Von Benjamin Katz

NEW YORK (Dow Jones)--Das ist eine veritable Renaissance. Die größten Passagierflugzeuge der Welt - von denen viele für das Abstellgleis vorgesehen waren - werden wieder in Betrieb genommen, da die Fluggesellschaften sich beeilen, den Langstreckenflugverkehr wieder aufzunehmen. Nach Angaben von Flugzeugvermietern motten die Fluggesellschaften händeringend ihre einst geparkten Flotten großer Jets aus, die in der Regel jeweils Hunderte von Passagieren auf Langstrecken befördern. Die Nachfrage schränkt die Verfügbarkeit ein und treibt die Preise für die Vermietung in die Höhe. Und die Wartezeit auf neue Flugzeuge zieht sich unterdessen über Jahre hin.

Zu den begehrten Großraumflugzeugen mit Sitzen auf zwei Gängen gehören die 787 von Boeing, deren Produktion sich wegen Qualitätsproblemen verzögert hat, und die A350 von Airbus, der größte noch produzierte Jet des Flugzeugherstellers. "In den vergangenen acht bis zwölf Monaten hat sich der Markt für Großraumflugzeuge enorm beschleunigt", hat CEO John Plueger von Air Lease Corp., einem der weltweit größten Flugzeug-Leasingunternehmen, beobachtet.

Das Verkaufspersonal von Boeing und Airbus bemüht sich um mehrere Großaufträge für neue Flugzeuge von Fluggesellschaften und Leasinggebern. Fluggesellschaften wie die IAG-Tochter British Airways, die Deutsche Lufthansa und Qantas Airways setzen ihre doppelstöckigen Airbus A380-Jumbojets wieder ein, nachdem sie die Maschinen auf dem Höhepunkt der Pandemie eingemottet hatten. "Da ich die bestehenden Kampagnen mit Kunden auf der ganzen Welt kenne und daran arbeite, habe ich ein gutes Gefühl, was das Großraumflugzeug angeht", erläutert Airbus-Manager Christian Scherer. Das Gedränge um große Flugzeuge hat konventionelle Weisheiten der Branche auf den Kopf gestellt. Schon bevor die Pandemie den größten Teil des Flugverkehrs vorübergehend zum Erliegen brachte, hatten sich die Fluggesellschaften von den größten Großraumflugzeugen abgewandt. Sie waren halt davon überzeugt, dass kleinere zweimotorige Flugzeuge oder Schmalrumpfjets mit größerer Reichweite mehr Flexibilität, einen geringeren Treibstoffverbrauch und leichter zu füllende Kabinen bieten.


   Großraumflugzeuge kamen in der Pandemie unter die Räder 

Als die Pandemie ausbrach, verstärkte sich die Umstellung auf kleinere Flugzeuge. Die Fluggesellschaften verschoben und stornierten Aufträge für zweimotorige Flugzeuge und stellten die größten, treibstofffressenten Jets, darunter Dutzende der buckligen Boeing 747 und des Airbus A380, dauerhaft ab. Doch als die Reisebeschränkungen allmählich fielen, wollten die Fluggesellschaften zunächst nur ihre kleineren Schmalrumpfflugzeuge zurückbringen. Die Nachfrage nach Inlands- und Kurzstrecken-Freizeitreisen, die bereits von kleineren Flugzeugen bedient wurden, begann vor den internationalen Langstreckenflügen zurückzukehren. Und in der Tat haben sich die Großraumflugzeuge noch nicht vollständig erholt.

Laut dem auf Flugdaten spezialisierten Unternehmen OAG lag die Gesamtzahl der Flüge, die im Januar Großraumflugzeuge abdeckten, nur bei 76 Prozent der Gesamtzahl der Flüge im gleichen Monat des Jahres 2020. Airbus und Boeing halten sich mit der Erhöhung der Produktionsraten ihrer größten Flugzeuge zurück, auch wenn sie um Aufträge buhlen.

Sie kämpfen bereits mit dem Druck auf ihre Produktion von Schmalrumpfflugzeugen und sind vorsichtig, wenn es darum geht, die bereits arg angespannten Produktionslinien zu überlasten. Jede Abschwächung der Weltwirtschaft könnte die Widerstandsfähigkeit des jüngsten Anstiegs der Passagierzahlen auf die Probe stellen. Ende Januar lieferte Boeing nach mehr als fünf Jahrzehnten Produktion sein letztes 747-Flugzeug aus. Der rund 75 Meter lange Jumbo ist eine Ikone des Langstreckenflugverkehrs. Wegen der vier Triebwerke und der Größe des Jumbos war es für die Fluggesellschaften schwieriger geworden, die Beibehaltung des Jumbos in ihren Flotten zu rechtfertigen. Deshalb erfolgten neue Auslieferungen des Jumbos letztlich nur noch als Frachtflugzeug.


