STUTTGART (dpa-AFX) - Daimler hat dieses Jahr noch viel vor: Die Aufspaltung in einen Autobauer auf der einen Seite sowie einen Lkw- und Bus-Hersteller auf der anderen Seite im Dezember steht kurz bevor. Doch rund um den großen Einschnitt beim Traditionskonzern hat Vorstandschef Ola Källenius auch ganz profane Probleme im Tagesgeschäft zu lösen - der Chipmangel bescherte der Stammmarke Mercedes-Benz im dritten Quartal einen herben Absatzeinbruch. Wie die Dinge bei den Stuttgartern vor den Zahlen zum dritten Quartal (29. November) stehen, was Analysten sagen und wie die Aktie läuft.

DAS IST LOS BEI DAIMLER:

Der Mangel an Chips schlägt der gesamten Branche schon eine ganze Weile aufs Gemüt. Weil die Autobauer zu den Hochzeiten der Pandemie im Frühjahr 2020 Bestellungen auf Eis legten, richteten sich Chipfertiger stärker auf die in der Krise boomende Unterhaltungselektronik und IT-Hardware aus, die ohnehin den überwiegenden Anteil am Chipbedarf weltweit ausmachen. So standen die Autobauer auch nicht ganz vorn in der Reihe, als es ab dem dritten Quartal 2020 wieder aufwärts ging mit der Autoproduktion - seitdem fehlen immer wieder Teile, auch Daimler konnte viele Autos nicht wie geplant bauen.

Nur: In den Bilanzen der Autobauer war das Ausmaß der Teileknappheit bisher kaum abzulesen - im Gegenteil fuhren Daimler, Volkswagen und auch BMW im ersten Halbjahr enorm hohe Gewinne ein. Denn lange Lieferzeiten und eine starke Nachfrage in der Konjunkturerholung setzten den Rabattschlachten vergangener Jahre ein Ende. Zudem fahren Autobauer wie Mercedes die Strategie, die knappen Halbleiter zunächst in die lukrativeren Modelle wie die S-Klasse einzusetzen und auch den am Kapitalmarkt besonders beäugten Hochlauf der Elektroautos bei der Versorgung mit den kritischen Teilen zu bevorzugen.

Im Ergebnis ist das Preisumfeld für Daimler seit geraumer Zeit sehr positiv. Källenius schraubte die Rendite-Aussichten für Mercedes in diesem Jahr in die Höhe und rechnet aktuell mit 10 bis 12 Prozent Marge für das bereinigte Ergebnis vor Zinsen und Steuern. Das klingt nicht nach Krise, sondern erinnert eher an die besten Zeiten der Marke mit dem Stern, auch wenn beim Absatz nun nicht mehr mit einem Anstieg zum Vorjahr gerechnet wird. Nach dem zweiten Quartal wurde der Konzern bei der Marge auch für die Lkws und Busse optimistischer. Källenius kommt dabei auch das weitreichende Sparprogramm im Konzern zugute, das er schon vor der Pandemie auf den Weg brachte.

Die Auslieferungen im dritten Quartal versetzten der bisherigen Euphorie um die nackten Zahlen aber bereits einen deutlichen Dämpfer. So lieferte Mercedes-Benz von Juli bis Ende September weltweit 428 361 Autos an die Kunden aus - das waren 30,2 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. In Deutschland und Europa sowie im wichtigsten Markt China gab es prozentual zweistellige Rückgänge. Dabei sei die Nachfrage eigentlich robust und der Auftragseingang stark, hieß es - der Engpass bei Chips habe die Verkäufe aber begrenzt. Bei den Top-Modellen und auch bei elektrifizierten Antrieben konnte Mercedes allerdings zulegen.

Källenius hatte für das zweite Halbjahr bereits eine schwierigere Lage beim Verkauf angekündigt, auch die Marge werde unter derjenigen der ersten sechs Monate liegen. Grund waren neue Produktionsausfälle, weil Chipfabriken in mehreren südostasiatischen Ländern wie Malaysia infolge von Corona-Lockdowns von den Behörden dichtgemacht wurden.

Umso interessanter wird, wie der Schwede die weiteren Aussichten beurteilt. Zur Automesse IAA hatte Källenius noch Besserung für das vierte Quartal in Aussicht gestellt, gleichzeitig aber auch für das kommende Jahr keine grundsätzliche Entwarnung geben wollen. Angesichts des langwierigen Kapazitätsaufbaus in der Chipindustrie dürften die Einschränkungen bis ins Jahr 2023 andauern.

Bei der Batteriebeschaffung entschloss sich der Manager kürzlich, einen eigenen Weg einzuschlagen, um nicht irgendwann ohne Akkus dazustehen. Bis 2030 will Mercedes mit Partnern weltweit acht Batteriezellwerke mit einer Produktionskapazität von zusammen mehr als 200 Gigawattstunden jährlich auf die Beine stellen, vier Fabriken davon in Europa, drei in Asien und eine in den USA.

