Von William Boston

BERLIN (Dow Jones)--Autohersteller suchen händeringend nach sauberem Stahl, um die Klimabilanz ihrer Fahrzeuge zu verbessern. Die Bemühungen reichen dabei von bewährten Lösungen wie dem verstärktem Einsatz von recyceltem Material bis zu neuen Techniken, wo der Stahl aus wasserstoffbetriebenen Hochöfen stammt.

Die Stahlindustrie gehört zu den größten Verursachern von klimaschädlichen Kohlendioxidemissionen weltweit, und der Automobilsektor ist einer ihrer größten Abnehmer. Die Stahlhersteller suchen längst nach Möglichkeiten, ihr Produkt klimafreundlicher zu erzeugen. Und auch die Autohersteller haben sich unter dem Druck von Regulierern, Investoren und klimabewussten Kunden dieser Suche angeschlossen.

Europas Auto- und Stahlhersteller setzen nach Beobachtung von Analysten mit zunehmender Geschwindigkeit auf die Entwicklung von Verfahren und den Einsatz von grünem Stahl. Der Klimaplan der Europäischen Union, der so genannte Green Deal, sieht verpflichtend vor, dass die Fahrzeughersteller bis 2050 klimaneutral produzieren. Und das gilt ebenso für die Lieferkette.

Anfang des Monats unterzeichnete die Daimler-Tochter Mercedes-Benz eine Vereinbarung mit dem schwedischen Stahlhersteller SSAB. Danach soll dessen Hybrit-Einheit ab dem nächsten Jahr CO2-arm erzeugten Stahl für das Automobilunternehmen produzieren. Die Vereinbarung ist Teil der Bemühungen von Mercedes, bis 2039 die gesamte Fahrzeugflotte CO2-frei zu machen zu machen. Der Autohersteller Volvo bezieht bereits Stahl von Hybrit, während BMW in ein neues US-Stahlwerk investiert, das den Werkstoff klimaneutral herstellen wird.


 Autohersteller setzen sich ehrgeizige Klimaziele 

General Motors hat sich verpflichtet, bis 2040 CO2-neutral zu produzieren. Toyota will dieses Ziel bis 2050 erreichen. Die Treibhausgase aus ihrer europäischen Lieferkette sollen schon bis 2030 um 33 Prozent sinken.

Über Jahrzehnte haben strengere Verbrauchsnormen dafür gesorgt, dass die weltweite Fahrzeugflotte erheblich effizienter mit fossilen Kraftstoffen gefahren ist. Die Hersteller haben ihre Verbrennungsmotoren optimiert, um diese sauberer zu machen. Der Einsatz von leichterem Aluminium, Kohlefaserwerkstoffen oder Kunststoffen hat geholfen, das Gewicht der Autos zu verringern und damit weiteren Kraftstoff einzusparen. In den vergangenen Jahren hat Tesla aber die Branche in Richtung batteriebetriebener Elektrofahrzeuge geführt. Die Technologie wird von den meisten Autoherstellern inzwischen als Zukunft für die Branche angesehen.

All dies hat dazu beigetragen, die beim Autofahren freigesetzten Treibhausgase zu reduzieren. Jetzt wird neuer Druck aufgebaut, damit der Herstellungsprozess der modernen E-Autos klimafreundlicher wird. "Um elektrischer und nachhaltiger zu werden, geht es nicht nur um Batterien und alternative Antriebe", sagte Daimler-Entwicklungsvorstand Markus Schäfer Investoren im Juli.

Um die Ziele an dieser Stelle zu meistern, die von den Führungskräften aus der Branche als langfristig beschrieben werden, gilt es, große Hürden zu nehmen. Von einer bedeutsamen Umstellung auf eine CO2-ärmere Produktion ist die Stahlbranche angesichts der langen Investitionszyklen noch Jahre entfernt. Die Internationale Energieagentur (IEA) prognostizierte im Oktober 2020, dass der Anteil der wasserstoffbasierten Erzeugung an der weltweiten Primärstahlproduktion im Jahr 2050 bei "knapp unter 15 Prozent" liegen wird.

"Es wird derzeit viel in der Stahlindustrie investiert", zeigt sich BMW-Chef Oliver Zipse auf der Automesse IAA Mobility in der vergangenen Woche dennoch optimistisch. "Aber es wird einige Zeit dauern."


