FRANKFURT/LEVERKUSEN (dpa-AFX) - Der Kunststoffkonzern Covestro arbeitet sich aus der Krise heraus. Nachdem Konkurrenzdruck, globale Handelsstreitigkeiten, Autoflaute und dann auch noch die Corona-Krise dem Unternehmen in den vergangenen zweieinhalb Jahren zu schaffen gemacht hatten, konnte Covestro-Chef Markus Steilemann zuletzt mit positiven Überraschungen aufwarten. Die Geschäfte laufen wieder besser, und eine Übernahme soll für zusätzliches Wachstum sorgen. Was beim Unternehmen los ist, was Analysten sagen und was die Aktie macht.

DAS IST LOS BEI COVESTRO:

Anfang 2018 neigte sich eine außerordentlich starke Zeit für den Spezialisten für Hartplastik, Schaumstoffe und Lackzusätze langsam dem Ende entgegen. Konkurrenten ließen damals Produktionsprobleme hinter sich und bauten - ebenso wie Covestro - angesichts einer guten Nachfrage die Kapazitäten aus. Gleichzeitig begann die Autoindustrie zu schwächeln, mit der Covestro rund ein Fünftel des Umsatzes erzielt. Hinzu kamen der US-chinesische Handelsstreit und das Brexit-Gerangel. Die Gewinne fielen 2018 ein wenig, 2019 dann deutlich.

Und als wäre all das nicht genug, schlug 2020 dann auch noch die Corona-Krise ins Kontor. Im ersten Quartal blieb unter dem Strich ein nur noch kleiner Gewinn hängen, im zweiten Jahresviertel fiel sogar ein Verlust an. Unter Druck standen dabei alle drei Sparten des Konzerns. Das Geschäft mit Vorprodukten für Hart- und Weichschäume (PUR, Polyurethane), die etwa in Autositzen, Stühlen oder auch als Dämmstoffe eingesetzt werden, bekam dabei eine schwache Nachfrage der Autobranche sowie der Möbel- und Holzverarbeitungsindustrie zu spüren. Das gilt auch für das kleinste Segment CAS rund um Vorprodukte für Lacke, Klebstoffrohstoffe und Spezialanwendungen.

Die Autoflaute setzte auch der Polycarbonat-Sparte zu, die harte Kunststoffe entwickelt. Allerdings sorgten hier etwas bessere Geschäfte mit der Bauindustrie für einen gewissen Ausgleich. Zudem geriet der Absatz in die Elektronik- und Haushaltsgeräteindustrie nicht ganz so sehr unter Druck.

Mittlerweile läuft es wieder besser. Bereits im Sommer sprach Manager Steilemann von schrittweisen Verbesserungen, die Covestro seit Mai gespürt habe. Und der Eindruck trügte nicht. Eine schrittweise Erholung der Weltwirtschaft vom Corona-Schock kam auch bei Covestro an. Anfang Oktober überraschte der Konzern dann mit seinen Eckdaten für das dritte Quartal positiv.

Der Konzernumsatz fiel zwar auf Basis der vorläufigen Zahlen um fast 13 Prozent auf rund 2,8 Milliarden Euro. Ein Anstieg der Verkaufsmengen konnte die Belastungen durch niedrigere Preise und Währungseffekte nicht ausgleichen. Dennoch erzielte das Unternehmen einen Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) von 456 Millionen Euro und damit sogar mehr als ein Jahr zuvor. Für das Gesamtjahr peilen die Leverkusener nun ein operatives Ergebnis von rund 1,2 Milliarden Euro an, was das obere Ende der vorherigen Zielspanne ist.

Neben einer sich wieder schrittweise erholenden Konjunktur soll auch eine Übernahme das Wachstum des Dax-Konzerns vorantreiben. So soll bald das Geschäft mit nachhaltigen Beschichtungsharzen des Konkurrenten DSM die CAS-Sparte stärken. Analysten loben den 1,6 Milliarden Euro teuren Zukauf des DSM-Bereichs Resins & Functional Materials (RFM).

Finanziert werden soll der Kauf auch durch eine Kapitalerhöhung, die Covestro problemlos umsetzen konnte. Die neuen Aktien konnten mit einem nur sehr geringen Abschlag zum Kursniveau vor der Ankündigung der Maßnahme platziert werden, was eine rege Nachfrage der Investoren verdeutlicht.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Die Geschäftsbelebung stimmt auch Analysten zuversichtlicher. Ihre Gewinnerwartungen und damit auch ihre Kursziele stiegen zuletzt reihenweise. Das durchschnittliche Ziel der zwölf von dpa-AFX seit Anfang Oktober erfassten Experten liegt bei 50 Euro. Vor zwei Monaten waren es noch 10 Euro weniger. Sieben raten zum Kauf der Aktie, vier zum Halten und nur einer zum Verkaufen.

