Die in Atlanta beheimatete Intercontinental Exchange (ICE) erklärte am Dienstag, ein Gegenangebot für die Londoner zu erwägen. Sollte ICE-Chef Jeffrey Sprecher am Ende tatsächlich eine Offerte vorlegen und die LSE-Aktionäre auf seine Seite ziehen, wäre der Traum von einer europäischen Mega-Börse erneut geplatzt.[nL8N16926S] Investoren stellen sich bereits auf einen Übernahmekampf ein: LSE-Aktien schossen über acht Prozent nach oben, während Deutsche-Börse-Papiere leicht nachgaben.

Deutsche Börse und LSE betonten, sie wollten ihre rund 25 Milliarden Euro schwere Fusion trotz der möglichen Gegenofferte vorantreiben[nL8N1692UN]. Die Unternehmen setzen Insidern zufolge darauf, dass Politiker in London, Berlin und Brüssel die Schaffung einer großen europäischen Börse unterstützen. Es müsse im Interesse aller sein, dass kritische Finanzmarktinfrastruktur in europäischer Hand bleibe, sagte eine mit der Fusion vertraute Person. Zudem unterstütze der Zusammenschluss das von der EU angestoßene Projekt einer Kapitalmarktunion.

Deutsche Börse und LSE hatten vor einer Woche angekündigt, zum mit Abstand größten Börsenbetreiber Europas verschmelzen zu wollen. Zusammen könnten sie den Wettbewerbern aus den USA und Asien besser Paroli bieten. Mit dem Deal befasste Personen hatten deshalb bereits in den vergangenen Tagen vor dem Risiko einer Gegenofferte gewarnt.[nL8N16544C] Laut der Agentur Bloomberg spricht auch die Chicago Mercantile Exchange (CME) mit Beratern darüber, ob sie die EU-Börsenfusion torpedieren könnte, etwa mit einer Offerte für die LSE. Die CME wollte sich dazu nicht äußern. Die US-Börse hatte Insidern zufolge 2013 auch bei der Deutschen Börse wegen einer Fusion angefragt, war aber abgeblitzt.

AUSVERKAUF IN LONDON?

Das Störfeuer aus den USA kommt für Deutsche Börse und LSE Insidern zufolge nicht überraschend. Entscheidend sei nun, ob ICE-Chef Sprecher tatsächlich eine Offerte vorlege und wie hoch diese ausfalle, sagten zwei mit dem Vorgang vertraute Personen. Wenn der Aufschlag auf den Aktienkurs der LSE nicht deutlich über 20 Prozent liege, könne das LSE-Management guten Gewissens am Deal mit der Deutschen Börse festhalten, sagte einer der Insider. Sollte sich der Aufschlag dagegen im Bereich von 50 Prozent bewegen, werde es für das LSE-Management und die LSE-Aktionäre schwer, die Amerikaner abzuweisen.

Die Deutsche Börse und die LSE haben einen "Zusammenschluss unter Gleichen" vereinbart. Die Aktionäre der Deutschen Börse sollen rund 54 Prozent an dem Unternehmen halten, die der LSE 46 Prozent. An diesem Umtauschverhältnis wollten die Unternehmen nicht rütteln, sagte eine mit dem Prozess vertraute Person. Geführt werden soll die Mega-Börse von Deutsche-Börse-Chef Carsten Kengeter, der Hauptsitz soll dafür in London sein.

London käme bei einer Fusion mit der Deutschen Börse besser weg als bei einer Übernahme durch die ICE, betonten mehrere Insider. Der Schutz vor einer Übernahme durch einen großen US-Konzern sei ein Grund gewesen, warum sich LSE-Chef Xavier Rolet auf einen Deal mit den Deutschen eingelassen habe, sagte eine mit dem Prozess vertraute Person. "Er will lieber selbstbestimmt Teil einer europäischen Mega-Börse werden statt der Appendix eines amerikanischen Konglomerats."

"SPRECHER IST ALLES ZUZUTRAUEN"

Die ICE wurde erst im Jahr 2000 gegründet. In den vergangenen ist sie durch mehrere große Übernahmen zu einem der größten Börsenbetreiber weltweit aufgestiegen. 2013 übernahm sie für rund elf Milliarden Dollar die altehrwürdige New York Stock Exchange (Nyse) und damit auch die in London ansässige Derivate-Börse Liffe. Ende 2015 kündigte das Unternehmen an, 5,2 Milliarden Dollar für den Finanzdaten-Spezialisten Interactive Data auf den Tisch zu legen.[nL8N12Q362]

ICE-Chef Sprecher genießt in der Branche einen Ruf wie Donnerhall. "Es ist nicht klar, ob er die Fusion von Deutscher Börse und LSE nur verhindern oder wirklich eine Gegenofferte vorlegen will", sagte ein Börsen-Insider. "Aber Sprecher ist alles zuzutrauen." Er hat nach der Fusion mit der Nyse die europäische Mehrländerbörse Euronext abgestoßen, weil er kein großes Interesse am Aktienhandel hatte. Strategisch sei es schwer nachzuvollziehen, warum Sprecher nun die Finger nach der LSE ausstrecke, die ebenfalls stark im Aktienhandel ist, sagte ein Börsenexperte. "Wahrscheinlich handelt es sich um das übliche Spiel, um den Preis hochzutreiben und das Entstehen eines großen Konkurrenten zu verhindern."