Von Margot Patrick

LONDON (Dow Jones)--Die Pleite von Archegos Capital hat der Credit Suisse Verluste über 5,5 Milliarden US-Dollar eingebrockt. Ein Grund dafür, dass das Debakel Anleger und Aufsichtsbehörden auf dem falschen Fuß erwischte, ist eine Lücke in der aufsichtsrechtlichen Überwachung der großen internationalen Banken. Das ist die Schlussfolgerung von Finanzrisikoberatern, die die Trümmer des Desasters durchforstet haben.

Niemand bezweifelt ernsthaft, dass das Bankengeschäft ein internationales Geschäft ist, bei dem täglich Billionen von Dollar durch die Unternehmen und über Grenzen hinweg fließen. Doch die Banken sind vor Ort tätig und werden häufig auch dort reguliert. Dieser Widerspruch kann Aufsichtsbehörden und Anlegern den Blick darauf verstellen, was in den weit verzweigten globalen Unternehmen vor sich geht.

Archegos offenbarte "einige ziemlich bedeutende Lücken in der Aufsicht über international tätige Finanzkonglomerate", so Jeremy Kress, Assistenzprofessor an der Ross School of Business der Universität von Michigan. "Wenn verschiedene Teile in verschiedenen Sparten verbucht werden, wissen die Aufsichtsbehörden möglicherweise nicht einmal, wonach sie suchen oder welche Fragen sie stellen sollen."


   London als Drehkreuz für Swap-Handel 

Archegos entpuppte sich als eine der größten internationalen Finanzkatastrophen der jüngeren Vergangenheit, die plötzliche Verluste bei Banken in der Schweiz, den USA und Japan auslöste. Die Aufsichtsbehörden in allen drei Ländern sowie in Großbritannien haben Untersuchungen auf den Weg gebracht, um die Ursachen des Scheiterns zu ergründen.

Die Art und Weise, wie die Credit Suisse mit Archegos umging, ist ein Paradebeispiel für die Komplexität des grenzüberschreitenden Bankgeschäfts. Das Family Investment Office hat seinen Sitz in New York, und die Bank verwaltete ihre täglichen Geschäftsbeziehungen mit dem Unternehmen durch Teams in den USA.

Dennoch buchte die Credit Suisse viele Archegos-Geschäfte über ihre Londoner Niederlassung. Dies geschah, da es sich dabei meist um Geschäfte mit aktiengebundenen Derivaten drehte, die als Total-Return-Swaps bekannt sind und bei denen nur geringe Vorabzahlungen oder Offenlegungen erforderlich sind. Banken mögen Swaps, da sie geringere Kapitalkosten verursachen als direkte Kredite an Kunden.

London ist ein Drehkreuz für den Handel mit diesen Instrumenten, und wenn eine Bank alle dort abwickelt, ergeben sich Größenvorteile und die Möglichkeit, die Kapitalkosten zu senken, indem sich die Risiken mehrerer Kunden an einem Ort ausbalancieren lassen.


   Internationale Zusammenarbeit hat in Bankenaufsicht versagt 

Es gibt auch eine regulatorische Auswirkung. Die Geschäfte, die über London abgewickelt werden, gehörten nicht zu den Stresstests, die die US-Notenbank Fed in diesem Jahr im US-Handelsbereich der Credit Suisse überprüfte, so ein Insider. Die US-Niederlassung der Credit Suisse hat den Test ohne Probleme bestanden.

Die Praxis der Aufzeichnung von Geschäften für einen Kunden in einem anderen Land, bekannt als Remote Booking, "schafft ein Problem, bei dem keine einzelne Aufsichtsbehörde die Kontrolle über die Risiken hat und daher niemand die Verantwortung für die Risiken trägt", erläutert Kress. "Wir haben 10 Milliarden Dollar an Verlusten, die zeigen, dass die internationale Zusammenarbeit nicht funktioniert." Dabei bezieht er sich auf den Betrag, den mehrere Wall-Street-Banken durch die Abwicklung von Archegos verloren haben.

Wären die Positionen in die US-Stresstests einbezogen worden, die weltweit als Messlatte in puncto Qualität gelten, hätten die Aufsichtsbehörden vielleicht erkannt, dass dort konzentrierte Risiken lauerten, so der frühere UBS-Manager Andreas Ita. Laut Ita summieren sich die potenziellen Kapitalverluste auf etwa 3,7 Milliarden Dollar auf. Sie hätten sich bei den Stresstests herauskristallisiert, wenn sie auf Archegos-Positionen von 20 Milliarden Dollar im Jahr 2021 angewandt worden wären. "Diese komplexe Buchungsstruktur, bei der das Kundenrisiko in London liegt und die Positionen in den USA verbucht werden, bedeutet, dass es sich um einen der Fälle handelt, in denen die Lücken weder von den Aufsichtsbehörden noch von irgendjemandem beobachtet wurden", schimpft er.


