BERLIN (dpa-AFX) - Der Lieferdienst Delivery Hero setzt auf Expansion. Ende 2020 gab es in Südkorea ein Okay für einen Milliardenzukauf. Mit der Übernahme von Woowa ist aber vermutlich noch lange nicht Schluss. Geld verdient Delivery Hero bisher nicht. Allerdings hat die jüngste Kursrally an der Börse nun Folgen für den Woowa-Zukauf. Was das Unternehmen umtreibt, was Analysten sagen und wie sich die Aktie macht.

DAS IST LOS BEI DELIVERY HERO:

Mit dieser Nachricht hatte Südkorea Delivery Hero wohl ein verspätetes Weihnachtsgeschenk beschert: Kurz vor dem Jahreswechsel genehmigte die südkoreanische Kartellbehörde KFTC den Zusammenschluss des Konzerns mit dem dortigen Lieferdienst Woowa Brothers - allerdings unter Auflagen. KFTC verlangt von Delivery Hero unter anderem den Verkauf der Südkorea-Tochter Yogiyo. "Es ist offensichtlich, dass das nicht die bestmögliche Lösung ist", sagte Finanzchef Emmanuel Thomassin kürzlich. So sei der Verkauf von Yoyigo schmerzhaft, ergebe aber Sinn. Delivery Hero wolle sich dem beugen.

Allerdings muss der Dax-Konzern den Firmenwert von Woowa wegen eines kräftigen Kursanstiegs der Delivery-Aktie wahrscheinlich um 1,4 Milliarden Euro nach unten korrigieren. Denn der Berliner Konzern will die Übernahme unter anderem mit 40 Millionen eigenen Aktien bezahlen. Seit der Ankündigung im Dezember 2019 ist der Kurs der Delivery-Hero-Aktie jedoch um rund 170 Prozent gestiegen, sodass der damals auf 3,6 Milliarden Euro bezifferte Firmenwert von Woowa deutlich überholt ist.

Durch den Kursanstieg ist der Wert des Aktienanteils am Kaufpreis um 3,3 Milliarden auf rund 5,2 Milliarden Euro gestiegen. Ein Teil davon ist nicht durch die operative Entwicklung von Woowa gedeckt, so dass diese Summe abgeschrieben werden muss. Dennoch hält Delivery an dem Woowa-Deal fest. Er soll bis Ende März vollzogen werden.

Südkorea ist wie viele asiatische Länder enorm wichtig für das Geschäft des Konzerns. In Asien wuchs der Konzern zuletzt besonders stark, ähnlich in Latein- und Südamerika. Aus dem Nordamerika-Geschäft ist das Unternehmen schon vor einiger Zeit ausgestiegen und hat es anderen Lieferdiensten wie Doordash und Grubhub überlassen.

In allen vier definierten Geschäftsregionen - neben Asien sowie Latein- und Südamerika auch noch Nord- und Osteuropa sowie Nahost und Nordafrika - setzt Delivery Hero weiterhin auf Wachstum. Zuletzt war das Unternehmen mit verschiedenen Marken in 49 Ländern weltweit vertreten. In Lateinamerika hatte Delivery Hero im dritten Quartal das Geschäft des spanischen Lieferdienstes Glovo übernommen.

Derzeit kann sich Delivery Hero über die von der Corona-Pandemie angetriebene Entwicklung freuen. Denn klar ist: Die Angst vor Infektionen mit dem Virus und Beschränkungen für die Allgemeinheit treiben die Bestellzahlen nach oben. Künftig will der Konzern sein Angebot um den sogenannten "Quick Commerce" (Q-Commerce) erweitern und dann auch alltägliche Gegenstände in einer kurzen Zeitspanne liefern. Mehr Bestellungen und Umsatz motivieren wiederum die Anleger, stärker in den Lieferdienst zu investieren.

Woowa soll übrigens noch lange nicht die letzte Übernahme gewesen sein. Erst Anfang des Jahres hatte sich der Berliner Konzern mit einer Kapitalerhöhung brutto rund 1,2 Milliarden Euro an frischem Geld besorgt. Das Management will den Erlös unter anderem für "attraktive Investitionsmöglichkeiten" einsetzen. Weitere Expansionen oder Übernahmen in neuen Ländern werden also wahrscheinlicher.

Dennoch: Als einziges Dax-Mitglied ohne Deutschland-Geschäft schreibt Delivery Hero weiter rote Zahlen. Für das vergangene Jahr rechnen die von Bloomberg befragten Experten zwar damit, dass sich der Umsatz auf knapp 2,6 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Beim um Sondereffekte bereinigten Verlust vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) gehen sie von einem Anstieg auf knapp 600 Millionen Euro aus.