  Zahl der Reisenden zieht kräftig an 

Dennoch bemühen sich die Fluggesellschaften jetzt, größere Flugzeuge wieder in Betrieb zu nehmen oder schnell Ersatz zu beschaffen, da die Passagiere wieder zu den Flughäfen strömen. Die Branche setzt nun auch auf die aufgestaute Nachfrage nach Auslandsreisen aus China, nachdem das Land die meisten Pandemie-Reisebeschränkungen aufgehoben hat. Lufthansa erklärte im Januar, dass sie zusätzlich zu ihrer A380-Flotte eine Handvoll ihrer jahrzehntealten, vierstrahligen Airbus A340-Jets wieder in Betrieb nimmt, da sich die Auslieferung der neuen 787 Dreamliner von Boeing verzögert.

Darüber hinaus ist der jüngste Neuzugang des US-amerikanischen Flugzeugherstellers auf dem Großraumflugzeugmarkt, die 777X, etwa fünf Jahre im Verzug. Die Lufthansa hat 777X bestellt, um ihre verbleibenden 747 zu ersetzen. Derweil hat die irische Leasinggesellschaft Avolon Holdings nach eigenen Angaben mit Ausnahme von zwei Airbus A330neo fast alle ihrer Großraumflugzeuge bei Fluggesellschaften untergebracht. "Die Flugzeuge werden eingesetzt", konstatiert CEO Andy Cronin lakonisch.

In einer im Januar veröffentlichten Marktprognose geht Avolon davon aus, dass sich das weltweite Verkehrsaufkommen bis Juni dieses Jahres auf das Niveau von 2019 erholt. Die Erholung dürfte dem Wiederaufleben des Langstreckenverkehrs und der erwarteten Entspannung in China zu verdanken sein. Zugleich sorgt die Rückkehr größerer Flugzeuge an den Himmel bei Boeing und Airbus nach Jahren des Nachfrageeinbruchs für neue Verkäufe und Vertriebskampagnen. Im vergangenen Jahr meldeten Boeing und Airbus 301 Bruttoaufträge für Großraumflugzeuge. Die Aufträge bedeuteten einen Sprung von 64 Prozent gegenüber den 184 Bruttobestellungen für größere Flugzeugmodelle im Jahr 2021.

In der Zahl für 2022 ist ein Teil eines Großauftrags über 100 Boeing 787 von United Airlines enthalten, der auch Optionen zum Kauf von 100 weiteren Flugzeugen beinhaltet. "Das letzte Jahr war so etwas wie ein Wendepunkt", berichtet Darren Hulst von Boeing. Er sagt, die Verkaufsflut sei "ein führender Indikator dafür, wohin sich der Markt entwickelt". Insgesamt hat Boeing im Jahr 2022 Aufträge für 217 Großraumflugzeuge, einschließlich Frachtflugzeuge, verbucht, so viele wie seit 2014 nicht mehr.


  Air India steht vor Mammutauftrag 

Im bisherigen Jahresverlauf hat Airbus bei Air France-KLM sieben A350 bestellt, darunter vier neue Frachtflugzeuge, die die alternden 747-Frachter der Airline ersetzen sollen. Die beiden Flugzeughersteller stehen außerdem kurz vor Unterzeichnung eines Großauftrags von Air India, der nach Einschätzung von Analysten und Branchenvertretern einer der größten Aufträge in der Geschichte der Luftfahrt sein dürfte. Es wird erwartet, dass sich Airbus und Boeing rund 500 Jets teilen und die Fluggesellschaft Großraumflugzeuge wie die 787, die in der Entwicklung steckende 777X von Boeing und die A350 bestellt. Die China Aircraft Leasing Group, die größte unabhängige Leasinggesellschaft des Landes, prüft laut CEO Mike Poon neue Aufträge für Boeing- und Airbus-Jets. "Wir haben keinen Auftragsbestand für Großraumflugzeuge. Dieses Jahr ist der richtige Zeitpunkt dafür", stellt Poon klar. "Das wichtigste Thema in diesem Jahr sind Großraumflugzeuge, Großraumflugzeuge, Großraumflugzeuge."

Kontakt zum Autor: unternehmen.de@dowjones.com

DJG/DJN/axw/cbr

(END) Dow Jones Newswires

February 06, 2023 04:48 ET (09:48 GMT)