--Ifo-Index auf tiefstem Stand seit Mai 2020

--Ifo-Geschäftserwartungen niedriger als nach der Lehman-Pleite

--Volkswirte erwarten für Winter Rezession

--OECD senkt deutsche Wachstumsprognosen drastisch

(NEU: Zusammenfassung mit Kommentaren von Bankvolkswirten)

Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Deutschland steuert wegen des Energiepreisschocks auf eine Rezession im Winter zu. Nach den Einkaufsmanagerindizes (PMIs) sank im September nun auch der Ifo-Geschäftsklimaindex deutlicher als erwartet. Volkswirte erwarten zumindest für die nächsten beiden Quartale einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) senkte ihre BIP-Prognose für Deutschland drastisch.

Der Ifo-Geschäftsklimaindex sank auf 84,3 (August: 88,6) Prozent, wie das Ifo-Institut mitteilte. Das ist der niedrigste Stand seit Mai 2020. Die von Dow Jones Newswires befragten Volkswirte hatten einen Rückgang auf 87,1 Punkte prognostiziert. Der Index der Lagebeurteilung ging auf 94,5 (97,5) Punkte zurück. Erwartet worden waren 96,0 Punkte. Der Index der Geschäftserwartungen fiel auf 75,2 (80,5) Punkte und lag damit nur noch knapp über dem Corona-Allzeittief von April 2020 (72,0), aber niedriger als im Dezember 2008, kurz nach der Lehman-Pleite (79,2). Die Prognose hatte auf 79,3 gelautet.


   Commerzbank: Energiepreisschock belastet Firmen und Haushalte 

"Die deutsche Wirtschaft rutscht in eine Rezession", kommentierte das Ifo-Institut die Daten. Bankvolkswirte sahen das genauso. "Alles in allem rechnen wir mehr denn je damit, dass die deutsche Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte und im ersten Quartal nächsten Jahres schrumpfen wird", schrieb Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer in einem Kommentar. Dabei sei noch nicht unterstellt, dass es zu einer Rationierung von Gas kommen könnte. "Der Energiepreisschock lässt die Kaufkraft der Konsumenten einbrechen und macht die Produktion vieler Unternehmen unrentabel", erläuterte Krämer.

Im verarbeitenden Gewerbe fiel der Index spürbar. Die Unternehmen waren unzufriedener mit den laufenden Geschäften. Sie blicken mit großer Sorge auf das nächste halbe Jahr. Die Erwartungen waren zuletzt im April 2020 so pessimistisch. Die Stimmung verschlechterte sich in nahezu allen Branchen. Der Auftragsbestand war weiter rückläufig. Im Dienstleistungssektor stürzte der Geschäftsklimaindex regelrecht ab. Die Einschätzungen zur aktuellen Lage fielen deutlich schlechter aus. Die Firmen rechneten zudem mit einer weiteren spürbaren Verschlechterung in den kommenden Monaten. Insbesondere das Gastgewerbe befürchtet schwere Zeiten.


   KfW: Unternehmen fürchten Gasrationierung 

KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib sah hinter dem unerwartet deutlichen Rückgang des Ifo-Index vor allem die Angst der Unternehmen vor einer Gas-Rationierung. "Die hohen Speicherstände von inzwischen gut 90 Prozent machen es zwar plausibel, dass Rationierungen in den gasintensiven Industrien vermieden werden können. Bei einem außergewöhnlich kalten Winter oder unzureichenden Energiesparerfolgen im Haushaltssektor stünde es gleichwohl Spitz auf Knopf", schrieb sie. Mit dem De-Facto-Lieferstopp russischen Gases hätten die Abwärtsrisiken für Wirtschaft noch weiter zugenommen.

ING-Europa-Chefvolkswirt Carsten Brzeski hält eine Rezession angesichts einer hohen Inflation, steigender Energiepreise und anhaltender Spannungen in den Lieferketten für unvermeidlich. Nach seiner Einschätzung hat Deutschland aber auch längerfristig große Probleme. "Das Land befindet sich jetzt mitten in einer kompletten Umstrukturierung, beschleunigt den grünen Wandel, strukturiert die Lieferketten um und bereitet sich auf eine weniger globalisierte Welt vor", konstatierte Brzeski. Hinzu kämen altbekannte Probleme wie die mangelnde Digitalisierung, die veraltete Infrastruktur und die Überalterung der Gesellschaft.

Die OECD senkte ihre Wachstumsprognose für die Weltwirtschaft 2023 auf 2,2 (Juni-Prognose: 2,8) Prozent und nahm die deutsche BIP-Prognose drastisch zurück - von plus 1,7 auf minus 0,7 Prozent. Die Prognose für 2022 wurde auf 1,2 (1,9) Prozent gesenkt - eine Prognosesenkung von zusammengenommen 3,1 Prozentpunkten.

Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

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September 26, 2022 06:09 ET (10:09 GMT)