Unter dem Strich dürfte im vergangenen Jahr ein Verlust von 863 Millionen Euro gestanden haben. 2019 hatte das Unternehmen einen Überschuss erzielt - dies war allerdings nur auf einen Sondererlös aus dem Verkauf des Deutschland-Geschäfts (Lieferando, Pizza.de, Foodora) zurückzuführen. Analysten rechnen auch im laufenden und kommenden Jahr mit einem Jahresverlust, wobei für 2022 zumindest ein operativer Gewinn erwartet wird.

Am Mittwoch (10. Februar) legt Delivery Hero die wichtigsten Kennziffern für das Wachstum und Umsatz vor. Zur Entwicklung des operativen Ergebnisses und des Gewinns werden nur vage Aussagen erwartet. Die komplette Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung soll am 28. April veröffentlicht werden.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Die im dpa-AFX Analyser seit Oktober erfassten Experten sind sich in Sachen Delivery Hero weitestgehend einig: Mit neun Stimmen empfiehlt die Mehrheit zum Kauf von Aktien. Nur einer rät zum Halten. Bis zum durchschnittlichen Kursziel von 139 Euro hat die Aktie noch ein wenig vor sich. Derzeit kostet ein Papier rund 131 Euro.

Zuletzt reagierte Lars Lusebrink vom Analysehaus Independent Research auf die angekündigte Wertberichtigung auf das Woowa, die seiner Meinung nach hoch ausgefallen sei. Die Übernahme des Essenauslieferers sei gleichwohl strategisch sinnvoll. Der Analyst setzte sein Kursziel um 5 Euro auf 140 Euro herab und rät weiterhin zum Halten der Aktie.

DZ-Bank-Analyst Manuel Mühl schrieb hingegen eine Kaufempfehlung aus und hob den fairen Wert für die Aktie von 110 auf 150 Euro an. Er traut Delivery Hero durch den Woowa-Deal eine deutlichere Positionierung in Südkorea zu.

Die Kapitalerhöhung ermögliche zudem eine Beschleunigung des Expansionstempos und den Einstieg in neue Märkte oder die Stärkung bereits bestehender Marken. Verglichen mit den hohen Bewertungen im Sektor, die jüngst beim Börsengang von Doordash aufgerufen worden seien, könne die Bewertung von Delivery Hero bei einem fortgesetzten Wachstum noch als akzeptabel eingestuft werden.

Das Team bei der Commerzbank zeigte sich zuversichtlich, dass Delivery Hero in seinem Update zum vierten Quartal in dieser Woche eine Verdopplung beim Brutto-Warenwert sowie bei den Umsätzen in Asien und Amerika erreichen werde. Insgesamt müsste die Performance im Rahmen der Erwartungen liegen. Sie hoben ihr Kursziel auf 158 Euro an.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Anleger, die gleich in den ersten Monaten nach dem Börsengang von Delivery Hero zugriffen und seither die Aktien hielten, können zufrieden sein: Seit den Sommermonaten 2017 hat sich der Wert der Papiere mittlerweile mehr als verfünffacht. Wer erst Ende 2019 eingestiegen war, kann sich noch über eine knappe Verdopplung seiner Anlage freuen.

Zwar musste auch die Delivery-Hero-Aktie während des Corona-Crashs im Februar und März 2020 Kurseinbußen hinnehmen. Diese waren aber nur von kurzer Dauer: Seit April befindet sich die Aktie im Höhenflug und schaffte so im Sommer vergangenen Jahres den Aufstieg in den Dax. Dieser wurde von einigen Experten unter anderem wegen des anhaltenden operativen Verlusts stark kritisiert.

Die Deutsche Börse änderte daraufhin die Regeln für den Aufstieg in den deutschen Leitindex. Künftig müssen Unternehmen nicht nur auf eine ausreichende Marktkapitalisierung kommen, sondern auch operativ profitabel sein.

Die Delivery-Hero-Aktie profitiert von der Überzeugung der Anleger, dass die Menschen wegen Angst vor Infektionen sowie anhaltender Corona-Restriktionen wie geschlossenen Restaurants oder Ausgehbeschränkungen häufiger und mehr Essen bestellen. Den jüngsten Schub nach oben bekam die Aktie von der Freigabe für die Woowa-Übernahme.

Das Unternehmen bringt es derzeit auf eine Marktkapitalisierung von rund 27 Milliarden Euro und lässt damit im Dax einige große Traditionskonzerne wie Beiersdorf, Continental oder die Deutsche Bank deutlich hinter sich.

Und auch im europäischen Branchenvergleich steht Delivery Hero gut da: So kommt Just Eat Takeaway, zu dem auch die deutsche Marke Lieferando gehört, knapp 14 Milliarden Euro. Anders sieht es beim Blick in die Vereinigten Staaten aus. Dort hatte der Lieferdienst Doordash im Dezember ein spektakuläres Börsendebüt hingelegt. Der Kurs kletterte im Vergleich zum Ausgabepreis um fast 80 Prozent - das Unternehmen war an der Börse zuletzt umgerechnet fast 48 Milliarden Euro wert./ngu/stw/zb