- von Alexander Hübner und Andreas Rinke und Peter Maushagen

Die Bundesregierung wolle die EU-Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 für eine Überarbeitung der fast 30 Jahre alten Vorschriften nutzen, hieß es am Mittwoch in Regierungskreisen. Hintergrund sei der wachsende Unmut über das Vorgehen der Wettbewerbshüter in Fällen wie der geplanten Zug-Fusion. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und sein französischer Kollege Bruno Le Maire hatten sich vergeblich für den "Airbus der Schiene" stark gemacht, mit dem die Hersteller von ICE und TGV gemeinsam dem chinesischen Staatskonzern CRRC besser Paroli bieten wollten. Die EU-Kommission ließ das Argument nicht gelten und untersagte die Fusion, weil Siemens und Alstom damit zu viel Marktmacht bekämen.

Le Maire sagte vor dem französischen Senat, mit dem Veto von Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager schwäche sich Europa selbst. Er kündigte eine gemeinsame Initiative mit Altmaier an. "Es ist wichtig, dass Europa sich so aufstellt, dass wir unsere Interessen mit Aussicht auf Erfolg in einem marktwirtschaftlichen Wettbewerb in anderen Ländern weltweit vertreten können", sagte Altmaier (CDU) in Berlin. Für Siemens und Alstom kommt der Vorstoß aber voraussichtlich zu spät. Beide schlossen einen zweiten Anlauf zu der Fusion aus. Siemens-Chef Joe Kaeser sprach vom "Schlusspunkt hinter ein europäisches Leuchtturmprojekt".

"In Bezug auf Höchstgeschwindigkeitszüge hält die Kommission es für höchst unwahrscheinlich, dass neue Wettbewerber aus China in absehbarer Zukunft Wettbewerbsdruck auf die beteiligten Unternehmen ausüben werden", begründete Vestager ihr Veto. CRRC ist mit 30 Milliarden Euro Umsatz doppelt so groß wie Siemens und Alstom zusammen. Bei Signaltechnik seien Chinesen in Europa bisher gar nicht aktiv. Die EU-Regeln seien nicht dazu da, um Unternehmen gegen ausländische Konkurrenz abzuschotten: "Ein Unternehmen wird im Ausland nicht wettbewerbsfähig sein können, wenn es nicht auch zu Hause Wettbewerb hat", sagte Vestager. Die EU habe von 3000 Fusionen in den vergangenen zehn Jahren nur neun blockiert.

In Regierungskreisen hieß es, die Kommission betrachte nur Europa - es gehe aber um den globalen Markt. Zum anderen müsse sie berücksichtigen, dass chinesische Staatskonzerne wegen der staatlichen Unterstützung den Wettbewerb verzerrten.

KAESER HOFFT AUF SINNESWANDEL

Auch der Siemens-Chef setzt auf einen Sinneswandel in Brüssel: "Die anstehenden Europawahlen und die damit verbundene neue Führung bieten eine einmalige Chance, ein Europa zu bauen, das es mit einer modernen Außenwirtschaftspolitik mit den Besten in der Welt aufnehmen kann." Der aussichtsreiche Spitzenkandidat der konservativen EVP, Manfred Weber, hatte sich für Siemens und Alstom stark gemacht. Europa müsse in der Wirtschaft "globale Champions" schaffen und brauche dafür rechtlich mehr Spielraum, sagte er in Brüssel.

Siemens erklärte, man nehme sich "nun die Zeit, um alle Optionen für die Zukunft von Siemens Mobility zu prüfen und die beste Option für Kunden, Mitarbeiter sowie Aktionäre zu wählen". Der Konzern erwägt Finanzkreisen zufolge, die erfolgreiche Zug-Sparte allein an die Börse zu bringen. IG-Metall-Vorstand Jürgen Kerner, der im Aufsichtsrat von Siemens sitzt, sagte, die Entscheidung sei "keine Katastrophe". Im Sinne des Klimaschutzes müsse Europa in die Schiene investieren. Auch er sprach sich für neue Regularien aus: "Die EU muss ihre marktliberale Ideologie überwinden und registrieren, dass Globalisierung und Geopolitik auch die Bedingungen für Beschäftigung und Unternehmen in Europa verändern."

Auch Alstom-Chef Henri Poupart-Lafarge, der den fusionierten Konzern hätte führen sollen, sieht keine Chance für das Projekt mehr. Alstom werde "seinen eigenen Wachstumspfad beschreiten". Der mit 28 Prozent beteiligte Großaktionär Bouygues sicherte ihm seine Unterstützung zu.

BOMBARDIER STATT SIEMENS?

Analysten spekulieren nun über einen Zusammenschluss von Alstom mit der weltweiten Nummer vier, Bombardier aus Kanada. "Diese Verbindung könnte eine interessante Alternative sein, die Alstom ausloten sollte", hieß es in einer Notiz der Investmentbank Berenberg. Sie hätte eine größere Chance, in Brüssel genehmigt zu werden. Das trieb die Aktien von Alstom und von Bombardier nach oben. In französischen Regierungskreisen hieß es aber, die beiden passten nicht so gut zusammen, weil sie zu stark von den Zügen selbst abhängig wären. Bombardier hatte vor zwei Jahren auch mit Siemens verhandelt. Der Chefjurist des kanadischen Konzerns, Daniel Desjardins, begrüßte Vestagers Nein: "Die Bahnkunden und Steuerzahler hätten den Preis dafür gezahlt."

Vestager machte deutlich, dass ihr die Zugeständnisse von Siemens und Alstom bei weitem nicht gereicht hätten. "Es ist okay, groß zu sein. Aber das ist nicht das Problem hier", sagte sie. "Der Konkurrenz wäre es nicht gelungen, den deutlichen Verlust an Wettbewerb durch die Fusion gutzumachen." Vor allem bei Hochgeschwindigkeitszügen sowie in der Signaltechnik wären Siemens und Alstom zusammen fast ohne Konkurrenz. Beide hatten nur kleine Unternehmensteile verkaufen wollen und stattdessen auf Lizenzen gesetzt, etwa für die neue ICE-Plattform "Velaro". Dafür hatte Siemens laut Unternehmenskreisen mit der spanischen CAF auch einen Interessenten zur Hand. Weitergehende Einschnitte, wie sie Vestager gefordert habe, hätten die Fusion unrentabel gemacht.