Ziel ist es, wo möglich bis dahin nur noch vollelektrische Autos zu verkaufen. Dafür investiert der Konzern von 2022 bis 2030 mehr als 40 Milliarden Euro in die Elektromobilität. In Europa beteiligt sich Mercedes unter anderem an dem Batteriezell-Joint-Venture ACC mit dem französisch dominierten Autoriesen Stellantis und dem Pariser Ölkonzern Totalenergies.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Das dritte Quartal sei ein Prüfstein, in dem Daimler nun seine neugewonnene Widerstandskraft unter Beweis stellen könne, schrieb Barclays-Analyst Kai Alexander Mueller jüngst. Trotz des bedeutenden Absackers bei den Verkaufszahlen bei Pkw und Vans sowie bei Lkw und Bussen dürfte die Profitabilität sich als belastbar erweisen. Preiseffekte und starke Kostendisziplin dürften einen Teil der negativen Auswirkungen wettmachen. Die deutlich gesenkte Gewinnschwelle dürfte noch für auskömmliche Margen sorgen, bei Mercedes-Benz rechnet er mit einem Wert von 7,9 Prozent im Quartal.

JPMorgan-Analyst Jose Asumendi sprach trotz des starken Rückgangs bei den Verkaufszahlen im dritten Quartal von einem dennoch soliden Quartal für den Autobauer. Die Autosparte könne durchaus eine Marge von mehr als 9 Prozent erreichen. Der Barmittelfluss dürfte ebenfalls stark ausgefallen sein, wie der Experte schrieb.

Ähnlich sieht es RBC-Analyst Tom Narayan, auch wenn er seine Schätzungen nach den Verkaufszahlen deutlich senkte. Die Profitabilität bei Pkw dürfte nach wie vor von Preiseffekten und einem größeren Anteil teurerer Autos profitiert haben.

Das Gros der Analysten sieht die Aktie auch vor dem Hintergrund des Daimler-Truck-Spinoffs gegen Ende des Jahres chancenreich. Von 15 Experten, die dpa-AFX seit Anfang September erfasst hat, empfehlen 13 mit einem positiven Votum den Kauf der Papiere, nur zwei sind lediglich für ein Halten. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei knapp 96 Euro, rund 15 Euro über dem aktuellen Kurs.

DAS MACHT DIE AKTIE (Stand 20. Oktober 18:00 Uhr):

Seit dem Corona-Tief im März 2020 kennt die Aktie fast nur den Weg nach oben, mit lediglich kleineren Rücksetzern. Vergangene Woche markierte das Daimler-Papier mit fast 84 Euro den höchsten Stand seit Ende 2015, bevor die Dieselaffäre auch die Stuttgarter erfasste. Mit einem Plus von bis dato knapp 42 Prozent in diesem Jahr ist die Aktie nach der Porsche-Holding der zweitbeste Wert im europäischen Auswahlindex der Autobauer und Zulieferer. Erzrivale BMW hat bei seiner ebenfalls im Dax notierten Stammaktie dagegen nur rund 17 Prozent zulegen können.

Interessant wird die Entwicklung, wenn sich Daimler in Mercedes-Benz und Daimler-Truck aufspaltet. Analysten und auch das Management erhoffen sich dadurch einen weiteren Kurstreiber und eine Neubewertung. Viele Kapitalmarktkenner gehen davon aus, dass beide Unternehmen getrennt einen insgesamt größeren Börsenwert aufweisen werden, weil Profianleger dann zielgerichteter in für sie interessante Geschäfte investieren können. Die Gemeinsamkeiten und Synergien zwischen den bisherigen Konzernteilen gelten als gering.

Dass ein Spinoff aber nicht per se und sofort Mehrwert erzeugt, zeigt die kürzliche Abspaltung der Antriebstechnik des Autozulieferers Continental in die neue Firma Vitesco - dort liegen die Notierungen rechnerisch noch unter dem letzten Kurs der "alten" Conti.

Aktuell hat Daimler einen Börsenwert von knapp 88 Milliarden Euro. Damit liegt der Konzern hinter Volkswagen mit 118 Milliarden Euro. BMW kommt auf rund 55 Milliarden. Wie Zwerge nehmen sich die deutschen Autokonzerne aber weiter gegen den US-Elektroautopionier Tesla aus: Der kann nach der jüngsten Kurserholung wieder eine Marktkapitalisierung von rund 867 Milliarden US-Dollar aufweisen - umgerechnet knapp 744 Milliarden Euro und damit fast drei Mal so viel wie die deutschen Autobauer zusammen./men/nas/mis