Die Eckdaten zum dritten Quartal zeigten, dass das Polyurethan- und des Polycarbonat-Geschäft gut durch die Corona-Krise gekommen seien und es auch weiterhin tun dürften, erklärte Analyst Christian Faitz vom Investmenthaus Kepler Cheuvreux. Die geplante Übernahme des DSM-Geschäftsbereichs Resins & Functional Materials (RFM) wertet der Experte positiv. Das Management sei gewillt, das Produktportfolio breiter aufzustellen. Das führe zu stabileren Gewinnen. Vor diesem Hintergrund sprach Faitz eine Kaufempfehlung für die Papiere aus bei einem Kursziel von 54 Euro.

Georgina Iwamoto von der US-Investmentbank Goldman Sachs setzt schon länger auf eine positive Trendwende und hat mit 68 Euro das aktuell höchste Kursziel. Dabei schwamm sie in den letzten Jahren eher gegen den Strom anderer Analysten. 2018 hatte sie zu den frühen und wenigen Warnern vor einem Abschwung gezählt, den Verkauf der Aktien empfohlen und damit am Ende Recht behalten. Vor rund einem Jahr wurde sie dann wieder optimistisch und verwies auf das mittelfristige Erholungspotenzial des Konzerns.

Am vorsichtigsten ist Geoff Haire von der Schweizer Großbank UBS. Zwar habe Covestro die Gewinnerwartungen im dritten Quartal deutlich übertroffen, doch sei das Bild mit Blick auf das kommende Jahr damit nicht klarer geworden. Er rechnet mit einem wieder zunehmenden Konkurrenzdruck in den kommenden Quartalen, da Wettbewerber im Zuge einer steigenden Nachfrage zwischenzeitlich nicht genutzte Produktionskapazitäten wieder stärker auslasten könnten. Auch deshalb sieht er Kursrisiken: Bei einem Ziel von 37 Euro votiert er mit "Verkaufen".

DAS MACHT DIE AKTIE:

Anleger setzen schon seit einiger Zeit auf eine Geschäftsbelebung. Die zuvor ein wenig ins Stocken geratene Kurserholung nahm im August wieder Fahrt auf. Mit aktuell 44,44 Euro konnten sich die Papiere seit dem Corona-Tief im März von 23,54 Euro um rund 90 Prozent erholen. Mitte September hatte Übernahmefantasie die Papiere kurzzeitig bis auf fast 49 Euro getrieben, allerdings verpuffte der Effekt binnen eines Tages. So hatte es Berichte über ein Interesse des Finanzinvestors Apollo Global Management gegeben. Ein Covestro-Sprecher dementierte dann aber, dass es aktuell Gespräche gebe.

Anleger der ersten Stunde - Bayer hatte die Papiere der damaligen Konzerntochter im Herbst 2015 zu 24 Euro das Stück an die Börse gebracht - können sich mittlerweile also wieder über ein ansehnliches Kursplus freuen.

Aktionäre, die erst während des Booms 2017 oder Anfang 2018 auf den Zug aufgesprungen sind, dürften hingegen weniger glücklich sein. So hatte sich der Kurs nach dem Börsengang in gerade einmal zweieinviertel Jahren bis Anfang 2018 im Sog der stark laufenden Geschäfte bis auf fast 96 Euro vervierfacht, anschließend ging es aber ebenso rasch wieder nach unten. Trotz der jüngsten Erholung steht seither immer noch ein Minus von mehr als der Hälfte zu Buche.

Immerhin: Seit dem Corona-Tief im März hat sich Covestro rund 32 Prozentpunkte besser entwickelt als der deutsche Leitindex Dax.

Bei der Marktkapitalisierung - also dem Wert aller Aktien in Summe - bringt es Covestro aktuell auf rund 8,6 Milliarden Euro, was den vorletzten Platz im Dax bedeutet. Ein Abstieg aus der ersten deutschen Börsenliga, wie er im Sommer noch gedroht hatte, dürfte mittlerweile aber kein Thema mehr sein. Neben der Kurserholung liegt das auch an der geplanten Dax-Reform durch die Deutsche Börse. Sie hat vorgeschlagen, den deutschen Leitindex im kommenden Jahr von 30 auf 40 Werte aufzustocken.

Im europäischen Vergleich liegt Covestro in Sachen Börsenwert aktuell im Mittelfeld des Stoxx Europe 600 Chemicals. Allerdings sind in dem Sektorindex auch echte Schwergewichte wie Linde, Air Liquide und BASF vertreten./mis/nas/la/men