   Credit Suisse wehrte sich gegen Überprüfung durch die Fed 

Ein vom Verwaltungsrat der Credit Suisse in Auftrag gegebener Bericht über den Verlust von Archegos macht eine "lasche Haltung gegenüber Risiken und Risikodisziplin" für das Versagen verantwortlich. In dem Bericht, den die Anwaltskanzlei Paul, Weiss, Rifkind, Wharton & Garrison LLP verfasste, heißt es, zahlreiche Mitarbeiter hätten bemerkt, dass die Struktur der Fernbuchung die Komplexität erhöht habe. Der Bericht kommt jedoch zu dem Schluss, dass die Fernbuchung die internen Risiken von Archegos nicht verschleiert habe. Der Grund: Die Risikomanager in den USA und in Großbritannien arbeiteten bei der Überwachung von Archegos zusammen.

Doch die Banken haben sich eben dagegen gewehrt, dass die Aufsichtsbehörden einen grenzüberschreitenden Blick auf ihre Geschäfte werfen. Die Credit Suisse und andere internationale Banken setzten sich bei der Fed dafür ein, sie aus der Gruppe der Großbanken zu streichen, die einer stärkeren Überwachung bedürfen, da ihr US-Geschäft seit der Finanzkrise kleiner geworden sei.

Dieses Jahr strich die Fed sie von der Liste. Außerdem haben sie ihre Auslandsderivate und Handelsaktivitäten aus ihren US-Abwicklungsplänen oder "Testamenten" herausgehalten, nachdem die Fed einen Rückzieher bei Vorschlägen gemacht hatte, diese aus diesem Jahr mit einzubeziehen. Laut Branchenverbänden dehnt die Fed ihren Einflussbereich zu weit über ihre Grenzen hinaus aus, und die Arbeit überschneidet sich mit den internationalen Regulierungsbehörden.


   US-Politik horcht auf 

In einer Anhörung des US-Senats im Mai wies die demokratische Senatorin Elizabeth Warren auf die Regulierungslücke hin. "Mit dem Zusammenbruch von Archegos sind wir dieses Mal einer Pistolenkugel ausgewichen", berichtete sie. "Aber das, was den Aufsichtsbehörden durch die Lappen gegangen ist, um diese Verluste einzudämmen, wenn etwas schief geht, war relativ klein im Vergleich zu dem, was hätte durchrutschen können. Es hätte ein noch größeres Versagen sein können."

Die Fed lehnte eine Stellungnahme ab. Ihr Chef Jerome Powell beteuerte im April, die Archegos-Verluste deuteten auf einen Zusammenbruch des Risikomanagements bei einigen Banken hin, hätten aber die Finanzstabilität nicht gefährdet. Auch die Aufsicht der Fed über die betroffenen Banken stehe nicht am Pranger, zu der auch große US-Kreditinstitute gehören.

In Großbritannien fielen die Archegos-Positionen in den Zuständigkeitsbereich einer jährlichen Kapitalplanungsüberprüfung der britischen Sparte der Credit Suisse durch die Bankenaufsicht der Bank of England, so eine mit der Angelegenheit vertraute Person. Letztere legt die Ergebnisse dieser Überprüfungen, die auch die Anwendung von Stressszenarien beinhalten, nicht offen. Eine Sprecherin der Bankenaufsicht lehnte eine Stellungnahme ab.

Im Juli verschärfte die Bankenaufsicht die Regeln für die Fernbuchung für internationale Banken. Zudem erklärte sie, sie sei offen für eine Vielzahl von Buchungsvereinbarungen, aber die Risiken müssten für sie selbst als auch die Aufsichtsbehörden im Heimatland transparent sein.


   London als "versteckte und unbemerkte" Derivatemaschine 

"Bei einem globalen Geschäftszweig können sich Risiken überall in der Gruppe herauskristallisieren. Angesichts der Rolle Großbritanniens als globales Handelszentrum werden diese Risiken oft zuerst hier beobachtet", so die Bankenaufsicht im Juli.

Nick Dunbar, Gründer von Risky Finance, das Risikoangaben der Banken für Investoren, Aufsichtsbehörden und andere verfolgt, sagt, dass die Archegos-Geschäfte die Spitze einer Derivatemaschine aufgedeckt haben, die durch London läuft, "versteckt und unbemerkt". Er schätzt, dass große US-amerikanische und europäische Banken mehr als 3 Billionen Dollar an Aktien-Swap-Geschäften in ihren britischen Niederlassungen haben, basierend auf seiner Analyse der behördlichen Unterlagen ihrer britischen Einheiten.

Die Auswirkungen von Archegos waren in der Londoner Sparte der Credit Suisse, der Credit Suisse International, deutlich zu spüren. Ihre Bilanz hatte sich im Jahr vor dem Zusammenbruch von Archegos um 38 Prozent verlängert, obwohl die risikogewichteten Aktiva der Bank im Jahr 2020 insgesamt um 5 Prozent gesunken waren, wie aus den Bankunterlagen hervorgeht.

Nach dem Zusammenbruch von Archegos stellte die Schweizer Zentrale der Bank zusätzliche Liquidität zur Verfügung, um die Londoner Sparte zu stützen. Und sie stellte eine Kapitallinie über 3,5 Milliarden Dollar auf Abruf bereit, wie aus einem Bericht der Credit Suisse International für das erste Halbjahr hervorgeht. Die Bilanzsumme wurde um ein Drittel gekürzt.

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September 21, 2021 10:02 ET (14:02 GMT)