag bei der Bekanntgabe des Deals. Mit dem Zukauf verringert die London Stock Exchange (LSE) ihre Abhängigkeit von den schwankenden Kapitalmärkten weiter und wird einer der weltgrößten Anbieter von Finanzdaten. LSE-Chef David Schwimmer stellt sich daher auf langwierige Untersuchungen von Kartellbehörden und Finanzaufsehern in den USA, der EU und anderen Ländern ein.

Einige Investmentfirmen und Händler befürchten steigende Preise und schlechteren Zugang zu Daten für Unternehmen, die nicht Kunden von Refinitiv sind. Schwimmer versuchte die Bedenken zu zerstreuen: Die LSE werde auch künftig freien Zugang zu Daten gewähren, betonte er. Er zeigte sich zuversichtlich, grünes Licht für die Übernahme zu erhalten. Es gebe keine Pläne, sich von Teilen des Geschäfts zu trennen.

Die Londoner Börse greift für die Refinitiv-Übernahme tief in die Tasche. Der Kaufpreis, der vollständig in Aktien gezahlt wird, liegt nur wenig unter dem eigenen Börsenwert. Anleger reagierten dennoch begeistert: Die LSE-Aktie stieg mehr als sechs Prozent auf ein Rekordhoch von 7152 Pence. Beflügelt wurden die Papiere auch von den am Donnerstag ebenfalls veröffentlichten Geschäftszahlen: Insbesondere wegen des wachsenden Geschäfts mit der Abwicklung (Clearing) von Derivaten legte der bereinigte Betriebsgewinn der Börse im ersten Halbjahr um elf Prozent auf 533 Millionen Pfund (585 Millionen Euro) zu.

Die Alteigentümer von Refinitiv - der US-Finanzinvestor Blackstone und der kanadische Informationskonzern Thomson Reuters - werden künftig 37 Prozent der Aktien und weniger als 30 Prozent der Stimmrechte an der LSE halten. Blackstone wird zwei Sitze im LSE-Verwaltungsrat haben, Thomson Reuters einen. Refinitiv-Chef David Craig soll in den LSE-Vorstand einziehen und die Sparte weiterhin leiten.

BÖRSEN IM DATENFIEBER

Refinitiv ist die ehemalige Finanzmarktsparte von Thomson Reuters, dem Mutterkonzern der Nachrichtenagentur Reuters. Sie wurde erst 2018 mehrheitlich von Blackstone übernommen. Das Unternehmen bietet unter anderem Börsenkurse und Konjunkturdaten sowie Informationen zu Fusionen und Übernahmen. Zudem betreibt Refinitiv die Devisenhandelsplattform FXall, so dass LSE künftig neben dem Aktien- und Derivatehandel auch in den Devisenhandel vorstoßen kann. "Unsere Kunden wollen zunehmend über verschiedene Regionen und Währungen handeln", sagte Schwimmer. Die LSE werde globaler und stärke ihre Präsenz in Nordamerika. Der Deal sei keine Reaktion auf den Brexit. Mit dem Kauf von Refinitiv durchkreuzte die LSE auch die Pläne der Deutschen Börse, sich FXall einzuverleiben, um ihre eigene Devisenhandelsplattform 360T zu stärken.

Doch der große Preis ist das Datengeschäft von Refinitiv. Die Gewinne im klassischen Aktienhandel sind unter Druck und hängen stark von den Launen an den Finanzmärkten ab, während das Datengeschäft seit Jahren wächst. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete die LSE bereits fast 40 Prozent ihrer Konzernerlöse von 2,14 Milliarden Pfund (2,4 Milliarden Euro) mit Informationsdienstleistungen.

Auch die anderen großen Börsenbetreiber sind im Datenfieber. Erst am Mittwoch sagte Euronext-Chef Stephane Boujnah, die Mehrländer-Börse schaue sich in dem Bereich nach Gelegenheiten um. Deutsche-Börse-Chef Theodor Weimer betont ebenfalls, dass das Datengeschäft einer der Bereiche ist, in dem er zukaufen will.

LUKRATIVES INVESTMENT

Für Blackstone hat sich die Wette auf das Datengeschäft jedenfalls gelohnt. Erst im Oktober hatte der Finanzinvestor die Übernahme der Thomson-Reuters-Finanzmarktsparte abgeschlossen. Sie wurde damals mit rund 20 Milliarden Dollar inklusive Schulden bewertet. Der Wert seiner Investition habe sich in etwa verdoppelt, sagte ein Insider.

Blackstone, der aktuell mit Co-Investoren 55 Prozent an Refinitiv hält, wird künftig 22 Prozent an der LSE besitzen. Thomson Reuters wird nach eigenen Angaben rund 15 Prozent an der Börse halten. Der Vertrag über die Lieferung von Reuters-Nachrichten an Refinitiv mit einer Laufzeit von 30 Jahren bleibe auch nach dem Eigentümerwechsel gültig.

Die LSE-Aktionäre sollen im vierten Quartal über die Refinitiv-Übernahme abstimmen. "Unsere Aktionäre und Kunden werden von attraktiven Wachstumsaussichten und substanziellen Synergien profitieren", warb Schwimmer für das Vorhaben, das nach Vorliegen aller Genehmigungen im zweiten Halbjahr 2020 abgeschlossen werden soll.