 Sauberer Stahl teurer in der Herstellung 

Klimafreundlicher Stahl ist überdies deutlich teurer in der Herstellung. Der schwedische Stahlhersteller SSAB hat erklärt, dass sein ohne fossile Energie hergestellter Stahl in der Erzeugung um 20 bis 30 Prozent kostspieliger sein wird als herkömmlicher Stahl. Arcelormittal sieht die Herstellungskosten von Stahl mit Hilfe Wasserstoff, der in einem Werk in Deutschland produziert werden soll, um 60 Prozent über denen aus üblicher Produktion.

Unterdessen sind Autohersteller angesichts des Nachfrageschubs im Anschluss der Corona-Krise bereits mit höheren Preisen für konventionellen Stahl und andere Rohstoffe konfrontiert, da es zu Engpässen und Knappheiten kommt.

Zwar haben die Autohersteller ihre Abhängigkeit von Stahl verringert, doch macht das Metall nach Angaben des American Iron and Steel Institute immer noch etwa 54 Prozent des Gewichts eines durchschnittlichen Personenkraftwagens aus. Ein typischer Geländewagen enthält rund 1350 Kilogramm Stahl, der in Türverkleidungen, Fahrgestellen und Stützelementen verwendet wird.

Nach Angaben der World Steel Association entfallen rund 12 Prozent des weltweiten Stahlverbrauchs auf die Autoindustrie. Analysten schätzen, dass die Stahlproduktion für etwa 7 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen im Zusammenhang mit der Energieerzeugung verantwortlich ist. In der EU macht Stahl 25 Prozent des CO2-Ausstoßes der Industrieproduktion aus, so H2 Green Steel, ein schwedisches Startup-Unternehmen für kohlenstoffarmen Stahl.


 Autohersteller greifen oft auf Recycling-Stahl zurück 

Daimler versucht, die Emissionen des von ihm verwendeten Stahls bereits jetzt zu drücken. Für die Karosserieherstellung in den USA kauft Daimler recycelten Stahl von einem Lieferanten, der nach eigenen Angaben 70 Prozent mit weniger Kohlendioxid auskommt als Stahl aus herkömmlichen Hochöfen. Laut World Auto Steel, einem Verband, der die größten Stahlhersteller der Welt vertritt, und nach Daten des Steel Recycling Institute stammt etwa ein Viertel des Stahls in einem durchschnittlichem Pkw heute aus der Wiederverwertung. Recycelter Stahl kommt ohne den CO2-intensiven Prozess des Schmelzens von Eisenerz aus.

Daimler investiert überdies in neue Technologien. Im Mai erwarb Mercedes eine Beteiligung an H2 Green Steel. Das schwedische Unternehmen plant den Bau eines wasserstoffbetriebenen Stahlwerks, das CO2-freien Stahl für die Autoindustrie liefern soll.

Wasserstoff anstelle von Kohle als Brennstoff im wärmeintensiven Prozess der Stahlherstellung verringert die Menge des bei der Produktion ausgestoßenen Kohlendioxids erheblich. Die Rechnung geht aber nur auf, wenn der Wasserstoff selbst ohne CO2-frei hergestellt wird. H2 will dies schaffen, indem es Schwedens reichlich vorhandene Wasserkraft nutzt, um Wasserstoff zu erzeugen, mit dem ein kleines Stahlwerk angetrieben wird. Dort sollen dereinst 5 Millionen Tonnen Stahl jährlich produziert werden - genug für etwa drei Millionen Autos.


 Mercedes will Vorreiter sein 

Nach Angaben von H2 werden bei seinem Verfahren nur etwa 0,1 Tonnen Kohlendioxid pro Tonne Stahl ausgestoßen, im Vergleich zu 2 Tonnen bei einem herkömmlichen Werk. Mercedes kündigte an, die ersten Fahrzeuge mit dem kohlenstoffarmen Stahl von H2 ab dem Jahr 2025 zu produzieren.

BMW will derweil mit seinem Risikokapitalfonds BMW i Ventures in Boston Metal investieren, ein amerikanisches Start-up-Unternehmen, das ein Verfahren zur Schmelze von Eisenerz mit Hilfe von Strom entwickelt hat.

Der schwedische Automobilhersteller Volvo, der zur chinesischen Zhejiang Geely Holding gehört, gibt an, dass der in seinen Fahrzeugen verwendete Stahl für etwa 35 Prozent der CO2-Emissionen eines durchschnittlichen konventionellen Autos während seiner Lebensdauer verantwortlich ist und für 20 Prozent der Emissionen eines Elektroautos. Geely Holding hat sich zum Ziel gesetzt, den CO2-Ausstoß seiner Fahrzeuge bis 2025 gegenüber 2018 um 40 Prozent zu reduzieren. 2040 will das Unternehmen klimaneutral sein.

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September 13, 2021 10:44 ET (14:44 GMT)